Italien:Meloni kämpft mit Geistern der Vergangenheit

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Manche sehen im jüngsten Auftritt von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Parlament ein Zeichen von Nervosität. (Foto: Roberto Monaldo/AP)

Zwischen Trump und Brüssel ist die italienische Ministerpräsidentin aus dem Tritt geraten. Die sonst so kontrolliert auftretende rechte Politikerin keilt gegen Europa. Im Parlament kommt es zum Eklat.

Von Marc Beise, Rom

Es gibt Sätze, die so prägnant sind, dass sie lange in Erinnerung bleiben. „Questa non è la mia Europa“ könnte ein solcher Satz sein. Er kam von Giorgia Meloni am Mittwoch im römischen Parlament bei einer kurzen Erklärung, an ihrem Platz in der Regierungsbank stehend, neben sich sitzend die Mitglieder ihrer Regierung. Ihr Europa sei das nicht, das im berühmten Manifest von Ventotene beschrieben worden sei, sagte also die Ministerpräsidentin, Parteichefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia.

Die politische Ausrichtung ist wichtig in diesem Zusammenhang, denn das Manifest von Ventotene, das gerade in Italien Wiederauferstehung feiert, ist ein dezidiert antifaschistisches Projekt, allein schon deshalb haben Meloni und ihre Getreuen damit größte Schwierigkeiten.

Melonie reagiert auf Demonstrationen vom Wochenende

Die Insel Ventotene, gelegen im Golf von Gaeta, ein Idyll neben der bekannteren Ferieninsel Ponza, diente zur Zeit des faschistischen Diktators Benito Mussolini als vom Meer umgebenes Gefängnis. Es waren von Mussolini Inhaftierte, die dort in finsterster Zeit 1941 ihre Idee eines vereinigten und antifaschistischen Europas niederschrieben und ans Festland schmuggeln ließen: Per un’Europa libera e unita.

Die drei Autoren Altiero Spinelli, Ernesto Rossi und Eugenio Colorni kamen aus unterschiedlichen politischen Lagern, aber sie einte die Hoffnung auf Europa. Ihre Ideen deckten sich im Konkreten nicht mit der EU, wie sie später entstand. Das Europa von Ventotene sollte ein machtvoller Bundesstaat werden, hervorgegangen aus einer revolutionären Bewegung, mit einem staatssozialistisch ausgerichteten Wirtschaftssystem. Trotzdem gilt der Text heute als ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der europäischen Integration.

Und als am vergangenen Samstag vor allem in Rom Zehntausende Menschen für Europa auf die Straße gingen, gehörte das Manifest von Ventotene zum Kanon der Veranstaltung. Es war dies keine parteipolitische Demonstration, eingeladen hatten Proeuropäer, liberale und linke Intellektuelle, Initiator war unter dem Titel „Piazza per l'Europa“ der Journalist Michele Serra. Aber es war schon klar, dass sich hier eher Mitte-Links gegen Trump und Putin und den Rechtsruck auch in Italien wandte und für eine bessere Welt kämpfte.

Meloni wiederum fühlte sich durch das klare Bekenntnis für mehr Europa so provoziert, dass sie im Parlament einige Passagen zitierte, um dann zu sagen: „Das ist nicht mein Europa.“ Die Opposition stieg darauf sofort ein, es kam zu tumultartigen Szenen. Die Linke nannte es einen „Schande“, dass in den ehrwürdigen Hallen das ehrenhafte Dokument so niedergemacht werde, die Rechte sprach von einem „schrecklichen Text“, tags darauf ging die Debatte in der zweiten Kammer des Parlaments, im Senat, heftig weiter. Der Streit trug bis nach Brüssel, wo Europaparlamentspräsidentin Roberta Metsola, die sich mit Meloni eigentlich gut versteht, umgehend ihre Wertschätzung für das Manifest äußerte, das „die ersten Spuren der Idee eines föderalen Europas“ enthalte.

Eine Grundsatzdebatte über „zu viel Europa“ ist ein neuer Ton

Dass Meloni das Thema spielte, war insofern überraschend, als sie bei historischen Themen normalerweise ausweichend reagiert. Obwohl sie selbst aus dem Postfaschismus kommt, vermeidet sie seit dem Amtsantritt in diesem Zusammenhang jede Auseinandersetzung. Gerade in Bezug auf Europa hat sie sich bisher als zuverlässige Bündnispartnerin erwiesen. Dass sie jetzt ganz im Stil ihres populistischen Koalitionspartners Matteo Salvini eine Grundsatzdebatte über „zu viel Europa“ anfing, ist ein neuer Ton, manche Beobachter sagen: ein Zeichen von Nervosität.

Jedenfalls kommt Meloni in ihrer angestrebten Rolle als Brückenbauerin zwischen Donald Trump, dem sie sich politisch verwandt fühlt, und Brüssel, von dem Italien auch finanziell abhängt, nicht recht zum Zuge. Ihr Bestreben, es sich nicht mit Trump zu verderben, führt zu einem Schlingerkurs, dessen Folgen unklar sind. Der harten Anti-Trump-Linie anderer europäischer Staats- und Regierungschefs will Meloni sich nicht ohne Weiteres anschließen, der bisher von ihr bedingungslos unterstützten Ukraine empfiehlt sie neuerdings, auf dessen Verhandlungsgeschick zu vertrauen.

Eine etwaige Entsendung von italienischen Soldaten lehnt Meloni ab, beim Aufrüstungsprogramm „ReArm Europa“ war ihr schon der Name zu militaristisch. Eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben, wie sie etwa die designierte neue deutsche Regierung mit ihrem 500-Milliarden-Sonderschuldenpaket beschlossen hat, steht für Meloni bisher nicht zur Debatte. Auch, weil dem extrem hoch verschuldeten Land dafür das Geld und womöglich auch die Kreditwürdigkeit fehlt. Ganz abgesehen davon, dass Meloni mit zu viel europäischer Solidarität ihre Koalition gefährden würde, in der Putin-Freund Salvini nur auf die Gelegenheit lauert, sich innenpolitisch gegen Meloni zu profilieren.

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