Italien:Meloni sucht einen Ausweg aus der Albanien-Krise

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„Die Erwartungen der Nation“: Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni will die Asyllager in Albanien beibehalten. (Foto: TIZIANA FABI/AFP)

Wer entscheidet über die konkrete Ausgestaltung der Asylpolitik, die Regierung oder die Gerichte? Für Italiens Regierungschefin ist die Antwort klar: sie selbst. Das will sie jetzt mit einer Gesetzesänderung absichern.

Von Marc Beise, Rom

Ohne Zweifel, es war eine Krisensitzung. Roms Regierungsviertel summte am Montag geradezu vor Gerüchten. Welchen Ausweg würde Ministerpräsidentin Giorgia Meloni aus der Lage finden, in die sie die Entscheidung eines römischen Gerichts gebracht hat? Für den Abend hatte Meloni ihr Kabinett zu dem außerordentlichen Treffen beordert, man wartete gespannt.

Vergangene Woche noch war Italiens rechte Ministerpräsidentin selbstbewusst zum EU-Gipfel nach Brüssel gereist, um dort ihren vermeintlichen Königsweg in der Asylpolitik vorzustellen. Als erstes Land in der Europäischen Union hatte Italien in einem Drittstaat ein Lager bauen lassen – ein europaweit viel beachtetes Projekt. Am Freitag durchkreuzte dann das für Einwanderungsfragen zuständige Gericht in Rom die Strategie: Der gerade in Betrieb genommene Komplex mit einem Aufnahmezentrum in der nordalbanischen Küstenstadt Shëngjin und einem Abschiebelager im nahe gelegenen Gjadër, geplant für jährlich 36 000 Ankommende, musste wieder geräumt werden. Die dort ausgeschifften ersten zwölf Insassen wurden von der Küstenwache nach Italien gebracht.

Über das Wochenende hatten Meloni und ihre Minister Zeit, sich einen neuen Weg zu überlegen, der sie an ihr erklärtes Ziel führen soll, möglichst viele Flüchtende von Italien fernzuhalten – genauer gesagt: sie daran zu hindern, überhaupt erst italienischen Boden zu betreten.

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Wie sich am Abend herausstellte, reagiert die Regierung mit einer Mischung aus Verfahrensregeln oder Richter-Beschimpfung. So wird die Liste der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ um einige kritische Staaten gekürzt und im Übrigen in einem Regierungsdekret festgeschrieben, also in einem Rechtsakt mit Gesetzeskraft. Bisher war die Liste nur vom Außenministerium erstellt worden; sie war im Frühjahr auf 21 Länder erweitert, darunter jetzt auch Ägypten und Bangladesch. Diese Länder bleiben jetzt auch in der Liste von nun 19 Ländern, auch wenn diese jetzt formal höherrangig ist.

Solche Listen gibt es auch in anderen Ländern, nicht aber auf Ebene der EU. In Deutschland beispielsweise entscheidet der Bundestag über jedes einzelne Land auf der Liste.

Für den ersten Transport über See in die Lager nach Albanien waren bewusst nur Ägypter und Bangladescher ausgesucht worden. Der Asylanspruch von Menschen aus als „sicher“ erklärten Ländern, so das Kalkül, werde schnell abgelehnt werden können, die Flüchtenden könnten dann bis zur Erschöpfung aller Rechtsmittel und der Abschiebung in ihre Heimat in Gjadër kaserniert bleiben. Allerdings sind in beiden Staaten Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Es wird über willkürliche Verhaftungen berichtet, politische Gegner der Regierung sind verschwunden. Deshalb gelten Ägypten und Bangladesch in Deutschland nicht als sicher.

Der Europäische Gerichtshof wiederum hat am 4. Oktober 2024 ausdrücklich entschieden, dass „sicher“ nur Länder sein könnten, in denen dies in allen Gebieten und für alle Bevölkerungsgruppen gelte. Darauf hatte sich das römische Gericht berufen, als es am Freitag verfügte, dass über die nach Albanien Gebrachten dort nicht in Schnellverfahren entschieden werden dürfe; sie müssten nach Italien überstellt und wie andere Asylbewerber behandelt werden, deren Verfahren Monate dauern, manchmal Jahre.

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Deshalb halten es Experten auch für fraglich, ob es reicht, wenn die Regierung ihre Rechtsauffassung nun in ein Dekret oder ein Gesetz gießt – der Widerspruch zum europäischen Recht bleibt bestehen, und dieses geht auch in Italien vor. Das allerdings sind Zusammenhänge, für die die Regierungsparteien erkennbar wenig Verständnis haben. Es stehe der Justiz nicht zu, Entscheidungen einer Regierung zu korrigieren, die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt, sagt der Justizminister Carlo Nordio, ein Parteifreund Melonis.

Die Richter wiederum bestreiten, dass sie politisch agieren. Ihnen lasse die europäische Rechtslage gar keine andere Wahl. Dazu der Justizminister am Montagabend bei einer Pressekonferenz: Das Urteil aus Luxemburg sei „sehr komplex und detailliert“ und zudem auf Französisch verfasst, es sei „von den Richtern wahrscheinlich nicht gut verstanden oder gut gelesen“ worden.

Erkennbar stehen die Richter im Fokus des Meloni-Lagers. Sie gelten als Gegner und werden von manchen Politikern sogar auf frühere politische Äußerungen hin oder auf die Mitgliedschaft in politischen Organisationen überprüft. Es falle sehr schwer, sagte Meloni am Wochenende, „die Erwartungen der Nation zu erfüllen, wenn ein Teil der Institutionen sich dagegen stellt“.

Während also die Medien über einen „Machtkampf“ zwischen Politik und Justiz berichten, laufen die ersten Auguren durch die Stadt und raunen über Neuwahlen. Meloni, heißt es, könnte versucht sein, sich ein neues, stärkeres Mandat des Volkes für ihre rigide Asylpolitik zu besorgen; angeblich gibt es dafür in Umfragen eine klare Mehrheit. Ohnehin sitzt die Regierungskoalition bisher so sicher an den Schalthebeln der Macht in Rom wie wenige Regierungen in der launenhaften italienischen Politik zuvor.

Meloni führt mit den postfaschistischen Fratelli d’Italia die augenblicklich erfolgreichste Partei in Italien, ihre Umfragewerte ergeben zusammen mit den Prozenten der beiden Koalitionspartner eine knappe Mehrheit für das rechte Lager. Vor allem agiert dieses einvernehmlich, wenn es darauf ankommt – anders als die notorisch zerstrittene Opposition.

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