S ea Watch 4, das Schiff eines Bündnisses internationaler Hilfsorganisationen unter Beteiligung der evangelischen Kirche Deutschlands, hat auf seiner ersten Fahrt bei drei Rettungsaktionen vor Libyens Küste 204 Menschen an Bord genommen und sucht nun einen sicheren Hafen. Doch weder Maltas noch Italiens Behörden haben bisher auf den Hilferuf geantwortet. So trägt sich im zentralen Mittelmeer erneut das Trauerspiel der europäischen Asylpolitik zu - verschärft durch die Furcht vor Corona.
Sizilien attackiert Rom, weil es sich in Corona-Zeiten mit den Migranten überfordert fühl
Mit Verhängung des Notstandes erklärten Italien und Malta alle ihre Häfen als "nicht sicher". Anders: Aus sanitären Gründen gibt es seither keine automatische Zuweisung mehr, wie das internationale Seerecht es in normalen Zeiten vorsieht. Bei jedem Funkruf einer NGO stellt sich so die Frage neu, was aus den Geretteten werden soll. Normalerweise reagieren Valletta und Rom eine Weile nicht und bieten dann doch Hilfe an in der Hoffnung, dass die Migranten auch auf andere EU-Länder verteilt werden. Allerdings war das zuletzt gar nicht so oft nötig: Nicht, weil die Überfahrten abgenommen hätten, im Gegenteil: 17 264 Flüchtlinge registriert Italien im laufenden Jahr, 2019 waren es im selben Zeitraum nur 4664. Doch die meisten kommen ohne Hilfe von NGOs, mit Schlauchbooten und Fischkuttern aus Libyen oder Tunesien. Der oft und kontrovers diskutierte "Pull-Faktor" ist damit widerlegt: Die Flüchtlinge legen nicht nur ab, wenn sie wissen, dass Helfer sie nach wenigen Meilen retten. Fast alle Rettungsschiffe liegen in italienischen Häfen mit Auslaufverbot fest. Den NGOs werden administrative Verstöße vorgeworfen, die sie für fadenscheinig halten. So fand die Sea Watch 4 mehrere übervolle Boote in Not. Auch das Sterben auf der Fluchtroute nimmt wieder zu: 200 Menschen sollen dieses Jahr schon vor Libyen ertrunken sein. Hilfsorganisationen rechnen mit einer hohen Dunkelziffer.
So schnell wird Italiens Regierung die Politik der unsicheren Häfen wohl nicht ändern. Die Angst vor einem Aufflackern der Seuche weckt gerade in Sizilien mit den vielen Aufnahmelagern heftige Reaktionen. Nello Musumeci, der rechte Gouverneur der Insel, will per Verordnung erwirken, dass die Zuwanderer in andere Regionen oder Länder verlegt werden und kollidiert so frontal mit der Regierung in Rom, die auf ihre exklusive Kompetenz in dieser Frage verweist. Es sei nicht fair, dass die Sizilianer die ganze Last der Migration tragen müssten, sagt Musumeci: "Wir haben ein sakrosanktes Recht auf Gesundheit." Corona und Migration sei "ein Notstand im Notstand". Tatsächlich gab es Dutzende Infektionen bei Migranten, manche importiert, andere steckten sich in übervollen Lagern an. Der Staat mietete Schiffe für die Quarantäne der Migranten - vor Siziliens Küste. Die Plätze reichen aber nicht. Nun droht eine juristische Schlacht Siziliens mit dem Zentralstaat, während die Sea Watch 4 auf ein Signal wartet.