Italien:Mailand gegen Rom

Italien: Herzen gegen Rassismus: Demonstranten protestieren in Mailand gegen die Ausländerpolitik der rechtspopulistischen Regierung aus Lega und Cinque Stelle. Umfragen sagen allerdings für die Europawahlen im Mai einen Triumph von Lega voraus.

Herzen gegen Rassismus: Demonstranten protestieren in Mailand gegen die Ausländerpolitik der rechtspopulistischen Regierung aus Lega und Cinque Stelle. Umfragen sagen allerdings für die Europawahlen im Mai einen Triumph von Lega voraus.

(Foto: Luca Bruno/AP)

Etwa 200 000 Demonstranten zeigen, dass Italien auch noch ein anderes Gesicht hat als das der rechten Populisten in der Regierung. Ob der sozialdemokratische PD davon profitieren kann, ist jedoch fraglich.

Von Oliver Meiler, Rom

Sie nennen sich "das andere Italien". Und für einmal war dieses weltoffene und europafreundliche, eher linke Italien ein Wochenende lang lauter als das Italien der regierenden Populisten, der rechten Lega also und der Cinque Stelle. So laut und fröhlich bunt sogar, dass sich die Opposition nun nach langer, lethargischer Ohnmacht selbst ein bisschen Mut macht.

In Mailand sind am Samstag etwa 200 000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rassismus und Diskriminierung von Flüchtlingen zu demonstrieren. Der Marsch endete auf der Piazza del Duomo, so etwas wie das Wohnzimmer der Stadt, wo ein DJ Musik auflegte. Es wurde viel gesungen und getanzt. Giuseppe Sala, der linke Bürgermeister der Stadt, sprach von einer "Wasserscheide", der man da beiwohne, und schwang seine Hüften zum Song "People have the power".

Auf den Spruchbändern konnte man lesen: "Wir sitzen alle im selben Boot." - "No walls."- "Die Welt gehört allen." - "Wir sind alle gleich." Man sah auch wieder Regenbogenfahnen der Friedensbewegung mit der Aufschrift "Pace" und die italienische Trikolore: Die Nationalisten haben kein Monopol darauf, so die Botschaft. Die Kundgebung stand unter dem Motto "People - zuerst die Personen". Es war als Antwort auf die Losung "Zuerst die Italiener" von Matteo Salvini gedacht, dem rechten Innenminister und starken Mann der Regierung.

Aufgerufen hatten humanitäre Organisationen, die nationale Vereinigung der antifaschistischen Widerstandskämpfer aus dem Zweiten Weltkrieg, die Gewerkschaftsbünde und der sozialdemokratische Partito Democratico, PD. Selbst die Organisatoren waren überrascht vom Erfolg. Es marschierten viele prominente Italiener mit, etwa der Liedermacher Roberto Vecchioni, der Schauspieler Claudio Bisio.

Die Sozialdemokraten erhalten einen neuen Parteichef. Der Andrang bei der Wahl ist groß

Romano Prodi, der frühere Ministerpräsident, sah in der Kundgebung schon die erste Regung eines "Erwachens". "Wenn eine Regierung gewisse Grenzen überschreitet, reagieren die Leute", sagte der pensionierte Politiker in einem Interview. Die Frage ist jedoch, wie massiv diese Reaktion tatsächlich ist. In den jüngsten Umfragen ist Salvinis Lega noch einmal gewachsen: 36 Prozent der Italiener sagen, sie würden Lega wählen, fänden heute Wahlen statt. Die Fünf Sterne dagegen verlieren weiter, mittlerweile stehen sie in den Erhebungen bei 21 Prozent. Für die Europawahlen im Mai wird ein Triumph der Lega erwartet.

Salvini gab sich denn auch unbeeindruckt von der Demonstration in seiner Heimatstadt: "Ich ändere meine Meinung nicht", sagte der Mailänder, "ich führe meine Politik fort für das Gemeinwohl der Italiener." Andere Exponenten der Lega richteten aus, die Sozialdemokraten hätten mal wieder bewiesen, dass ihnen die "illegalen Einwanderer" wichtiger seien als die Italiener. Die regierungsnahen Sender des Staatsfernsehens, Rai Uno und Rai Due, berichteten in ihren Nachrichten erst an dritter oder vierter Stelle über den Marsch, den größten in jüngerer Vergangenheit. Die Verhaftung eines Bosses der Camorra, Neapels Mafia, hielten sie für relevanter.

Ganz vorne dabei waren in Mailand auch die zwei aussichtsreichsten Kandidaten für den Vorsitz des PD: Maurizio Martina, der ehemalige Landwirtschaftsminister, und Nicola Zingaretti, der Gouverneur der Region Lazio. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen vom 4. März veranstaltete die Partei am Sonntag nun die Wahl des neuen Parteichefs. Etwas spät und zerrissen von internen Intrigen. Gewählt wurde der Nachfolger von Matteo Renzi, dem früheren Parteisekretär. Renzi hatte Italien drei Jahre lang regiert und war dann in Ungnade gefallen.

Selber trat der Florentiner nicht mehr an, doch sein Gewicht in der Partei ist noch immer groß, da die meisten Mitglieder der beiden Fraktionen im Senat und im Abgeordnetenhaus "Renzianer" sind oder einmal waren. Wer auch immer neuer Sekretär werde, sagte Renzi, müsse "keine parteiinterne Guerilla" befürchten, wie er es seinerzeit habe erdulden müssen. Da schwang noch viel Ressentiment mit, verletzter Stolz auch. Immer wieder heißt es, Renzi arbeite daran, eine eigene Partei zu gründen. Er dementiert dies. Wahrscheinlich will er zunächst schauen, wie sich der PD jetzt entwickelt. In den Umfragen steht er bei etwa 19 Prozent.

Die langen Warteschlangen vor den weißen Wahlzelten deuteten darauf hin, dass die Lust an der Partei wieder steigt. Insgesamt 7000 solcher Pavillons aus Stoff hatten die Sozialdemokraten aufgestellt, überall im Land. Der PD ist die einzige politische Gruppierung in Italien, die ihre Spitze bei richtigen Urwahlen im Volk bestellt - mit Wahlzetteln und Wahlhelfern. Beim PD konnte wieder jeder teilnehmen, der in Italien seinen Wohnsitz hat, eine Identitätskarte und zwei Euro für die Organisationskosten bezahlte. Bei früheren Primärwahlen machten jeweils mehrere Millionen mit. Bei Renzis letztem Sieg waren es 1,8 Millionen. Diesmal galt als Ziel: eine Million. Am Ende wählten aber mehr als eineinhalb Millionen. Der Römer Zingaretti, ein moderater Linker, 53 Jahre alt, gewann deutlich. Das "andere Italien" ist gerade dabei, langsam aufzuwachen.

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