Süddeutsche Zeitung

Mittelmeer:Der Deal von Tripolis

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Mehr Erdgas, weniger Migranten: Italiens Premierministerin Giorgia Meloni vereinbart mit Libyen ein großes Investitionsprogramm, das auch als Wiedergutmachung für koloniales Unrecht dienen soll.

Von Mirco Keilberth und Oliver Meiler, Rom, Tunis

In Italien träumt man davon, bald Drehscheibe und Verteilzentrum für Gaslieferungen nach ganz Europa zu sein. Premier Giorgia Meloni ist am Wochenende nach Tripolis gereist, um dort mit dem libyschen Regierungschef Abdul Hamid Dbaiba ein großes Investitionspaket zu unterzeichnen. Mit einem Volumen von 7,4 Milliarden Euro ist es für das nordafrikanische Land sogar das größte seit 25 Jahren. Und natürlich geht es dabei um Erdgas, die Hauptressource Libyens. Italiens Energiekonzern Eni und der staatliche libysche Ölkonzern NOC haben vereinbart, bis 2026 zwei Lagerstätten vor der Küste bei Tripolis und in Ostlibyen zu erschließen, von denen man annimmt, dass sie beiden Ländern bald viel Gas bescheren werden.

Italien versucht mit aller Macht, seine fossilen Energiequellen zu diversifizieren und sich dabei ganz unabhängig zu machen von Russland. Erst vor wenigen Tagen hatte Meloni mit Algerien eine massive Steigerung von Gaslieferungen ausgehandelt. Und wie nun in Tripolis war schon in Algier Claudio Descalzi mitgereist, der Chef von Eni, so etwas wie der Erfinder der Idee eines "Hubs". Descalzi hatte bei einem Auftritt im Parlament 2019 ein erstes Mal davon gesprochen, also lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, dass Italien als Knotenpunkt figurieren könnte, über den Gas aus Ländern wie Algerien, Libyen, Ägypten und Aserbaidschan weiter in den Norden Europas geleitet werden könnte.

Seither hat jede italienische Regierung die Idee weitergetragen. Die Zeitung Domani schreibt, die Geschichte des Hubs sei zu einem beliebten Slogan geworden, obschon niemand genau wisse, welche Vorteile Italien davon habe. Verbilligtes Gas? Eher nicht. Für Eni, an dem der italienische Staat nur 30 Prozent hält, sei der Nutzen offensichtlich: Der Konzern könne noch mehr von seinem in Nordafrika geförderten Gas über noch besser ausgebaute Infrastruktur zu europäischen Kunden bringen.

Wahrscheinlich verspricht sich Rom auch, dass dadurch Italiens politische Rolle im Mittelmeerraum endlich den Ansprüchen genügt, die man da hegt. Gerade in Bezug auf Libyen, die ehemalige Kolonie. Seit Jahren versucht Frankreich, seinen Einfluss auch in Libyen geltend zu machen. Der Deal von Eni mit den Libyern ist deshalb auch ein Triumph über den französischen Rivalen Total. Meloni nannte das Abkommen "historisch".

Noch mehr Schnellboote für die libysche Küstenwache - trotz Kritik

Doch Gas ist nur eines unter mehreren Dauerthemen zwischen Italien und Libyen, der andere Schwerpunkt kreist um die Migration über das zentrale Mittelmeer. Mehrere Hunderttausend Migranten leben zwischen den Küstenstädten Misrata und Zuwara an der tunesischen Grenze und warten darauf, dass sie Platz finden auf einem Boot nach Europa. Trotz der derzeit winterlichen Temperaturen schicken libysche Menschenschmuggler Migranten in einfachen Schlauchbooten auf das Meer. Oft geraten sie dabei in Seenot; wenn sie Glück haben, werden sie gerettet, zum Beispiel von NGOs.

Die Geo Barents von Ärzte ohne Grenzen etwa konnte vergangene Woche 237 Schiffbrüchige retten und hat sie in die norditalienische Hafenstadt La Spezia gebracht: mehr als 1000 Kilometer von der Rettungszone vor Libyen entfernt. Italien hatte der Crew diese Anlaufstelle in Ligurien zugewiesen. Als Argument führt Melonis Rechtsregierung an, dass die Aufnahmecenter für Migranten auf Sizilien und Lampedusa voll seien. Das erklärte Ziel der römischen Regierung ist es, Flüchtlingsschiffe am Ablegen zu hindern. Meloni spricht in diesem Zusammenhang von "illegaler Migration". Nun soll die libysche Küstenwache weiter aufgerüstet werden. Zu deren Flotte von mehreren Dutzend Schnellbooten sollen weitere fünf dazukommen. Bezahlt werden sie von der EU.

Die Kooperation zwischen der libyschen Küstenwache, den westlibyschen Milizen und der Europäischen Grenzschutzmission Eubam ist höchst umstritten. Migranten, die von libyschen Patrouillen geretteten werden, werden in Hallen und Gefängnissen festgehalten - bewacht von den Milizen. Zwangsarbeit und Folter gibt es aber auch in den Lagern, die von der Regierung betrieben werden. Die Chefin der Eubam-Mission, Natalina Cea, will die oft aus ehemaligen Milizionären zusammengesetzten Sicherheitskräfte auf internationalen Standard bringen. Als Meloni in Tripolis war, inspizierte Cea gerade eine Ausbildungseinrichtung für libysche Grenztruppen. Mit deren Chef verständigte sie sich auf ein Trainingsprogramm für mehrere Hundert libysche Beamte.

Die neue Migrationsroute aus Ostlibyen besorgt die Italiener

Vertreter von Flüchtlingsorganisationen in Libyen reagieren mit viel Skepsis auf die europäischen Pläne. Doch ihre Kritik scheint Rom nicht sonderlich zu beeindrucken. Die italienische Regierung ist vor allem besorgt darüber, dass die Zahl übersetzender Fischerboote aus den ostlibyschen Hafenstädten Tobruk und Bengasi in jüngster Vergangenheit stark zugenommen haben. Meist sind es Trawler aus Ägypten, wo eine schwere Wirtschaftskrise schwelt. Die sind viel länger unterwegs als die Schiffe aus den westlibyschen Städten Tripolis oder Zuawara - bis zu einer Woche.

Doch die vielen leeren Strände an der 2000 Kilometer langen libyschen Küste bieten den Schmugglern immer neue Ablegeoptionen, und Passagiere gibt es genügend. "Über soziale Medien werden Zeit, Ablegeort und die Bezahlung der Fahrten festgelegt", sagt der Journalist Ala Drissi aus Bengasi. Das dauere jeweils nur ein paar Minuten. "Gegen eine dermaßen flexible Organisation hat auch eine gut ausgerüstete Armee wie die von Khalifa Haftar keine Chance."

Reporter Drissi vermutet, dass hinter der wachsenden Migration aus Ostlibyen auch ein innenpolitisches Kalkül stecken könnte: Haftars geächtete Armee habe zuschauen können, wie die Italiener die westlibyschen Milizen immer mehr zu Partnern machten, je größer der Migrationsfluss aus Westlibyen wurde. Haftars Einheiten hätten gerne einen ähnlichen Status. Und da sie Teile Südlibyens kontrollieren, wo Migranten aus Zentral-und Westafrika die Grenze überqueren, glauben sie, eine wichtige Karte in der Hand zu halten. Italien hat in Ost-und Südlibyen nun einmal bisher wenige Verbündete.

Es ist alles sehr kompliziert, und Libyen ist gespalten. Italien verspricht nun auch wieder, es werde helfen, das Land politisch zu stabilisieren und dessen Infrastruktur zu modernisieren. Sogar die einst von Silvio Berlusconi versprochene Küstenautobahn will Rom nun endlich bauen. Das Versprechen, als Wiedergutmachung für koloniales Unrecht, liegt zwölf Jahre zurück.

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