Italien und Kinder, das war einmal eine Symbiose. Doch dem Land von mamma mia und bambini geht der Nachwuchs aus, seit Langem schon, und die neuesten Zahlen sind erschreckend. Gerade noch 1,18 Kinder kommen auf jede Frau im gebärfähigen Alter, meldet die nationale Statistikbehörde Istat für das Jahr 2024: Ein neuer historischer Tiefpunkt, der bislang niedrigste Wert von 1,19 aus dem Jahr 1995 wurde unterschritten. Europaweit ist das der Minusrekord, selbst im kinderarmen Deutschland liegt der Wert bei 1,38 (für 2023).
1995 wurden in Italien 526 000 Kinder geboren, im vergangenen Jahr waren es noch 370 000. Die Statistiker melden 281 000 mehr Todesfälle als Geburten. Die klassische Familie hat sich, statistisch gesehen, binnen 20 Jahren von 2,6 auf 2,2 Mitglieder verkleinert. Zugleich werden die Menschen immer älter: Die Lebenserwartung steigt rasch – 2024 lag sie bei durchschnittlich 83,4 Jahren, fünf Monaten mehr als im Vorjahr. Insgesamt leben in Italien heute weniger als 59 Millionen Menschen. Bis 2060 könnte ihre Zahl auf 37 Millionen zurückgehen.
23 Prozent der Italiener sind arm oder von Armut bedroht
Immer weniger junge Menschen, immer mehr Alte: Damit ist das demografische Problem beschrieben, das der drittgrößten Volkswirtschaft Europas zunehmend zu schaffen macht. Es gefährdet die Finanzierung des Sozialsystems und schwächt die wirtschaftliche Dynamik.
Ohnehin ist die soziale Lage im Land schlechter geworden; auch hierzu hat die Istat Zahlen vorgelegt. Danach leben 13,5 Millionen Italiener unter prekären Bedingungen, das heißt, sie erfüllen mindestens eine der folgenden Gegebenheiten: Sie haben im Monat maximal 1000 Euro zur Verfügung, ernähren sich nicht angemessen, können sich unvorhergesehene Ausgaben nicht leisten, sind bei Miet- oder Kreditzahlungen im Rückstand oder haben weniger als 73 Tage im Jahr einen Job. Auf den Punkt gebracht: 23 Prozent der Italiener sind arm oder von Armut bedroht. Italien ist das einzige Land in der EU, in dem die Reallöhne nicht steigen, sondern seit Jahren sinken.
Diese Entwicklung hat viele Gründe: die teilweise schlechte Wirtschaftsstruktur, die Verschuldung des Landes, die hohe Zinsen verursacht, das niedrige Bildungsniveau, die ausufernde Bürokratie. Unternehmen und der Staat zeigen ihren Mitarbeitern wenig Wertschätzung und zahlen schlecht. Der monatliche Durchschnittslohn liegt bei 1800 Euro. Die Perspektiven junger Menschen sind so unattraktiv, dass viele Akademiker das Land verlassen.

Familie:Der Mythos der perfekten Mutter
Von wegen deutsche Helikoptereltern: Aus italienischer Sicht, sagen die Frauen hinter "mamma di merda", machen deutsche Mütter einen schlechten Job. Über den Druck auf Frauen, einem Idealbild zu entsprechen.
„Diskriminierend und schädlich für die Identität des Kindes.“
Die seit mehr als zwei Jahren regierende Rechtsaußenkoalition von Giorgia Meloni, die Familienwerte und die Anliegen einfacher Leute in den Vordergrund ihrer innenpolitischen Programmatik stellt, weiß den Problemen bisher wenig entgegenzusetzen. Im Gegenteil: Sie hat sie durch die weitgehende Abschaffung des Bürgergeldes sogar noch verschärft. Allerdings erbte sie auch gewaltige Haushaltsbelastungen von früheren Regierungen.
Dafür haben die Regierungsparteien eine klare Meinung zu einem Thema, das gerade in der italienischen Familienpolitik heiß diskutiert wird. Der frühere Kulturminister Dario Franceschini, ein Sozialdemokrat, hat einen Gesetzentwurf angekündigt, wonach Neugeborene automatisch den Familiennamen der Mutter tragen sollen, nicht mehr wie bisher den des Vaters. In Italien ist es üblich, dass beide Ehepartner ihren Familiennamen behalten.
Franceschinis Vorstoß bezieht sich auf ein Urteil des Verfassungsgerichts von 2022, wonach es „diskriminierend und schädlich für die Identität des Kindes“ sei, wenn Neugeborene automatisch den Nachnamen des Vaters erhalten. Das Gericht gab dem Gesetzgeber vor, dass Kinder grundsätzlich die Nachnamen beider Elternteile in der von ihnen gewählten Reihenfolge erhalten sollten, es sei denn, die Eltern einigen sich aktiv auf einen Namen. Kurz nach dem Urteil kam Meloni an die Macht, die die Umsetzung des Urteils seither vor sich herschiebt. Deshalb die Idee, einfach den Namen der Mutter vorzuschreiben, auch als „Entschädigung für eine jahrhundertealte Ungerechtigkeit“, so der ehemalige Kulturminister.
„Italien verschwindet“, sorgte sich Elon Musk schon 2023
Wie so oft meldete sich als erster Vizeministerpräsident Matteo Salvini zu Wort. „Das also sind die großen Prioritäten der italienischen Linken“, kommentierte der Chef der rechtspopulistischen Lega auf X und ergänzte mit beißender Ironie: „Natürlich sollten wir diese Väter vom Angesicht der Erde tilgen; auf diese Weise werden wir alle Probleme lösen.“
Der Tweet hätte auch von Elon Musk stammen können, dem US-Tech-Milliardär und X-Eigentümer. Der Vater von mindestens 14 Kindern aus etlichen Beziehungen und Leihmutterschaften liebt Italien, ist häufig dort und ein Freund von Ministerpräsidentin Meloni. Schon Ende 2023 hat Musk sich über die niedrigen Geburtenzahlen alarmiert gezeigt („Italien verschwindet“) und die Italiener vehement zum „Kindermachen“ aufgerufen. Im laufenden Jahr schweigt er allerdings dazu, wohl weil er nun an der Seite von US-Präsident Donald Trump als oberster Sparkommissar ein neues Beschäftigungsfeld gefunden hat.
Elon Musks politisches Engagement schadet ganz offensichtlich seinem unternehmerischen Kerngeschäft – und das spürt man selbst in Italien. Der Absatz seiner Autos geht zurück, auch in Rom sieht man Teslas mit dem Aufkleber am Heck: „Ich habe dieses Auto gekauft, bevor er verrückt wurde“. In der Nacht zum Montag sind im Hof der Tesla-Niederlassung am Stadtrand von Rom 17 Elektroautos teils schwer beschädigt worden, vermutlich durch Brandstiftung. Für Musk ist die Schuldfrage schon klar. Er postete: „Terrorismus“.