Italien:Kapitänin gegen den Capitano

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Die deutsche Kommandantin der "Sea Watch 3" will mit Dutzenden Flüchtlingen an Bord in Italien anlanden. Doch Innenminister Salvini sperrt sich - ein Duell vor den Küsten Lampedusas.

Von Oliver Meiler, Rom

So viel Verantwortung, so jung schon. Carola Rackete aus Hambühren in Niedersachsen ist 31 Jahre alt und Kommandantin der Sea Watch 3, dem Schiff der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation. Die italienischen Medien, die sich in diesen Tagen intensiv mit der Aktivistin auseinandersetzen, nennen sie "Capitana", Kapitänin. Die Zeitung La Repubblica etwa titelte: "Die Kapitänin gegen den Kapitän." Mit "Kapitän" ist Matteo Salvini gemeint, der italienische Innenminister und Vizepremier von der rechten Lega, den die Anhänger "Capitano" rufen. Das Duell der beiden, wenn es denn eines ist, spielt vor den Küsten Lampedusas.

Seit einer Woche treibt und rollt die Sea Watch 3 mit 43 Migranten an Bord nun schon 15 Seemeilen vor der Insel. Noch in internationalen Gewässern, hart an italienischen, und das ist der entscheidende Punkt. Italien verbietet der Sea Watch nämlich, in nationale Hoheitsgewässer vorzudringen und in Lampedusa anzulegen. Blockaden gab es schon früher. Zum ersten Mal droht nun aber dem Kommandanten eines Rettungsschiffs eine hohe Geldstrafe, wenn er sich Italien nähert: zwischen 10 000 und 50 000 Euro.

So steht es in einem neuen Gesetzesdekret, dem "Decreto Sicurezza bis", das Salvini unlängst durch den Ministerrat drückte, um damit seine Befugnisse im Kampf gegen die NGOs zu erweitern. Als Rechtfertigung für die Verschärfung führt das Dekret die "Wahrung von Sicherheit und Ordnung". Gut möglich, dass die Norm gegen die Verfassung verstößt, weil sie die Kompetenzen des Innenministers de facto über internationale Konventionen hinweghebt. Doch bis das geklärt ist, bleibt der Erlass in Kraft. "Von mir aus können die auch bis zum Jahresende dort draußen warten", sagte Salvini. Er bezeichnet Carola Rackete und ihre Crew als "Piraten", "Delinquenten", als "Handlanger der Schlepper".

Gerettet wurden die Migranten am Morgen des 12. Juni. 53 Flüchtlinge saßen auf einem Schlauchboot, das vor der libyschen Küste in Seenot geraten war. Die Sea Watch nahm sie auf und funkte Landungsanfragen an mehrere Länder, unter anderem auch an die Niederlande, unter deren Fahne das Schiff unterwegs ist. Es antwortete: Libyen. Die Sea Watch könne in Tripolis anlanden, hieß es, und das war eine Premiere. Sea Watch schlug das Angebot aus.

Viele ihrer Passagiere hatten davor in libyschen Flüchtlingslagern verbracht, waren misshandelt und gefoltert worden. Libyen insgesamt sei kein sicherer Hafen, sagte Rackete, dorthin würde sie die Migranten nie bringen. Im nordafrikanischen Land herrscht Bürgerkrieg. Außerdem hat Libyen die Genfer Konventionen zum Schutz der Flüchtlinge nie unterschrieben.

Die Sea Watch steuerte deshalb den nächst gelegenen sicheren Hafen an, wie das Seerecht es vorsieht. Und das war Lampedusa. Bevor sie dort ankam, war ein Schiff der Guardia di Finanza vorgefahren und hatte die Mahnschrift aus Rom überbracht. Unterzeichnet war sie nicht nur von Salvini, sondern auch von zwei Regierungskollegen der Cinque Stelle: Transportminister Danilo Toninelli und Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta. Zehn Migranten ließ Italien an Land gehen: Kinder, schwangere Frauen und Kranke. Die Zurückgebliebenen teilen sich nun 50 Quadratmeter an Deck, unter der Sommersonne im südlichen Mittelmeer.

Wie lange noch? Und könnte sich Sea Watch eine Konfrontation mit der Regierung in Rom leisten? Italien droht, das Schiff zu beschlagnahmen, wenn sich die Organisation dem Verbot widersetzt. Auch das steht im neuen Dekret. Rackete berät sich deshalb mit dem Rechtsteam der Organisation. Sie ist erfahren für ihr Alter. Mit 23 hatte sie schon Expeditionen für das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung geleitet, später war sie für Greenpeace aktiv. Seit vier Jahren engagiert sie sich immer wieder in Kurzeinsätzen für Sea Watch, seit vergangenem Jahr auch als Kapitänin.

"Die Menschen an Bord sind immer besorgter", sagt Rackete in einem Video, das die Organisation auf Twitter veröffentlichte. "Wir haben Probleme mit Dehydration, mit Hygiene - wir müssen diese Menschen wirklich schnellstmöglich in einen sicheren Hafen bringen." Doch Rom bleibt hart. Die Sea Watch 3 ist eines der letzten Rettungsschiffe, das noch übrig geblieben ist auf der Fluchtroute durch das zentrale Mittelmeer. Früher waren es mal 15. Mit seinem Dekret hat Salvini sich zum Ziel gesetzt, auch die Sea Watch zu vertreiben. Das Gesetz sei "ad navem", schreiben Italiens Zeitungen, maßgeschneidert also auf das Schiff der Kapitänin.

© SZ vom 21.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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