Italien:Finale für Mafia Capitale

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Italien verbietet packende Namen für Justizverfahren.

Von Oliver Meiler, Rom

Das Leben ist ja manchmal wie ein richtiger Film, fließende Übergänge. Im italienischen Fernsehen läuft gerade die letzte Staffel von Gomorra, der erfolgreichen Serie des Bestsellerautors Roberto Saviano über die Camorra, Neapels Mafia. Die Drehorte, die Sprache, die Figuren - alles so, wie man sich das vorstellen muss. Saviano, der seit vielen Jahren unter ständigem Polizeischutz steht, ist schon oft vorgeworfen worden, er mische den fiktiven Stoff so sehr mit der Realität, dass der in krummen Köpfen wiederum als Vorlage für das wahre Verbrechen dienen könnte. Eine alte Diskussion. Saviano hat den Schrecken der Camorra weltbekannt gemacht, und das kann nicht schlecht sein. Der Titel seines reich dokumentierten Buchs und der Serie, Gomorra eben, spielt mit dem Namen der Mafia und dem Sündenpfuhl aus der Bibel. Sehr catchy.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich aber auch in den Amtsstuben der italienischen Staatsanwaltschaften und in den Kommandozentralen der Kriminalpolizei die Unsitte eingestellt, den Ermittlungsverfahren statt Nummern packende Namen zu geben, solche, wie man sie aus Fernsehen, Kino und den Streamingdiensten kennt. Überall im Land. Mal bedienen sie sich im Reich der Mythologie, mal bei alten Filmen, mal im Religiösen, auch Entlehnungen aus dem Lateinischen kommen nicht zu kurz. Nicola Gratteri, der große Jäger der 'Ndrangheta, nannte eine seiner Operationen gegen die kalabrische Mafia "Stige", also Styx, wie den Fluss der Unterwelt. "Poseidon" hieß eine Untersuchung über den Missbrauch von Fördergeldern aus der Europäischen Union für die Reinigung verunreinigter Gewässer. Und als man in Rom vor ein paar Jahren dachte, eine trübe Bande mit einem einäugigen Boss habe die ganze Stadt unter ihre Kontrolle gebracht, sprachen bald alle von "Mondo di mezzo", Zwischenwelt, und von "Mafia Capitale". Klang griffig, erwies sich dann aber als überzogen.

Als Ursprung des Genres gilt "Duomo Connection" von 1989. So nannte Ilda Boccassini, eine Staatsanwältin aus Mailand, ihre Untersuchung über die mutmaßlich mafiöse Unterwanderung der Lombardei. Und natürlich sollte da "Pizza Connection" mitklingen, die berühmte Operation des FBI gegen die Drogenmafia beider Welten: Sizilien und Amerika. Aus der Mailänder Staatsanwaltschaft kam einige Jahre später auch "Mani pulite", saubere Hände - die Trockenlegung des Korruptionssumpfs aus der Ersten Republik. Ein Spektakel sondergleichen, aufgeführt vor laufenden Kameras. Politiker und Unternehmer, die im Zusammenhang mit "Mani pulite" genannt wurden, waren ihren Leumund schon los, bevor etwas bewiesen war, manche für immer.

Und da liegt das Problem mit den tollen Codenamen: Sie schärfen zwar die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, Folge um Folge, Instanz um Instanz, und machen nebenbei Richter zu Medienstars. Doch das Spektakel hält der Realität des Prozesses nicht immer stand. Angeklagte erweisen sich auch mal als völlig unschuldig. Die italienische Regierung ordnet deshalb nun Nüchternheit an. In einem neuen Dekret heißt es, dass in Kommuniqués und bei Pressekonferenzen zu laufenden Strafverfahren keine Operationsnamen mehr gebraucht werden dürfen, die die Unschuldsvermutung der Angeklagten verletzten. Denn wer den Kopf mal im "Styx" hatte, taucht wohl nie wieder auf.

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