Italien in Europa:Abschied aus der A-Klasse

"Nicht intelligent, aber unterhaltsam": Weil Premier Berlusconi von der EU genervt ist, hat Italien, einst eine der großen Nationen Europas, in Brüssel nichts mehr zu melden.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Als in Brüssel kürzlich entschieden wurde, in welcher Sprache europäische Erfinder künftig ihre Patente anmelden sollen, schlichen die italienischen Unterhändler wehmütig davon. Sie hatten nicht nur hinnehmen müssen, dass die Unternehmen ihres Heimatlandes bald nicht mehr alle Patente in ihrer Sprache lesen können, da lediglich englische, französische und deutsche Übersetzungen verpflichtend vorgeschrieben werden. Viel schlimmer, die Entscheidung, Italienisch unter die Menge der europäischen Sprachen zu mischen, die nur fakultativ übersetzt werden sollen, besiegelte ihrer Meinung nach vor allem: den endgültigen Abstieg Italiens in die europapolitische Bedeutungslosigkeit. "Wir spielen nicht mehr in der A-Klasse Europas", klagt ein EU-Diplomat des Landes in Brüssel.

In den Augen der Italiener fällt die Bilanz verheerend aus. Keiner der Spitzenjobs, die im Laufe der letzten Jahre in Brüssel zu vergeben waren, wurde mit einem ihrer Landsleute besetzt. Zuweilen schickte die Regierung in Rom überhaupt keine Kandidaten ins Rennen. Und falls sie es doch schaffte, durchaus verdienstvolle Italiener zu nominieren, hatten diese am Ende keine Chance. Der frühere Premierminister Massimo D'Alema, vorgeschlagen für das Amt des europäischen Außenministers, fiel zum Beispiel mangels diplomatischer Fürsprache beinahe unbeachtet gegen Catherine Ashton durch. Ähnlich erging es dem langjährigen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Mario Mauro, den die Italiener 2009 nach ganz oben befördern wollten. Trotz einer Woge der Sympathie ging der Plan nicht auf. Was nicht an Mauro, sondern an der Regierung in Rom lag. Beschäftigt mit zahlreichen innenpolitischen Affären, hatte es Berlusconis Stab vergessen, den Kandidaten rechtzeitig nach Brüssel zu melden. Als sein Name fiel, hatten sich die Länder bereits auf den Polen Jerzey Buzek geeinigt.

"Italien interessiert sich zu wenig für Europa", fasst ein EU-Diplomat aus Polen das Desaster zusammen. Sein Land hingegen versuche, sich von der Rettung des Euro bis hin zu den Haushaltsverhandlungen von Anfang an in die Beratungen einzubinden. Die Stimme Roms werde dagegen "in den Diskussionen sehr oft vermisst". Italien sei "vielleicht zu sehr auf kleine, nationale Ereignisse fokussiert", beschreibt er ganz diplomatisch die von Berlusconis ständigen Affären und Krisen geplagte Regierung. Kein Wunder, dass Italien inzwischen weniger Einfluss als Spanien oder Polen habe.

Silvio Berlusconi selbst macht keinen Hehl daraus, dass Europa ihn zuweilen schwer nervt. Die Union brauche gelegentlich einen "Drizzone", also einen Klaps hinter die Ohren, um den richtigen Weg zu finden, erklärte er jüngst nach einem EU-Gipfel. Dass ihn die europäischen Staats- und Regierungschefs dennoch als Gesprächspartner schätzen, liege vor allem daran, "dass er es schafft, die mitunter angespannte Atmosphäre durch Witze zu entschärfen", erzählt ein Teilnehmer. Es sei gut, dass am Tisch "auch einer sitzt, der nicht so superintelligent, aber dafür unterhaltsam ist".

Für die Italiener ist ihr Abstieg ein Desaster. Das Land zählt zu den Gründern Europas und spielte viele Jahre eine führende Rolle. Das ist nicht nur von der Bevölkerungszahl oder der Wirtschaftskraft her völlig gerechtfertigt. Auch politisch hat die EU den Italienern viel zu verdanken. Vordenker wie Altiero Spinelli, Romano Prodi und Mario Monti stehen für mutige europäische Ideen. Noch immer ist Italien das Land, aus dem die meisten Bewerber für einen Job in den europäischen Institutionen kommen. Für sein Land, sagt der italienische EU-Diplomat, sei die EU immer "so etwas wie die Heilige Mutter, egal unter welcher Regierung". Selbst das ständige Stänkern Berlusconis gegen Europa hat die Begeisterung der Italiener nicht umschlagen lassen. Zwar äußern sie neuerdings öfters nationale Interessen als früher, aber noch sind die Zweifler in der Minderheit.

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