Italien:Hart, aber fraglich

Italy's Prime Minister Conte and Interior Minister Salvini hold up pieces of paper with the name of the new decree written on them during a news conference at Chigi Palace in Rome

Richtig strahlt nur einer: Italiens Premier Giuseppe Conte (li.) präsentiert mit Innenminister Matteo Salvini das Dekret mit dessen Namen.

(Foto: Alessandro Bianchi/REUTERS)

Innenminister Matteo Salvini verschärft per Dekret die Lage von Migranten und schränkt ihre Rechte ein. Das könnte mit der Verfassung kollidieren.

Von Oliver Meiler, Rom

Dringlichkeit ist oftmals relativ, ein Empfinden, und ganz praktisch. Die Politik rechtfertigt schnelles Handeln gern mit Dringlichkeit. Es lassen sich damit mühselige Prozeduren und Debatten im Parlament überspringen. Das Instrumentarium der italienischen Politik sieht dafür das sogenannte Gesetzesdekret vor: Es wird vom Ministerrat erlassen und tritt sofort in Kraft, muss dann aber in den folgenden 60 Tagen vom Parlament in ein Gesetz umgewandelt werden, damit es fortdauert.

Matteo Salvini, Innenminister von der rechtsradikalen Lega, hat nun seine Ideen zu "Sicherheit und Immigration" in so ein Dekret gepackt, 43 Artikel insgesamt. Die Rechte der Zuwanderer werden darin gestutzt, die Fonds für ihre Aufnahme gekürzt. Schon die Formel "Sicurezza e immigrazione" offenbart den Geist der Norm: Es wird vermengt, was nicht einfach so vermengt gehört. Und die Dringlichkeit? Der Notfall, so es denn je einen gab, ist längst vorbei: 2017, noch unter Salvinis sozialdemokratischem Amtsvorgänger Marco Minniti und wegen dessen Deals mit Libyen, sind die Überfahrten über das zentrale Mittelmeer stark zurückgegangen - um fast 80 Prozent. 2018 kamen bisher nur 21 000 Zuwanderer in Italien an. Die Zahl der Asylgesuche ist regelrecht eingebrochen.

Salvini konnte also schlecht argumentieren, dass sich das Land dringend einer "Invasion" entgegenstemmen müsse, wie man Zuwanderung in seinen Kreisen gerne beschreibt. Und so rechtfertigte er sein Dekret etwas allgemein mit "Terrorgefahr". Das lässt sich immer sagen. Italien schafft den "humanitären Schutz" ab, die dritte und häufigste Kategorie von Aufenthaltsbewilligungen. 2017 erhielt ein Viertel der rund 80 000 Asylbewerber in Italien einen solchen Bleibeschein. Zum Vergleich: Vollumfängliches Asyl nach den Vorgaben der Genfer Konventionen bekamen im vergangenen Jahr nur 6827 Flüchtlinge, acht Prozent der Bittsteller. Ungefähr gleich vielen, nämlich 6880, gestand man Subsidiärschutz ein, weil sie aus Kriegsländern geflohen waren. 58 Prozent der Gesuche wurden rundum abgelehnt. Salvinis Dekret ersetzt jetzt den humanitären Schutz mit generischen "Sonderbewilligungen" für Menschen, die vor Naturkatastrophen geflohen sind, schwer krank sind, ausgebeutet oder geschlagen wurden. Dauer: ein Jahr.

Einige Erlasse Salvinis kollidieren mit der Verfassung. Andere sind kaum umsetzbar

Viel zu reden gibt auch der Artikel, der davon handelt, wann Italien ein Asylverfahren abbricht oder bereits zugestandenes Asyl wieder aberkennt. Es reicht, dass ein Zuwanderer in erster Instanz wegen Drogenhandels, sexueller Gewalt oder Gewalt gegen Beamte verurteilt wurde. Italiens Rechtsordnung aber sieht drei Gerichtsbarkeiten vor. Solange die oberste Instanz nicht gesprochen hat, gilt die Unschuldsvermutung. So steht es in der Verfassung. Wahrscheinlich schickt daher der Staatspräsident, der das Dekret nun prüft, es zur Korrektur zurück. Kontrovers ist auch Salvinis Ansinnen, eingebürgerten Ausländern die Staatsangehörigkeit wieder zu entziehen, wenn sie wegen terroristischer Aktivität verurteilt wurden. Hat es nie gegeben, wird es so wohl auch nie geben.

Kontrovers ist zudem der Themenbereich rund um den Umgang, Beherbergung und allfällige Abschiebung von Zuwanderern. Im Dekret heißt es, dass ein Großteil der Mittel, die bisher in die Aufnahme flossen, der Rückführung von Migranten ohne Bleiberecht zukommt. Neuerdings sollen Menschen, die in ihre Heimat zurückgebracht werden sollen, doppelt so lange in Abschiebezentren festgehalten werden dürfen, damit sie dann wirklich gehen - sechs statt drei Monate. Doch wirkt die Maßnahme? Italien hat Rücknahmeabkommen nur mit vier Ländern. Kommen nicht weitere dazu, wird es auch mit Salvini nicht mehr Rückführungen geben. Experten vermuten, dass das Dekret nur die Zahl der "clandestini" erhöhen werde, der Zuwanderer ohne gültige Papiere. Und zwar um etwa 130 000, auf einen Schlag.

Abgewertet werden ausgerechnet jene Einrichtungen, die besonders gut funktionierten: In den "Sprar" (Abkürzung für das Asylbewerbersystem), betrieben von den Gemeinden, werden bisher Zuwanderer umsorgt, medizinisch und kulturell, man gibt auch Sprachkurse. Nun sollen nur noch unbegleitete Minderjährige und Menschen mit bewilligtem Asylschutz in den Sprar versorgt werden. Alle anderen, auch aussichtsreiche Asylbewerber, werden in großen Auffanglagern untergebracht, die der Staat verwaltet - mehr oder weniger.

Nachdem die Regierung das Paket verabschiedet hatte, trat der Innenminister mit Premier Giuseppe Conte vor die Medien. Es gab Fotos der beiden, wie sie nebeneinander stehen und ein Blatt Papier in die Luft halten: "#decretosalvini", steht darauf. Salvini grinst, Conte schaut trüb drein. Salvini nahm das Foto, schnitt Conte weg und postete es in den sozialen Medien. Er hat mal wieder auf der ganzen Linie gewonnen und alles durchgebracht, was ihm wichtig war.

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