Am Ende der politischen Sommerpause beginnt sich die Hauptstadt Rom wieder zu füllen. Das ist der jährlich wiederkehrende Moment in der italienischen Politik, an dem sich die Wege trennen bei all den Themen, die aus den Urlaubsrefugien heraus aufgeregt diskutiert worden sind. Was war Sommertheater, was wird folgenreich auch im weiteren Jahresverlauf?
Ein Thema, welches das Potenzial für mehr hat, ist die Neuausrichtung der Forza Italia, neben der Lega einer der beiden kleinen Koalitionspartner von Giorgia Melonis Rechts-Regierung. Deren Postfaschisten von den Fratelli d’Italia führen das parteipolitische Feld bisher mit Abstand an. Beide Mitregenten liegen gemessen an Wahlergebnis und Umfragen weit zurück – sie verharren bei je rund neun Prozent, sind aber groß an Selbstbewusstsein.
Berlusconis Kinder nehmen verstärkt Einfluss auf die Partei
Wobei die Lega das immanent immer ist, seit sie der streitbare Rechtspopulist Matteo Salvini anführt, während die früher bedeutende Forza Italia durch den Tod des Gründers und Übervaters Silvio Berlusconi vor einem Jahr stark verunsichert worden ist und ihre neue Rolle noch sucht. Berlusconis enger Mitarbeiter und Nachfolger Antonio Tajani, im Hauptberuf Außenminister, übernahm bei einem außerordentlichen Parteitag 2023 sichtlich angespannt eine Partei, der manche Beobachter schon das Totenglöckchen läuteten. Dafür ist sie aber noch recht lebendig.
Wie zu erwarten, nehmen Berlusconis Kinder verstärkt Einfluss auf die Partei, die der Vater, Bau- und Medienmilliardär, gründete, als er beschloss, in die Politik zu gehen. Forza Italia ist vom Geld der Berlusconis abhängig, von ihrem Netzwerk und ihrem Wohlwollen. Von den fünf Kindern des Patriarchen sind in diesem Zusammenhang zwei maßgeblich: die älteste Tochter Marina, 58, und ihr Bruder Pier Silvio, 55, beide aus der ersten Ehe des Vaters; sie führen verantwortlich auch die unternehmerischen Geschäfte des weitverzweigten Familienkonzerns. Beide haben beteuert, nicht in die Politik gehen zu wollen, äußerten sich aber zuletzt auffallend offensiv – und zwar auf eine Art und Weise, die der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht gefallen kann, die ein politisches Ziehkind Berlusconis war und sich der guten Beziehungen zur Familie immer gerühmt hat.
Die erschreckend schnell schrumpfende Gesellschaft braucht neue Arbeitskräfte
So hat das neue Familienoberhaupt Marina Berlusconi, als Vorsitzende der Finanzholding des Mischkonzerns mit Namen Fininvest, vor dem Sommer in einem aufsehenerregenden Interview fortschrittliche Positionen in Fragen der Frauenrechte und der politischen Rahmenbedingungen für LGBTQ-plus erkennen lassen, ein klarer Widerspruch zu Meloni mit ihrem extrem konservativen Familienbild. Man vermutet, dass die Berlusconi-Tochter auch hinter dem neuen Schwenk der Partei in der Migrations- und Einwanderungspolitik steht.
Unter dem Stichwort „Ius scholae“ ist die Forza Italia inhaltlich faktisch ins Lager der Opposition übergelaufen, die eine schnelle Einbürgerung von in Italien aufgewachsenen Zuwanderer-Kindern fordert. Diese sollen die italienische Staatsbürgerschaft erhalten können, wenn sie lange genug – im Gespräch sind fünf bis zehn Jahre – italienische Schulen besucht haben. Das ist ein auch in Wirtschaftskreisen beliebter Vorschlag, denn die erschreckend schnell schrumpfende italienische Gesellschaft braucht dringend neue Arbeitskräfte.
Meloni lässt gerade in Albanien ein Lager für auf See aufgegriffene Flüchtende bauen
Eine schnellere und umfassendere Migration, diese Idee ist aber Salvini und Meloni fremd, deren politisches Trachten darauf konzentriert ist, Migranten von Italien fernzuhalten. Meloni lässt dazu gerade in Albanien ein Lager für auf See aufgegriffene Flüchtende bauen, Salvini legt sich in seinen Tweets regelmäßig mit den privaten Seenotrettern an, die durch ihre Anwesenheit auf hoher See die Flüchtenden überhaupt erst in Versuchung führten, sich auf die gefährlichen Fluchtrouten zu begeben.
Ius scholae also – Forza-Italia-Chef Tajani hat sich diesen Vorschlag jetzt zu eigen gemacht und damit erstmals klar die Linie der gemeinsamen Rechts-außen-Koalition verlassen, auch wenn er die Treue zur Koalition beteuert. Auch hat er sich gerade bei mehreren Treffen mit der Spitze der katholischen Kirche als Garant christlicher Themen in der Koalition profiliert – eine Rolle, die eigentlich Meloni reklamiert, die engen Kontakt mit Papst Franziskus pflegt.
Im armen Süden befürchtet man, endgültig abgehängt zu werden
Zwar steht die Einbürgerung nicht im Koalitionsvertrag, aber Tajani argumentiert damit, dass diese Maßnahme durch die Verpflichtung zur Förderung der sozialen Eingliederung gedeckt ist. Meloni muss sich darum ebenso kümmern wie um andere strittige Themen, etwa die Besetzung von Führungspositionen bei der öffentlich-rechtlichen Senderfamilie Rai. Die will die Koalition auf Regierungskurs bringen, was auch dazu führt, dass immer mehr profilierte Journalistinnen und Journalisten die Rai verlassen und sich teilweise ausgerechnet den früher verfemten Privatsendern von Berlusconi anschließen, die unter Sohn Pier Silvio ungeahnte pluralistische Signale senden – und damit Marktanteile gewinnen.
Es ist auch auffällig, wie viel Kritik sich Tajani neuerdings an einem Projekt erlaubt, das die Regierung bisher einigermaßen einvernehmlich vorangetrieben hat: der Staatsreform, die den Regionen mehr Autonomie bringen soll. Das ist ein altes Lieblingsthema von Salvinis Partei, die ja mal als Separatistenbewegung Lega Nord der reichen Nordprovinzen begonnen hat. Im armen Süden wird das kritisch gesehen, denn dort befürchtet man endgültig abgehängt zu werden. Mehr Autonomie heißt eben mehr Verantwortlichkeit. Es kann aber auch heißen: weniger Solidarität innerhalb des Landes.