Italien:Giorgia Melonis Video aus dem Palazzo Chigi

Italien: Studenten protestieren mit Rauchbomben und Transparenten am diesjährigen Tag der Arbeit in Rom.

Studenten protestieren mit Rauchbomben und Transparenten am diesjährigen Tag der Arbeit in Rom.

(Foto: Matteo Nardone/Imago)

Die römische Regierungschefin erfindet die politische Kommunikation neu: Sie dreht ein Video von ihrem ganz persönlichen "Tag der Arbeit". Die Gewerkschaften fühlen sich brüskiert.

Von Marc Beise, Rom

Man muss sich nur mal kurz vorstellen, das hier wäre Olaf Scholz: Der deutsche Kanzler würde drei Minuten lang seine neuesten Regierungspläne in wohlgesetzte Worte kleiden, während er in bester Netflix-Manier der Kamera durch die Räume des Kanzleramts folgt. Am Ende des Videos wäre er im Kabinettssaal angekommen, um im Kreise der dort schon wartenden Minister mit einem letzten Gruß ans Publikum Platz zu nehmen.

Schwer vorstellbar? Sogar im politisch abwechslungsreichen Italien erinnern sich selbst langjährige Korrespondenten an nichts Vergleichbares. Aber Giorgia Meloni ist immer wieder mal für eine neue Seite der politischen Kommunikation zu haben. Also spaziert sie, die seit gut einem halben Jahr an der Spitze einer Drei-Parteien-Konstellation regiert, durch ihren Amtssitz, den Palazzo Chigi gegenüber der Marc-Aurel-Säule mitten in Rom, immer in Tuchfühlung mit der Videokamera. Die Stimmlage didaktisch variierend, die Hände unterstützend nach allen Regeln der rhetorischen Kunst, geht sie durch Zimmerfluchten mit historischem Mobiliar, vorbei am Regierungsschreibtisch, bis zu einer letzten, noch verschlossenen Tür.

Die Regierung ermöglicht mehr prekäre Arbeitsverhältnisse

Hier ist ihre Erklärung der Maßnahmen, die gleich beschlossen werden sollen, punktgenau beendet: "An die Arbeit jetzt", sagt Giorgia Meloni und öffnet die Tür zum Ministerratssaal. Und tatsächlich sitzt da im großen Rund die gesamte Regierung, alle Ressortchefinnen und -chefs, und sie warten ergeben, ohne groß aufzublicken, nur Außenminister Antonio Tajani schenkt ihr ein leicht verlegenes Lächeln - oder lächelt er belustigt? Die Ministerpräsidentin, die ja ausdrücklich als Ministerpräsident, also in der männlichen Form, angesprochen werden will, geht entschlossen auf ihren Platz, greift zur Glocke, grüßt noch einmal schelmisch zurück in die Kamera, und los geht's.

Die Koalition der drei rechten Parteien ist unter anderem gewählt worden, weil sie wirtschaftsfreundliche Maßnahmen versprach. Die setzt sie jetzt um. So wird es Unternehmen erleichtert, befristete Arbeitsverhältnisse von ein bis zwei Jahren zu schließen. In der Tourismusbranche sind auch für ältere Mitarbeiter wieder Praktika erlaubt. Arbeitslosen, die nicht an staatlichen Maßnahmen teilnehmen, werden bestimmte Sozialleistungen gekürzt. Untere Einkommen sollen steuerlich entlastet werden, dafür setzt die Regierung drei Milliarden Euro ein, laut Meloni die "bedeutendste Steuerentlastung der letzten Jahrzehnte", die dem Einzelnen bis zu 100 Euro pro Monat bringen könne.

Das alles soll mehr Menschen Jobs verschaffen, aber es erhöht natürlich auch die Zahl der in Italien ohnehin häufigen prekären Arbeitsverhältnisse. Die Parteien der Mitte und links davon kritisieren das Paket deshalb als Flickwerk an der falschen Stelle und fordern stattdessen unter anderem eine umfassende Steuerreform. Aber auch die Art und Weise, wie die Maßnahmen beschlossen wurden, stößt ihnen auf.

Den politischen Gegner mitzunehmen, davon hält Meloni wenig

Das Video war nicht der einzige Clou aus dem Hause Meloni. Ein weiterer war die Wahl des Termins. Die Kabinettssitzung, zu der die Regierungschefin da so filmreif schreitet, fand nämlich ausgerechnet am 1. Mai statt. Am "Tag der Arbeit" haben auch in Italien vor allem die Gewerkschaften die Deutungshoheit. Sie richten traditionell vor der Basilika San Giovanni in Laterano ein gewaltiges, kostenloses Open-Air-Spektakel aus.

Maurizio Landini, Sekretär der wichtigen Gewerkschaft CGIL, nennt die Entscheidung, das Kabinett am 1. Mai tagen zu lassen, "arrogant und beleidigend". Aus der Regierung heißt es süffisant: "Wir bringen für den Arbeitsmarkt Maßnahmen auf den Weg. Die Linke besucht Konzerte." Den politischen Gegner mitzunehmen, davon halten Meloni und ihre Leute erkennbar wenig. In Deutschland hätten sich Scholz oder auch Merkel ausführlich mit den Gewerkschaften beraten. In Italien gab es nur ein beiläufiges Treffen - am Abend vor der Kabinettssitzung.

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