Italien:Mehr als ein väterlicher Wutanfall

Italien: Beppe Grillo ist für emotionale Reden bekannt, diesmal auch in eigener Sache.

Beppe Grillo ist für emotionale Reden bekannt, diesmal auch in eigener Sache.

(Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo spricht in einem Video seinen Sohn vom Vorwurf der Vergewaltigung frei. Die Empörung darüber ist gewaltig.

Von Andrea Bachstein, München

Wild fuchtelt er mit den Händen, haut auf den Tisch, schreit, es hebt ihn vom Stuhl, dass die graue Mähne wippt - sein Sohn sei unschuldig, ruft der Vater, der seine zum Wutausbruch geratene Verteidigungsrede Anfang der Woche auf Facebook veröffentlicht hat. Das Video, keine zwei Minuten lang, ist zum Politikum geworden in Italien, Vertreter aller Parlamentsparteien haben sich dazu geäußert, fast alle empört. Denn der tobende Vater ist Beppe Grillo, Gründer und nun "Garant" der Fünf-Sterne-Bewegung. Was er gesagt hat, erscheint nicht hinnehmbar von einer prominenten Figur der Politik. Die Sterne trifft das mitten im Anlauf des neuen Cinque-Stelle-Führers, Ex-Premier Giuseppe Conte, die zerstrittene Bewegung neu aufzustellen.

Grillos Ausraster berührt sogar die Zusammenarbeit der Sterne mit dem sozialdemokratischen PD, die beide Premier Mario Draghis Regierung stützen. Conte ging zwar auf Distanz zu Grillos Aussagen, die PD-Chef Enrico Letta "inakzeptabel" nannte. Aber Medien fragen schon, ob die Fünf Sterne angesichts des verworrenen, nun von Grillos Video angereicherten Gesamtbilds als Regierungspartei taugen können.

Die Vorgeschichte ist hässlich. Grillos Sohn Ciro, 21, ist wie drei andere junge Männer der Vergewaltigung beschuldigt. Die Ermittlungen sind beendet, nun erwartet man, ob es zum Prozess kommt in Tempio Pausania auf Sardinien. Dort brachten die vier im Juli 2019 nach einer Nacht im Promi-Nachtclub Billionaire in Porto Cervo an der Costa Smeralda zwei junge Frauen in Grillos Ferienvilla. Gegen deren Willen sollen sie Sex mit einer damals 19-Jährigen aus Mailand ausgeübt haben, so der Vorwurf. Italienische Medien berichteten unter Berufung auf Ermittlungsakten, die junge Frau sei an den Haaren festgehalten und gezwungen worden, einen halben Liter Wodka zu trinken. Auch an der schlafenden zweiten Frau sollen sexuelle Handlungen verübt worden sein. Es soll Handyaufnahmen geben. Ciro Grillo und die anderen bestreiten die Vorwürfe. Es habe sich ihrer Aussage nach um einvernehmlichen Sex gehandelt.

Berufskomiker Beppe Grillo ruft nun in dem theatralischen Videoauftritt, sein Sohn und die anderen seien Blödmänner, sie könnten gar keine "Serienvergewaltiger" sein, wie Zeitungen es darstellten. Laut Gesetz würden Vergewaltiger ins Gefängnis gesteckt oder in Hausarrest. Warum also seien die vier seit zwei Jahren auf freiem Fuß, fragt er und antwortet - offenbar an die Justiz gerichtet - selbst: "Weil ihr gemerkt habt, dass nichts wahr daran ist, es habe eine Vergewaltigung gegeben. Weil sie nichts damit zu tun haben." Und weiter: "Weil es euch seltsam vorkam, dass eine Person, die morgens vergewaltigt wird, nachmittags Kitesurfing macht und nach acht Tagen Anzeige erstattet. Das ist seltsam."

Anwältin des mutmaßlichen Opfers: "Wir sind am Boden zerstört."

Für diesen Auftritt prasselt Kritik auf Grillo aus jeder politischen Richtung, selbst in der Abgeordnetenkammer kam das Video zur Sprache. Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano ergriff das Wort, die nationale Richtervereinigung ANM verurteilte das Video. Tenor aller Vorwürfe: Grillo stelle ein mögliches Vergewaltigungsopfer als unglaubwürdig dar, verharmlose in Macho-Art, ignoriere den hart erkämpften anderen Umgang der Justiz mit Vergewaltigungsopfern. Er missachte die Justiz, nutze seine Prominenz aus. Grillo wird daran erinnert, wie hart er selbst andere öffentlich verurteilt hat, gegen die ergebnisoffene Ermittlungen liefen. Und daran, dass die Fünf Sterne an dem Gesetz mitwirkten, das die Frist von sechs auf zwölf Monate verlängert, in der nach einer Vergewaltigung Anzeige erstattet werden kann.

"Skandalös", voll männlichem Chauvinismus sei das Video, sagte etwa Maria Elena Boschi, Ex-Ministerin und Fraktionschefin der Partei Italia Viva. Grillo nutze seine Medienmacht, um nahezulegen, die junge Frau sei eine Lügnerin, weil sie nicht sofort Anzeige erstattete. Das treffe alle Frauen, die Gewaltopfer sind. Zudem sei es juristisch falsch, dass die Unschuld der Verdächtigen belegt sei, weil sie nicht inhaftiert sind. "Schäm dich, Grillo", schließt Boschi ihr Twitter-Video.

Grillo trägt bei den Fünf Sternen den Titel "Garant", als eine Art Übervater kann er sich nur selbst entmachten. Nun sorgen sich viele in der Bewegung, dass er ihr das Ansehen beschädigt, auch wenn einige Exponenten Verständnis für den aufgewühlten Vater zeigten. Das tat auch der neue Parteichef Conte, fügte aber mit Blick auf die junge Frau und ihre Familie hinzu, dass es in dieser Sache andere Menschen gebe, "die geschützt werden müssen und deren Gefühle absolut zu respektieren sind". Und stets gelte das Grundprinzip, Unabhängigkeit und Arbeit der Justiz zu achten. Das Video bringt Conte in Verlegenheit, Garant des neuen Statuts, mit dem er die Fünf-Sterne wiederbeleben will, ist Beppo Grillo.

Beim Koalitionspartner PD atmete man auf, als Conte sich distanzierte von Grillo. Denn in der Partei fragten einige, ob man weiter eine strategische Partnerschaft mit den Sternen anstreben könne. Die PD-Führung betonte, Conte sei ihr Verhandlungspartner, nicht Grillo. Vize-PD-Chef Peppe Provenzano twitterte: "Grillos Worte sind unannehmbar, volle Solidarität mit der verunglimpften jungen Frau." Die Fünf Sterne sollten ihren Wandel beschleunigen und Rechtsstaatsprinzipien beherzigen.

Die Eltern der jungen Frau ließen ihre Anwältin, die in Italien bekannte Strafverteidigerin Giulia Bongiorno, erklären: "Wir sind am Boden zerstört." Ein Spektakel auf dem Rücken anderer sei abstoßend. "Das Opfer auf die Anklagebank zerren zu wollen, sie herabzusetzen, ihr Leid lächerlich zu machen, die Verzweiflung und die Angst des Opfers und der Angehörigen, das sind armselige, altbekannte Strategien."

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