Süddeutsche Zeitung

Italien:Roms Streit mit Brüssel war geplant

Den regierenden Populisten war völlig klar, dass die EU-Kommission ihre Haushaltspläne würde ablehnen müssen. Mit der Konfrontation senden sie eine Botschaft an die Italiener.

Von Oliver Meiler, Rom

Für Italiens Populisten ist die Botschaft, die sie ihrem Volk zukommen lassen, so wichtig, dass sie manchmal sogar bei ihren kulinarischen Vorlieben flunkern. Man will ja nicht abgehoben wirken. Als Matteo Salvini am vergangenen Sonntag zu später Stunde das Restaurant "Da Sabatino" beim Pantheon verließ, wo er gerade mit den beiden Regierungskollegen Luigi Di Maio und Giuseppe Conte gegessen hatte, sagte er zu den wartenden Reportern: "Wir hatten großen Hunger, es gab einen Teller Fettuccine." Das sind breite, römische Nudeln, normalerweise an Fleischsoße. Da treffen sich also die beiden mächtigen Vizepremiers von Lega und Cinque Stelle und der Chef der "Regierung des Wandels" zum Dinner, und was essen sie? Pasta, bodenständig.

Eine Fernsehsendung hatte nun die gute Idee, bei der Wirtin nachzufragen. "Primi", sagte die, habe sie gar keine aufgetragen, dafür Antipasti: Auberginen, Peperoni, Zucchine. Dann, übergangslos, einen Secondo: Rinderfilet "Chateaubriand" mit Gemüse. Zum Schluss Kaffee. Natürlich ist es nicht so relevant, was die Herrschaften essen. Doch kurios ist es schon, dass Salvini vorgibt, sie hätten Heißhunger gehabt und Fettuccine kredenzt bekommen, als wären sie Bauarbeiter. Am Ende ist Propaganda halt alles.

So muss man auch die Totalkonfrontation lesen, die sich Lega und Cinque Stelle nun wegen ihrer überzogenen, mit viel zu viel Defizit beladenen Haushaltspläne mit Brüssel liefert. Man hatte sich den Streit innig gewünscht, und zwar nach genau diesem Skript. Die Zeitung Corriere della Sera schreibt: "Die Regierung hat nach einer Ablehnung ihres Haushalts geschrien." Jedenfalls war allen klar, dass die europäischen Kommissare gar nicht anders konnten, als diesen Etat mit 37 Milliarden Euro Neuverschuldung und einer viel zu optimistischen Wirtschaftsprognose abzulehnen: Er war nämlich als Regelbruch inszeniert, als Provokation. Die Entscheidung, den Streit eskalieren zu lassen, fassten die drei Herren im "Sabatino" beim Pantheon. Mit Chateaubriand.

Er hat fast nur taktische und politische Motive, da sind sich die Analysten einig. Das italienische Volk soll sehen, dass sich Rom unter dieser Regierung nicht mehr klein macht, dass es seine Gestaltungshoheit zurückholt. Egal, was einmal beschlossen und unterschrieben wurde. Egal auch, ob man es sich leisten kann, Geld zu verteilen. Bürgereinkommen, Steuerreduktionen, bessere Renten? Wenn Brüssel das nicht genehm ist, sagen sie, dann ist das nur ein weiterer Beweis dafür, dass sich die "Eurobürokraten" nicht um das Wohl der europäischen Bürger scheren, den armen und bedürftigen zumal, sondern nur um das Wohl der Banken, der Mächtigen, des Systems. Das ist die Botschaft, unterlegt mit Schimpftiraden.

Lega und Cinque Stelle hoffen, dass das Duell noch bis zu den Europawahlen im Mai weitergeht

Salvini, Di Maio und Conte wiederholen ständig, Brüssel sei zerfressen von "Vorurteilen" gegen Italien; Frankreich und Deutschland würden nie so hart angefasst. Hinweise auf die dramatische Staatsverschuldung Italiens wischen sie mit einem Lächeln weg. Lega und Fünf Sterne sind sich in vielen Sachfragen uneinig: Bei der Bestimmung ihrer Gegner aber sind sie oft ein Herz und eine Seele. Auf die EU und den Euro einzudreschen, ohne die eine noch den anderen verlassen zu wollen - das geht ganz einfach. Italien hat nämlich gerade keine Opposition, die dagegenhält. Die europafreundlichen Sozialdemokraten haben sich noch immer nicht erholt von ihrer Niederlage im März und geben sich stattdessen epischen Grabenkämpfen hin. Den Populisten gehört die ganze Bühne. Und so konnte Salvini nach der Ablehnung des Budgetplans unwidersprochen sagen: "Die Kommissare attackieren nicht die Regierung, sondern das italienische Volk." Als wäre das eins. Er sagte auch noch: "Brüssel kann uns bis Weihnachten Briefe schreiben, doch wir werden den Haushalt nicht mehr verändern." Bis Weihnachten also.

Zeit ist ein zentraler Faktor in den Überlegungen. Lega und Cinque Stelle rechnen sich aus, dass dieses Duell mit der Europäischen Union noch einige Monate fortdauert, idealerweise bis zu den Europawahlen im kommenden Mai. Die Populisten hoffen, dass sie dann die Europäische Union, wie man sie kennt, mit ihren alten Parteien und alten Gleichgewichten, auf den Kopf stellen können. Salvini sagt, der Verbund der "Souveränisten" Europas hätten gerne, dass er sie als Spitzenkandidat in die Wahlen führt. Er ist ihr neuer Star, so er denn standhaft bleibt.

Ihre große Gunst im Volk werden die römischen Populisten wohl nur dann behalten, wenn sie bis zum Frühjahr mindestens einen Teil ihrer Wahlversprechen auch tatsächlich umgesetzt haben: ein bisschen Bürgergeld, ein bisschen bessere Renten, Steuerreduktion für Kleinfirmen. "Detto, fatto", sagen die Italiener. Gesagt, getan. Und das geht nur, wenn sie die veranschlagten Milliarden Neuverschuldung auch durchbringen.

In Italien kommt der trotzige Geist gut an, manche halten ihn gar für revolutionär: Umfragen zeigen, dass die beiden Parteien zusammen mittlerweile mehr als sechzig Prozent der Italiener hinter sich wissen. Fast ebenso viele finden, der Etat der Populisten sei gut geschnürt, was nicht wirklich überrascht. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die Europäische Union. Es ist, als gehe alles auf, gäbe es in diesem gewagten Spiel nicht eine große Unbekannte, einen externen Faktor, der jederzeit alles sprengen könnte. Morgen, in einer Woche, bis Weihnachten. Schnellen nämlich die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen bald noch viel stärker in die Höhe und zerreißen die Banken, stehen die Populisten plötzlich nackt da. Mit verzocktem Kapital und ohne Alibi.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2018
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