Süddeutsche Zeitung

Italien:Salvini deutet Entgegenkommen im Haushaltsstreit an

  • Italiens Vize-Premier und Innenminister deutet ein Einlenken im Haushaltsstreit mit der EU an.
  • Ein Halbsatz wird von Beobachtern so interpretiert, dass Italien bereit ist, die Defizitquote im Budget für 2019 von 2,4 auf 2,2 Prozent zu senken.
  • Die Mailander Börse legte deshalb am Montag stark zu.

Von Oliver Meiler, Rom

Ein scheinbar achtlos hingeworfener, schlecht formulierter Satz verändert das Machtspiel zwischen Rom und Brüssel über den italienischen Haushalt und verhilft der Mailänder Börse zu einem seltenen Höhenflug. Plötzlich, nach Wochen gezielter Tiraden und Provokationen. Gesprochen hat ihn Matteo Salvini, der stets mitteilsame Vizepremier und Innenminister von der rechten Lega, der allerdings selten ohne genauen politischen Plan redet, mag es zuweilen auch beiläufig daherkommen. "Ich glaube nicht, dass sich da jemand verkopft", sagte Salvini zur geplanten Neuverschuldung der Regierung. "Wenn ein Etat einem Land dabei hilft zu wachsen, dann kann es 2,2 oder 2,6 sein, das ist keine Frage der Dezimalstellen, es geht da nur um Ernsthaftigkeit und ums Konkrete."

Wichtig an diesem Satz ist nur die erste Zahl: 2,2. Gemeint sind 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als mögliche Defizitquote im Budget für 2019. Bisher galt der populistischen Regierung Italiens 2,4 als heilig, als unverhandelbar. Wie ein Totem stand die 2,4 im Raum, wochenlang. Keinen Millimeter werde man weichen, hieß es. Man lasse sich doch von Bürokraten in Brüssel und von Spekulanten an den Finanzmärkten nicht vorschreiben, wie man den Haushalt des Landes gestalte. Regeln, Vereinbarungen, wirtschaftliche Logik? Alles egal. Dass noch mehr Schulden auf den schon immensen Schuldenberg Italiens geladen würden, war nicht so wichtig.

Unvergesslich sind die Bilder vom Balkon des Palazzo Chigi, Sitz der italienischen Regierung, als sich das Kabinett auf diese 2,4 Prozent geeinigt hatte. Luigi Di Maio, Chef der Cinque Stelle und ebenfalls Vizepremier, stand da mit breitem Lachen im Gesicht und spreizte die Finger beider Hände zum Siegeszeichen. "Wir haben's geschafft", rief er der kleinen Schar von Anhängern zu, die ihm von unten zuwinkte. Er sagte auch: "Mit diesem Haushalt schaffen wir die Armut ab." Mehr Defizit, einfach mal so entschieden - darin sollte das Zeug für eine Revolution stecken, für den versprochenen "Wandel". Das war am 27. September, in einer milden Spätsommernacht. Den Moment umwehte das offenbar beschwingende Gefühl, dass man es Brüssel einmal zeigen werde.

Die Märkte deuteten Salvinis Satz bereits als Kapitulation

Die Euphorie ist verflogen. Brüssel blieb hart, und die Populisten weichen ihre Position auf. Die Märkte deuten Salvinis Satz bereits als Kapitulation: Die Mailänder Börse wuchs am Montag stark, vor allem die Banktitel legten zu; und der Spread, also die Zinsdifferenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen, sank nach langer Zeit erstmals wieder unter die Schwelle von 300. Natürlich soll es aber nicht so aussehen, als gebe die Regierung klein bei. Darum sagt Di Maio: "Das sind nur Zahlenspielchen, uns geht es nicht um Zahlen, sondern um die Bürger." Die Regierung werde neu rechnen, und am Ende bleibe alles beim Alten: Die Anzahl derer, die einen Bürgerlohn bekommen würden, werde gleich bleiben. Und all jene, die mit 62 schon 38 Beitragsjahre geleistet hätten, würden sofort in Pension gehen können. Sagt Di Maio.

Eine Korrektur von 0,2 Prozent, wenn es sich denn tatsächlich um 0,2 Prozentpunkte handelt, sind etwa 3,5 Milliarden Euro, die dem einen oder anderen Budgetposten fehlen werden. Aber welchem? Bei der Lega sind sie der Meinung, dass der Bürgerlohn der Fünf Sterne gestutzt gehört und stattdessen ihre Steuerreduktionen für die Firmen vor allem im Norden des Landes erhöht werden müssten. Am Streit darüber könnte die Regierung zerbrechen.

Es gibt mehrere Theorien dazu, warum die Populisten gerade jetzt nachgeben. Die Dynamik aber, die dazu führte, lässt sich leicht und logisch nachzeichnen. Die Verunsicherung über den politischen Kurs Italiens hat die Investoren verschreckt. Der Spread stieg dramatisch. Das wiederum drückte schwer auf die Bücher der eben erst wieder genesenen italienischen Banken: Die sind voll mit italienischen Staatsanleihen. Die Banken begannen, ihre Leiden auf die Kunden abzuwälzen: Die Kredite wurden teurer, sowohl für Unternehmen wie auch für Immobilienkäufer - eine Katastrophe für die selbsternannte "Regierung des Volkes". Der hohe Spread verbrannte Milliarden seit jenem milden, beschwingten Spätsommerabend.

Der Flop mit den Staatsanleihen

Vergangene Woche gab es erste klare Anzeichen dafür, dass die Italiener am Kurs zweifelten. Das Schatzministerium versuchte, Staatsanleihen für 7,7 Milliarden Euro zu verkaufen. Die Papiere waren auf Kleinanleger im Land zugeschnitten. Doch die Italiener zeichneten nur Scheine für 2,2 Milliarden, ein grandioser Flop war das. Das Misstrauen der internationalen Großinvestoren hatte die italienischen Anleger angesteckt. Selbst Europaminister Paolo Savona, ein Falke unter den Eurokritikern der Regierung, fand nun, man könne nicht so weitermachen, der Haushaltsplan sei "unhaltbar", er denke über den Rücktritt nach. Das war der Weckruf.

Salvini und Di Maio hatten lange gehofft, die Europäische Union würde sich biegen lassen und Italien schon nicht in ein Defizitverfahren schicken. Nun hoffen sie wohl, dass man sich in Brüssel mit nur 0,2 Prozentpunkten weniger Neuverschuldung zufriedengibt. Doch das ist alles andere als sicher.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2018/saul
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