Süddeutsche Zeitung

Italien:Erste Hilfe für die mit leeren Tellern

Arme trifft die Corona-Krise in Italien besonders - und auch jene, die sich mit Schwarzarbeit durchgeschlagen haben.

Von Oliver Meiler, Rom

Kippt die Stimmung? In Süditalien, das bislang vom Virus einigermaßen verschont geblieben ist, geht wegen des Shutdowns der Wirtschaft, der legalen und de facto auch der illegalen, gerade sehr vielen Bürgern das Geld aus. Im Netz zirkulieren Videos von verzweifelten Menschen an Supermarktkassen, die ihre Besorgungen nicht bezahlen können, die Hunger haben, sich Essen aber nicht mehr leisten können. Ein Mix aus Angst und Wut, der sich da und dort Bahn bricht und die italienische Regierung nun zu schnellem Handeln veranlasste.

Eines dieser Videos kommt aus Neapel, aufgenommen mit einem Handy. In der ersten Einstellung zeigt es den Einkauf von Giuseppe, es ist ein kleiner Haufen am Ende des Fließbands: Teigwaren, Tomatensoße, Öl. Der Mann ist um die vierzig, wegen Corona trägt er eine Schutzmaske. Als er zahlen soll, sagt er zur Kassiererin, er habe leider kein Geld. Dann kommen die Leute vom Sicherheitsdienst. "Ruft die Polizei", sagt der Filmer am Handy mit ironischem Unterton, "der Mann hat kein Geld! Aber schaut her: Da liegt nur das Nötigste, kein Champagner, kein Wein."

Ähnliche Szenen gab es schon in Vororten von Palermo und Catania. Vor manchen Supermärkten auf Sizilien stehen nun Carabinieri, als behüteten sie einen Safe. In Bari haben Bürger ein Protestfeuer vor einer Bank gezündet. Am härtesten trifft es jene, die in normalen Zeiten schwarz arbeiten - ohne Vertrag, ohne Rechte, ohne jede Garantie. Zu dieser Kategorie gehören in Italien laut Schätzungen ungefähr 3,3 Millionen Menschen. Manche haben nur Jobs in der Schattenwirtschaft, andere schaffen das Monatsende nur dank unversteuerter Zweitaktivitäten.

Seit nun aber vor drei Wochen die Bewegungsfreiheit so stark eingeschränkt wurde und die Polizei über die Disziplin aller wacht, auch mit Drohnen, verlieren viele ihr Einkommen aus der unlauteren Zwischenwelt. Gerade im Mezzogiorno. Der Corriere della Sera zählte einige höchstens halboffizielle Berufsprofile auf, etwa die illegalen Parkplatzanweiser und die Verkäufer geschmuggelter Zigaretten in den Straßen. Natürlich ist allen bewusst, dass die Schattenwirtschaft ein großes Problem ist und immer schon war. Doch für Grundsatzdebatten ist gerade nicht die beste Zeit.

Es gilt zu verhindern, dass sich aus der unmittelbaren Verzweiflung soziale Spannungen mit großer Sprengkraft entwickeln, davor warnt jedenfalls das italienische Innenministerium. Eine mittlere Anarchie würde auch den Kampf gegen die Ausbreitung des Virus schwächen. Mehr als zehntausend Menschen sind bis Sonntag in Italien an Covid-19 gestorben. Würde sich der Erreger auch im Süden massiv ausbreiten, wo das Gesundheitswesen fragiler ist als im Norden, wäre die Katastrophe noch größer.

Die Regierung hat deshalb beschlossen, den 8000 Gemeinden viel Geld zukommen zu lassen, damit die sich besser um die Schwächsten kümmern können. Der Staat schickt Subventionen von 4,3 Milliarden Euro, die eigentlich erst im Mai fällig gewesen wären. Man habe dafür jede bürokratische Hürde ausgeschaltet, sagte Premier Giuseppe Conte. Die Emphase ist auch deshalb wichtig, weil viele Italiener das Gefühl haben, sie würden von den EU-Partnern alleingelassen.

Weitere 400 Millionen Euro an Direkthilfen leistet der nationale Zivilschutz an die Gemeinden. Damit sollen die elementarsten Bedürfnisse der ärmsten Bevölkerung bedient werden: in Form von 25-Euro-Bons für Lebensmittel und Medikamente. Conte rief die Supermarktketten dazu auf, den Kunden, die mit diesen Bons einkaufen, einen zusätzlichen Preisabschlag von fünf bis zehn Prozent zu gewähren.

Gutscheine erhalten all jene Familien, die in ihrer Wohnregion als arm eingestuft werden: Der Index variiert von Region zu Region. Ganz Italien zählt laut dem nationalen Statistikamt Istat fünf Millionen Menschen in absoluter Armut. 400 Millionen Euro reichen also nicht lange aus.

Damit bei privaten Sammelaktionen möglichst viel Geld für Soforthilfen zusammenkommt, werden Schenkungen steuerfrei gestellt. Außerdem mobilisierte Conte in seinem Appell den dritten Sektor - so nennt man in Italien das Heer der freiwilligen Helfer. Sie sollen dafür sorgen, dass Essenspakete auch direkt zu den bedürftigen Menschen gelangen. In Palermo haben sich allein in den vergangenen Tagen mehr als tausend Familien bei der Stadt und bei der Caritas gemeldet, weil sie nicht mehr genug zum Leben haben. Immerhin eine positive Meldung gab es am Sonntag aus Italien. Der Anstieg der Zahl der Toten habe sich deutlich verlangsamt, hieß es am Abend vom Zivilschutz. Es waren aber immer noch 756 Opfer mehr als am Samstag, insgesamt zählt man nun 10 779 Verstorbene.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4861155
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.03.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.