Süddeutsche Zeitung

Rom:Endlich italienisch

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Der Senat diskutiert einen Gesetzentwurf über die Einbürgerung von Migrantenkindern. Die gesamte Opposition ist dagegen.

Von Oliver Meiler, Rom

Drei Millionen Italiener haben sich in den vergangenen Tagen ein rührendes Video im Netz angeschaut. Es dauert fünf Minuten und zeigt Kinder aus Rom, Mailand, Genua, Verona, Florenz und Neapel. Sie sind zwischen sechs und zwölf Jahre alt und erzählen von ihren Traumberufen: Zwei wollen Fußballer werden, etliche sagen "Poliziotto", andere Wissenschaftler. Sie essen am liebsten Pasta und Pizza und reden, wie man eben redet in Rom, Mailand oder Genua - mit Slang. Das Video endet mit der Frage aus dem Off, ob sie alle wüssten, dass der italienische Staat sie nicht als Bürger anerkenne, obschon sie hier geboren sind und in die Schule gehen.

"Staatsbürgerschaft?", fragt ein Mädchen. Die Kinder heißen unter anderem Jibrill, Jason und Israa. Ihre Eltern kommen aus Ägypten, Senegal, Marokko. Natürlich soll der Film, den die Zeitung La Repubblica gedreht hat, die Gemüter bewegen. Doch in der Politik gibt man sich unbeeindruckt. Im italienischen Senat streiten sich die Parteien mit einer solchen Inbrunst über die Einbürgerung von ausländischen Kindern, dass es Verletzte gab. Eine Ministerin musste ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem sich ein Parlamentarier der fremdenfeindlichen Lega Nord auf die Bank der Regierung gestürzt hatte.

Konkret geht es darum, dass das herrschende "Ius sanguinis" (wörtlich: Recht des Blutes) um eine Dosis "Ius soli" (Recht des Bodens) erweitert werden soll. Bislang ist es in Italien so, dass Italiener wird, wer mindestens ein italienisches Elternteil hat - aus Blutsverwandtschaft also, egal, wo man lebt. Italiener wird auch, und das ist schon eine Form von Ius soli, wer in Italien zur Welt gekommen ist, immer legal hier gelebt hat und nach Erlangung des 18. Lebensjahres den Antrag auf die Staatsbürgerschaft stellt. Dieses lange Warten bis zur Volljährigkeit erscheint vielen ungerecht. Außerdem: Wer die Chance verstreichen lässt, hat sie für immer verloren.

Käme das Gesetz der Linken durch, würde Italien 800 000 neue junge Staatsbürger zählen

Der regierende Partito Democratico schlägt vor, dass künftig Kinder zugewanderter Eltern automatisch Italiener werden, wenn sie in Italien geboren wurden und mindestens einen Schulzyklus von fünf Jahren im Land absolviert haben. Wenn die Eltern aus Nicht-EU-Ländern kommen, müssen sie belegen können, dass sie ein stabiles Einkommen, eine Wohnung und gute Italienischkenntnisse besitzen. Gemäß dem Gesetzvorschlag könnten auch Kinder Italiener werden, die vor dem zwölften Lebensjahr nach Italien gekommen sind und hier einen vollen Schulzyklus abgeschlossen haben. Für Teenager von zwölf bis 18 Jahre sind sechs Jahre Aufenthalt und mindestens fünf Jahre Schule gefordert. In diesen Fällen spricht man von "Ius culturae", Recht aus Bildung.

Für die Sozialdemokraten ist das Gesetz ein "Akt des Anstands". Ganz anders sieht das fast die gesamte Opposition, von der Lega Nord ganz rechts über die bürgerliche Forza Italia bis zur ideologisch schwer definierbaren Protestpartei Cinque Stelle. Alle rechnen sich aus, dass ihre Ablehnung ihren Wahlerfolg begünstigen könnte. Da am kommenden Sonntag die zweite Runde einer partiellen Gemeindewahl stattfindet, rufen sie aus dem rechten Lager noch lauter, als sie es sonst tun würden.

Kritisiert wird, dass die neuen Bürger nicht einmal nachweisen müssten, dass sie die Werte der italienischen Gesellschaft teilten. Das wiederum, behauptet Matteo Salvini von der Lega Nord, werde noch mehr Flüchtlinge aus Afrika anlocken. Auch Beppe Grillo, Gründer und Chef der Fünf Sterne, ist dagegen. Er spricht von einem "gesetzlichen Mischmasch", den sie nicht gutheißen könnten. Doch ist es nur das? Seit einigen Wochen geistert das Gerücht durch die Medien, Grillo verhandle mit Salvini über eine mögliche Allianz der beiden Parteien. Dies, so die Vermutung, erkläre auch die neue Hartherzigkeit gegenüber Ausländern. Grillo dementiert zwar Verbindungen zur Lega. Doch an der Basis der Partei ist die neue Linie hoch umstritten. Käme das Gesetz der Linken durch, würde Italien 800 000 neue junge Staatsbürger zählen. Zum Beispiel Jibrill, Jason oder Israa.

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SZ vom 21.06.2017
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