Italien:Ein Land sieht rot

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Nun sind auch die Toskana und Kampanien Hochrisikozonen. Dennoch gibt es auf einmal Gründe für Optimismus.

Von Oliver Meiler, Rom

In Neapel und Florenz sind die Menschen an diesem Wochenende noch einmal ins Freie gegangen, einfach so, ohne triftigen Grund. Die Neapolitaner runter an die Meerespromenade und in die Gassen der Altstadt, die Florentiner auf einen vorerst letzten caffè in der Lieblingsbar. Nun sind auch Kampanien und die Toskana "rot", Regionen also mit "gravierender Risikolage", höchste Alarmstufe mit entsprechenden Maßnahmen.

"Rot" bedeutet keinen totalen Lockdown, aber viel fehlt nicht. Sechs Regionen und die autonome Provinz Bozen, also Südtirol, fallen nun in diese Kategorie. Neun Regionen sind "orange", halbhohes epidemiologisches Risiko. Nur noch vier Regionen und die Provinz Trentino gelten als "gelb", also mäßig gefährdet - doch das kann sich rasch ändern. Ein Blick auf die Landkarte Italiens zeigt: Die Grundfarbe wird zusehends dunkler. Seitdem die Regierung das Ampelsystem Rot-Orange-Gelb vor zehn Tagen eingeführt hat, ist das Land immer röter geworden, auch im Süden.

Jeden Tag kommen 30 000 bis 40 000 Neuinfektionen dazu, die Auslastung der Intensivabteilungen in den Krankenhäusern hat überall die kritische Schwelle von 30 Prozent überstiegen, in manchen Regionen deutlich. Auch die Betten für weniger stark betroffene Covid-19-Patienten sind an vielen Orten voll belegt. Die Italiener testen mittlerweile so viel wie die Deutschen: etwa 1,5 Millionen Proben werden pro Woche ausgewertet. Die Positivenrate liegt in Italien allerdings bei 16 Prozent (Deutschland: knapp 8 Prozent). Der R-Wert, der das Tempo der Ausbreitung misst, beträgt national 1,4: Das Virus ist also schnell unterwegs. Und die Zahl der Todesfälle ist so erschreckend hoch wie bei der ersten Welle, regelmäßig mehr als 500 pro Tag.

Dennoch findet man plötzlich Grund für Optimismus. "Es gibt eine erste, klare Verlangsamung der Kurve", sagte Franco Locatelli, Präsident des wichtigsten Beratergremiums im Gesundheitsministerium. Auch die Zahl der Einweisungen auf die Intensivstationen habe sich stabilisiert. Doch kritisch sei die Lage noch immer.

Es läuft ein Rennen mit der Zeit. Wer in einer Region lebt, die "rot" in die Weihnachtstage geht, darf nicht einmal vor die Haustüre. Die Farben folgen einer komplexen Berechnung, basierend auf 21 Kriterien wie dem R-Wert, der Inzidenz pro 100 000 Einwohnern, der Anzahl belegter Intensivbetten. Im Gegensatz zum Frühjahr, als die Regierung das ganze Land in den Lockdown geschickt hatte, sollten geografische Unterschiede bei der Entwicklung diesmal berücksichtigt werden - wissenschaftlich, mit einem Algorithmus: politisch möglichst unangreifbar.

Das klappte nicht so gut, weil die Zahlen für die Berechnung aus den Regionen kommen und wohl nicht immer stimmen. Die Gouverneure rebellieren, mal für eine Einrötung, mal dagegen, je nach Stimmung in der Bevölkerung. Kampanien etwa hätte schon zu Beginn "rot" sein müssen, wurde es aber erst jetzt, weil dort die Stimmung aufgeheizt ist und viele Neapolitaner um ihre Existenz bangen. Die Zoneneinteilung verkam zur Konfusion. Das Magazin Espresso schreibt von einem "caos cromatico", einem Farbenchaos.

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