Italien:Die Verhinderer

Früher wirkte das italienische Parteiensystem instabil, heute bringen die populistischen Parteien es wirklich in Gefahr.

Von Oliver Meiler

Italien verzweifelt an der Blockade seines politischen Systems. Nichts funktioniert mehr, nicht einmal die Aura des "Colle". So, Hügel, nennt man in Italien Amt und Würde des Präsidenten der Republik, der seinen prächtigen Sitz auf dem Quirinal hat, einer der sieben Anhöhen Roms. In der bewegten Geschichte der Republik war es bisher fast immer so gewesen, dass dringliche Appelle an Vernunft und Verantwortung, die vom "Colle" kamen, wie Gebote von oben wirkten. Die Parteien nahmen sie hin, normalerweise stimmten sie zu, weil ja allen am Wohl des Landes lag. Diesmal aber ist alles anders.

Sieben Minuten dauerte der Appell von Sergio Mattarella, nachdem auch der dritte und letzte Versuch gescheitert war, über Sondierungsgespräche eine Parlamentsmehrheit für eine neue Regierung zu finden. Zwei Monate hatten die gedauert. In dieser Zeit hatte der Staatschef seine Rolle als Schiedsrichter mit stiller Klasse und viel Geduld interpretiert. Der Sizilianer gilt als gerader Mann, wortkarg und ohne Hang zum Theatralischen. Da stand er nun also und redete mit ungewohnt dramatischen Worten auf die Parteien ein. Sie möchten dem Land doch die Gefahren einer schnellen Neuwahl ersparen, sagte er, gerade jetzt, da es sich endlich erhole von einer langen Krise und noch etwas schwach auf den Beinen sei.

Er kündigte die Bildung einer "neutralen Regierung" an, eines Dienstkabinetts mit parteilosen Persönlichkeiten, das nur einige wenige Geschäfte erledigen soll und bereits im Dezember wieder abtreten würde. Nach sieben Monaten gebe es Neuwahlen, wenn möglich mit einem neuen Wahlgesetz. Es ist ein vernünftiger Vorschlag, innovativ zudem: Mattarella versprach, die Techniker würden ihre Posten schon früher räumen, wenn sich doch noch eine Mehrheit für eine politische Regierung finden lasse.

Früher arrangierten die Parteien sich miteinander. Heute wird gebrüllt und gedroht

Während er noch sprach, dröhnte schon ein lautes "No" zurück. Die beiden halben Wahlsieger, die Protestbewegung Cinque Stelle und die rechtsnationale Lega, hatten untereinander ausgemacht, dass sofort gewählt werden sollte, und zwar am 8. Juli. Das aber ist eine institutionelle Unmöglichkeit. Es ist nämlich so, dass in Italien der Staatspräsident die Kammern des Parlaments auflöst, so steht es in der Verfassung. Das Datum für Neuwahlen wiederum bestimmt die Regierung. Den Populisten und selbst erklärten Superdemokraten sind aber auch diese elementaren Spielregeln fremd, vielleicht sind sie ihnen sogar ein bisschen lästig.

In der viel gescholtenen Ersten Republik, 1948 bis 1994, als in Italien Regierungen oft nur wenige Monate überlebten und Krise auf Krise folgte, entstanden Allianzen über Nacht. Nicht alle waren heilig - aber soll Politik heilig sein? Die Welt lächelte über die chronische Instabilität Italiens, dabei war das Chaos nur eine Täuschung. Das System war in sich stabil. Es lebte von der politischen Kultur der Akteure, sie waren Meister des Machbaren. Die alten Parteien wussten um ihre Unzulänglichkeit im stark fragmentierten Parlament und verhandelten, hofierten und charmierten einander, schlossen Kompromisse. So war das früher. Die neuen Akteure brüllen einander nur an, drohen bei jeder Widrigkeit mit der Rebellion ihres Wahlvolks. Und sie ignorieren nun sogar den "Colle".

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