Süddeutsche Zeitung

Italien:Die Parlamentswahl spaltet das Land

  • Nach der Parlamentswahl zeigt sich die politische Landschaft Italiens gespalten.
  • Im Norden dominieren die Rechten, vor allem die Lega, im Süden dagegen die Anti-Establishment-Bewegung Cinque Stelle.
  • Eine eigene Mehrheit haben beide Gruppen jedoch nicht.

Von Oliver Meiler, Rom

Natürlich passt nun wieder das alte Bild des politischen Erdbebens, diesmal ist es nicht einmal überzeichnet. Die Parlamentswahl 2018 erschüttert die italienische Politik so nachhaltig, dass man bereits von der Niederkunft der "Terza Repubblica" spricht, der Geburt der Dritten Republik. Ein Zeitenwechsel, eine neue Geschichte. Es gibt nun zwei Italien, scharf voneinander getrennt. Als gehörten sie nicht mehr zusammen. Dabei spiegeln sie sich ineinander. Es eint sie der Protest gegen den Status quo, gegen das System, dieses diffuse Gefühl, dass es nur besser wird, wenn sich alles verändert. Und zwar radikal.

Ein Blick auf die Landkarte nach den Wahlen genügt. Die Trennung verläuft entlang der geografischen Falllinie. Da der Norden, der wirtschaftliche Motor des Landes, blau koloriert, in den Farben der Rechten und vor allem der rechtsnationalen Lega, die mit der Angst vor der Zuwanderung und mit dem Versprechen sinkender Steuern warben. Dort der Süden, abgehängt und chronisch hinkend, fast ganz gelb, in der Farbe der Cinque Stelle, die den vielen Arbeits- und Perspektivlosen im Mezzogiorno ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine bessere Pension versprachen.

Es ist, als wäre das politische Italien bipolar

Dazwischen etwas rot in den alten Hochburgen der Linken. Es sind nur noch einige Sprengsel. Deutlicher geht es kaum. Matteo Renzi, der Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito Democratico und ehemaliger Premier, erklärte deshalb am Montagabend seinen Rücktritt. Vor gar nicht so langer Zeit war er die große Hoffnungsfigur der italienischen Politik. Einer, von dem es hieß, wer, wenn nicht er, werde das Land reformieren und modernisieren.

Es ist, als wäre das politische Italien nicht mehr tripolar, sondern bipolar mit einigen Zaungästen. Zählt man die Stimmen der Fünf Sterne und der Lega zusammen, kommt man auf fast 50 Prozent. Oder anders gesagt: Halb Italien erträgt das Establishment nicht mehr. Ein Drittel der Wähler hat sich für eine Partei entschieden, die bisher erst in Stadtverwaltungen regiert hat, in Rom zum Beispiel seit bald zwei Jahren, und das auch noch schlecht.

Das Resultat zeigt, dass die Empörung über die alten, kungelhaften und korrupten Eliten noch viel größer ist, viel tiefer sitzt, als man es angenommen hatte. Besonders im Süden des Landes. Die Zeitung Corriere della Sera schreibt von einer "toxischen Wut", die den Mezzogiorno zersetze. Die Beschäftigungsquote? Sie liegt nirgendwo in Europa niedriger als in Süditalien. Die Kinderarmut? Hat zugenommen. Die Vorstädte? In katastrophalem Zustand. Die Jugendlichen? Wenn sie können, ziehen sie weg. Fünf Sterne - das ist das Versprechen eines Systembruchs. Sie haben landesweit mehr als 32 Prozent der Stimmen gewonnen.

Keines der beiden Lager hat eine Mehrheit

Im Norden dagegen fürchtet man um die Früchte des Aufschwungs. Der hat nämlich schon lange eingesetzt, man steht wieder besser da als vor der Wirtschaftskrise. Die Lega schaffte es, den Norditalienern einzureden, dass es da ein großes Problem mit der inneren Sicherheit gebe, und dass dieses Problem vor allem mit den "Schiffsladungen mit Migranten" zusammenhänge. Mit Silvio Berlusconis Forza Italia schwadronierten sie von einer "fiskalischen Revolution", einer Flat Tax für Bürger und Unternehmer, deren Sätze so tief angesetzt würden, 15 oder 23 Prozent nämlich, dass viele schon träumten. Das Rechtsbündnis, dem auch die postfaschistischen Fratelli d'Italia angehören, brachte es auf 37 Prozent.

Zu einer Parlamentsmehrheit fehlen jedoch beiden Lagern, der Rechten und den Cinque Stelle, einige Prozentpunkte Stimmen und folglich eine stattliche Zahl an Sitzen in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Das ist entscheidend. Italien ist eine parlamentarische Demokratie. Die Regierung stellt jenes Lager, das in beiden Kammern eine Mehrheit hinter sich hat. Wenn die nicht auf natürlich Weise zustande kommt, braucht es etwas Geburtshilfe.

In der Rolle der Hebamme wird man dann bald Staatspräsident Sergio Mattarella erleben, einen stillen und etwas steifen Christdemokraten aus Sizilien, der sich bisher immer wie ein Notar der Republik verhielt: ohne jeden Drang, sich in den Mittelpunkt zu rücken. In Zeiten stabiler Regierungen sind die Aufgaben des Präsidenten nun einmal vor allem protokollarische. Im anderen Fall aber, wie jetzt wieder, wächst die Bedeutung der Funktion sprunghaft.

In Italien wird man in den kommenden Wochen (und wohl Monaten) oft zum "Colle" schauen, zum Hügel. Im italienischen Politjargon steht "Colle" als Synonym für den Quirinal, eine der sieben bescheidenen Anhöhen Roms. Auf dem Quirinal steht der prächtige Palast des Präsidenten. Dort müssen sie alle hin, die regieren wollen, die legitimen Anwärter und die Möchtegerns. Der "Colle" vergibt den Regierungsauftrag, so steht es in der Verfassung. Wem Mattarella den gibt, ist ihm aber ziemlich freigestellt. Er kann den Chef der Partei mit den meisten Stimmen zu sich rufen, in diesem Fall wäre das Luigi Di Maio von den Cinque Stelle. Oder er könnte den Chef der Koalition mit den meisten Sitzen im Parlament berücksichtigen. Das wäre dann Matteo Salvini von der Lega, der im Rechtsbündnis die stärkste Kraft anführt. Davor wird er sondieren und konsultieren.

Um zu regieren, müsste Cinque Stelle mit dem verhassten Establishment koalieren

Beginnen wird Mattarella damit offiziell aber erst nach dem 23. März. An diesem Tag werden die neu gewählten Parlamentarier zum ersten Mal zusammenkommen, um die Präsidenten der beiden Kammern zu bestimmen. An diesen Wahlen wird man ablesen können, wer wen unterstützt. Möglich sind mehrere Szenarien, zwei davon mit einer Beteiligung der Cinque Stelle. Es wäre eine Premiere.

Um national mitregieren zu können, müssten sie erstmals mit anderen Kräften aus dem ihnen so verhassten Establishment koalieren. Theoretisch wäre das möglich, in zweierlei Konstellationen: mit Parteien aus dem linken Spektrum, das heißt mit einem Teil des sozialdemokratischen Partito Democratico, der Linken von Liberi e Uguali und den Radikalen von Emma Bonino. Oder aber mit der Lega und den Fratelli d'Italia in einem großen Verbund der Anti-System-Parteien.

Das erste Modell würde eine Beteiligung der Rechten verhindern, was zumindest jenem beträchtlichen Teil der Cinque-Stelle-Basis gefallen würde, der aus der Linken kommt. Das zweite Modell würde inhaltlich wohl eher zusammenpassen, da die Protestparteien in etlichen Fragen ähnlich denken: etwa bei der Skepsis gegenüber der EU und dem Euro, bei der Lust nach nationaler Abschottung mit Strafzöllen, bei ihrer Nähe zu Wladimir Putin, zunehmend auch bei der Haltung in der Immigrationspolitik.

Für eine Mehrheit der Rechten wird es knapp

Die Frage ist nur, ob die Fünf Sterne nicht einen großen Teil ihrer Originalität und ihrer Basis verlieren, wenn sie Allianzen eingehen. Beppe Grillo, Komiker und Gründer der Bewegung, warnte Di Maio vor einem sogenannten inciucio, auch das ist ein zentraler Begriff aus dem Vokabular der italienischen Politik, der nun eine plötzliche Bedeutung erlangen wird. Wörtlich meint das Wort "Techtelmechtel" oder "Schmusekurs". Es schwingt darin aber auch eine vulgärere Note mit, eine sexuelle. Grillo warnte also davor, dass die Cinque Stelle mit den Feinden ins Bett steigen. Sie verlören darob ihre Jungfräulichkeit, ihre politische Integrität. In den kommenden Wochen wird deshalb wohl auch darüber debattiert werden, wie die Cinque Stelle ihre Basis überzeugen können, den Tabubruch mitzutragen. Di Maio jedenfalls will regieren.

Knapp wird es für eine Mehrheit der Rechten. Es fehlen dazu zwar nur ungefähr drei Prozent, doch die Reserven im konservativen Lager sind ausgeschöpft. Außer, es finden sich mal wieder übertrittswillige Abgeordnete. Gänzlich unmöglich ist dagegen eine Neuauflage einer großen Koalition zwischen dem Partito Democratico und Forza Italia, wie es sie 2013 gab. Renzi und Berlusconi sind die großen Verlierer. Das moderate, europafreundliche Zentrum kommt nämlich nur noch auf ungefähr 35 Prozent. Vor zehn Jahren waren es mehr als doppelt so viel. Das war eine andere Zeit, sie ist eine gefühlte Ewigkeit her.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3892859
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.03.2018/csi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.