Italien:Klare Mehrheit für die Irrwitzigen

Proteste in Italien: In Pisa demonstrieren Menschen gegen eine Wahlkampfkundgebung der Lega.

Protest in Pisa: Aktivisten stoßen am Wochenende bei einer Demo gegen eine Wahlkampfkundgebung der rechtspopulistischen Lega auf Polizisten.

(Foto: dpa)
  • Am Wochenende haben in etlichen Städten Menschen gegen ein Aufflackern des Faschismus demonstriert.
  • Die Kampagne stiftet Verwirrung, denn die Hauptdarsteller sind Silvio Berlusconi (Forza Italia), Luigi Di Maio (Fünf Sterne) und Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega.
  • Viele Italiener schätzen die Politik der linken Mitte um die Sozialdemokraten, die Italien seit 2013 regiert. Entscheiden wird sich die Wahl jedoch ausgerechnet im Mezzogiorno, wo die Linke versagt hat.

Von Oliver Meiler, Rom

So fühlt sich Leere an. Eine Plakatwand im Winterregen in Testaccio, einem Viertel Roms, eine Woche vor der Parlamentswahl am 4. März. Sie säumt die Straße auf vierzig Metern, es wäre darauf Platz für 27 Wahlposter. Durchnummeriert, mit gelben Ziffern am oberen Rand.

Früher, in der prädigitalen Zeit, gehörten diese Wände zum demokratischen Ritual. Jetzt sind die Blechtafeln 1 bis 12 leer. Von 13 bis 20 klebt immer dasselbe Plakat, man sieht darauf Giorgia Meloni, die Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, und ihren Slogan: "Wir betrügen nicht." 21 bis 27 sind leer. Man könnte meinen, Italien drehe sich nur um Giorgia Meloni. Dabei sind ihre "Fratelli" ein recht überschaubares Grüppchen.

Leer sind die anderen Plakatplätze vor allem deshalb, weil diese Kampagne billig ist - und billig sein soll. Die Parteien müssen ohne Spenden auskommen. Es werden keine großen Hallen für toll choreografierte Auftritte gemietet, keine aufwendigen Prospekte gedruckt.

Stattdessen sieht und hört man die Politiker ständig auf allen Fernseh- und Radiostationen. Das kostet nichts. Und wer dort laut brüllt und groteske, nie und nimmer finanzierbare Versprechen macht, tiefere oder gar keine Steuern verheißt, höhere Renten und bedingungslose Grundeinkommen, und dazu noch Stimmung gegen Zuwanderer macht, der kann sich des Echos im Volk sicher sein.

Ein tragikomisches, inhaltsleeres Spektakel

Es ist ein tragikomisches, inhaltsleeres Spektakel, das zu allem Überdruss auch noch alte, längst überwunden gewähnte Geister auf den Plan ruft. Am vergangenen Wochenende gingen in etlichen Städten im Land Menschen auf die Straße, die gegen ein angebliches Aufflackern des Faschismus demonstrierten. Anlass dafür gab die Tat eines Rassisten und Neofaschisten in Macerata, der vor einigen Wochen auf afrikanische Einwanderer geschossen hat. In Rom nahmen Zehntausende Menschen an dem Marsch teil. Da und dort gab es aber auch Kundgebungen gegen die Antifaschisten, als wären die das Problem.

Die Kampagne stiftet eben viel Verwirrung, bewirtschaftet wird sie von sonderbaren Hauptdarstellern. Der wunderlichste von allen ist natürlich Silvio Berlusconi, der Patron von Forza Italia. Mit 81 spielt sich Berlusconi als personifiziertes Dammwerk gegen die Populisten von der Protestpartei Cinque Stelle auf, obschon er selber ja ein Urvater des Populismus ist. Der Tycoon ist wieder so zentral, dass es in Italien ohne seinen schiefen Segen keine neue Regierung geben wird.

Eine erstaunliche Figur ist auch der Chef der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, 31. Di Maios Befähigung, das Land gescheit zu regieren, ist ungefähr gleich groß wie die eines zufälligen Praktikanten. Seine Partei wird wohl dennoch die meisten Stimmen gewinnen. Und dann ist da noch Matteo Salvini, der Hetzer von der nunmehr offen rechtsextremen Lega, ein Freund von Marine Le Pen und Geert Wilders. Für Salvini sind Neofaschisten auch mal "bravi ragazzi", gute Jungs.

Addiert man die Umfrageresultate dieser drei Herrschaften und ihrer sehr unterschiedlichen Parteien, kommt man auf 60 Prozent. Auf 60 Prozent Irrwitz. Was ist nur los mit Italien?

Blickt man von oben auf das Land, und eigentlich reicht dafür schon die Anhöhe eines mittelprächtigen Aussichtspunktes mittendrin, wird klar, dass nur ein Lager gerade imstande ist, dieses Land vernünftig zu regieren. Mit vertrauenswürdigen, erfahrenen Leuten. Und dieses Lager ist die linke Mitte, das sogenannte Centrosinistra, das Italien seit 2013 anführt.

Eigentlich finden das auch viele Italiener. Fragt man sie nach den Politikern, die ihnen am besten gefallen, gehören der Innenminister, der Wirtschaftsminister und der Transportminister dazu. Und Premier Paolo Gentiloni ist sogar von allen der beliebteste. Seine Gunst liegt zum Ende der Legislaturperiode bei fast 50 Prozent, das hat es in Italien noch nie gegeben. Die Wirtschaft wächst wieder, zwar nicht so stark wie in anderen Ländern Europas, aber beständig. Und ein Teil der Erholung ist den Reformen der Sozialdemokraten zu verdanken.

Die "Habsburg-Gruppe" soll Geld von einem US-Lobbyisten erhalten haben

Wenn der Partito Democratico vor den Wahlen trotzdem nur auf 22 Prozent der Wahlabsichten kommt, dann hat er sich das selbst zuzuschreiben. Die Partei hat sich mal wieder gespalten: Der linke Flügel ist ihr davongeflogen, das kostet etwa sechs Prozent der Stimmen.

Wo alle brüllen und fantasieren, versucht es die gemäßigte Linke mit wohlerzogenem Tonfall und geht damit unter. Nach zehn Jahren Krise wollen die Italiener hören, dass nun endlich alles gut wird, dass die Steuern sinken und Jobs zu Hunderttausenden geschaffen werden. Solche Dinge sagt ihnen Berlusconi.

Die Sozialdemokraten hingegen reden oft von den verrückt hohen Staatsschulden, die man abbauen müsse, weil die Zinsen sonst alles erdrückten. Und dann ist da noch die problematische Personalie des Parteivorsitzenden: Matteo Renzi, der frühere Star, ist schnell verglüht. Drei Jahre hat der Florentiner regiert und scheiterte dann an seiner Selbstüberschätzung.

Renzi ist der Fall einer kolossalen Verschwendung: brillant und arrogant, vielen Italienern ist er unausstehlich geworden. Vielleicht schafft er es irgendwann, sich neu zu erfinden. Im Moment aber beschädigt er die Chancen seiner Partei. Sie hätte wohl besser auf Gentiloni gesetzt.

Der Norden wählt rechts, das Zentrum steht links, der Süden ist ein großes, schwarzes Loch

Politisch, sagt der Politologe Roberto D' Alimonte, ist Italien dreigeteilt: "Der Norden wählt rechts, das Zentrum steht links, und der Süden ist diesmal ein großes, schwarzes Loch." Oder anders: Im Mezzogiorno, wo etwa ein Drittel der italienischen Bevölkerung lebt, entscheidet sich die Wahl.

Die Linke wird dort nur ganz wenige Sitze gewinnen; es messen sich die Rechte und die Cinque Stelle. Erobert Berlusconi, der Norditaliener, einmal mehr den Süden, dann hat sein Rechtsbündnis gute Aussichten auf eine Regierungsmehrheit in Rom. Nur dann.

Die Linke war noch nie stark im Mezzogiorno, doch so schwach wie jetzt war sie noch nie. Die Krise hat das Gefälle zwischen dem Norden und Süden weiter akzentuiert. Sizilien, Kalabrien, Kampanien und Apulien gehören zu den sechs EU-Regionen, in denen die Beschäftigtenquote am niedrigsten ist. Die anderen zwei Regionen sind französische Überseegebiete.

Und nirgendwo in Europa ist die Jugendarbeitslosigkeit höher als im Süden Italiens. Arbeit und Jugend: Die Linke hat ausgerechnet dort versagt, wo sie stark sein müsste. So kommt es, dass die enttäuschten Süditaliener für einen Wechsel stimmen werden, für einen populistischen, so oder so.

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