Süddeutsche Zeitung

Italien:Die Zeit der Einheit scheint zu enden

Am Nationalfeiertag wird traditionell nicht protestiert. Doch diesmal zogen die Rechten auf die Plätze - und die neue Bewegung der "Orangewesten".

Von Oliver Meiler, Rom

An ihrem Nationalfeiertag, dem 2. Juni, pflegen sich die Italiener zu vertragen, auch über die politischen Gräben hinweg. Zur "Festa della Repubblica", dem Begehen der italienischen Republikwerdung 1946, gibt es in der Regel keine Proteste, keine Unmutsbekundungen. Das 74. Fest war nun etwas anders. Auf die Militärparade auf den Kaiserforen wurde verzichtet, und das war der Pandemie geschuldet. Staatspräsident Sergio Mattarella legte einen Blumenkranz vor das Denkmal für den unbekannten Soldaten und flog dann in die lombardische Kleinstadt Codogno, wo am 21. Februar alles begonnen hatte: "Patient 1", Zona rossa, das ganze Drama um das Virus. "Wie schon bei der Geburt der Republik braucht es auch heute einen Neubeginn ohne Trennendes", sagte Mattarella. Es war ein Versuch, das Land zusammenzuhalten für die Prüfungen, die nun folgen.

Doch die Zeit der Einheit scheint gerade zu enden. Auf der Piazza del Popolo in Rom und in 70 weiteren Städten Italiens protestierte die Rechte gegen die Regierung von Cinque Stelle und Sozialdemokraten und gegen deren Management in der Krise. Einfach war das nicht: Wegen der Vorschriften zur Distanzwahrung konnten die drei Parteien Lega, Fratelli d'Italia und Forza Italia ihr Volk nicht so mobilisieren, wie sie das sonst tun - mit Sonderzügen und Bussen aus allen Ecken des Landes. Ein bisschen Volk kam dann trotzdem, und die Verehrer drängten sich vor, für ein Selfie um die Anführer Matteo Salvini, Giorgia Meloni und Antonio Tajani, den Statthalter Silvio Berlusconis.

Demonstrativ ohne Masken

Social Distancing? War nicht möglich. Salvini und Meloni trugen Schutzmasken in den drei Nationalfarben, die ihnen im Gemenge ein paar Mal herunterrutschten. Die Rechte wirft der Regierung vor, sie helfe den vielen Italienern zu wenig, die in wirtschaftlicher Not seien. Es brauche Steuererlasse für Bürger und Unternehmer, die Bürokratie gehöre abgebaut.

Nur einige Stunden später versammelte sich dann auf der Piazza del Popolo ein anderes Volk - demonstrativ ohne Masken: Es hält Virus und Pandemie für Erfindungen dunkler Mächte, die der Welt angeblich eine neue Ordnung aufzwingen wollten. Die "Gilet arancioni", italienisch für: "Orangewesten", sind eine junge, heterogene und konfuse Bewegung aus Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten, die sich zumindest im Auftritt an den französischen "Gilets jaunes" orientiert. Am vergangenen Samstag hatten sie in Mailand im großen Stil debütiert, eng an eng, ohne Schutz, gegen alle Regeln. Die katholische Wochenzeitschrift Famiglia Cristiana, die sonst nie Kraftausdrücke braucht, nannte den Aufmarsch die "größte Versammlung von Idioten der vergangenen Jahrzehnte".

Angeführt wird die Bewegung von einem alten Bekannten der italienischen Protestszene: Antonio Pappalardo, 73 Jahre alt, aus Palermo. Er war früher General der Carabinieri. Anfang der Neunzigerjahre saß er als Vertreter einer Kleinpartei im italienischen Parlament, er war auch mal kurz Untersekretär im Finanzministerium. Alle weiteren Versuche, in der Politik Fuß zu fassen, misslangen. Bekannt wurde er als Kleintribun, der sich immer neue Kämpfe und soziale Aufruhre auswählte, um auf Podien zu steigen. Pappalardo plädiert unter anderem für Italiens Austritt aus der EU und für eine Rückkehr zur Lira. Im Moment ist er gerade sehr aufgebracht gegen Schutzmasken. Man hörte ihn schon sagen, Covid-19 lasse sich mit Yoga und autogenem Training besiegen.

In Italien beginnt an diesem 3. Juni eine neue Phase. Es ist wieder möglich, ohne Sonderbewilligung von einer Region in die andere zu reisen. In der Lombardei gibt es noch täglich Dutzende Neuinfektionen, auch die Zahl der Todesfälle ist nirgendwo höher als im Norden des Landes. Doch die Entwicklung scheint auch dort unter Kontrolle zu sein. Geöffnet werden auch die Landesgrenzen, zumindest für europäische Ausländer, die gerne nach Italien wollen. Für die Italiener hingegen, die ausreisen möchten, bleiben etwa die Grenzen zur Schweiz und Österreich geschlossen.

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SZ vom 03.06.2020/kit
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