Süddeutsche Zeitung

Italien:Aufstand der "No Pass"

Lesezeit: 2 min

In 80 italienischen Städten protestieren Menschen gegen den Gebrauch des Zertifikats für Geimpfte und Getestete. Mobilisiert werden sie vor allem von der extremen Rechten.

Von Oliver Meiler, Rom

"Libertà, libertà!" In Italien haben am Wochenende ungefähr 80 000 Menschen in 81 Städten gegen den "Green Pass", den grünen Pass und dessen Verwendung, demonstriert. Irgendwann ertönte überall die Losung: "Freiheit, Freiheit!". Die Aktion richtete sich gegen einen Beschluss der Regierung von Premier Mario Draghi. Vom 6. August an werden viele soziale, kulturelle und sportliche Aktivitäten nur noch jenen zugänglich sein, die sich mit einem Covid-Zertifikat als geimpft, genesen oder getestet ausweisen können. Alle anderen sollen nicht mehr in geschlossene Einrichtungen dürfen: in Restaurants, Theater, Hallenbäder. Und auch nicht in Krankenhäuser zum Besuch von Verwandten oder Fußballstadien.

Für das Protestvolk ist das eine Diskriminierung oder, wie es manche auf Spruchbänder schrieben, "Apartheid gegen Ungeimpfte." Natürlich ist der Begriff politisch unziemlich und die Aussage des Slogans falsch. Die Regierung zwingt niemanden dazu, sich gegen Corona zu impfen - außer das Personal im Gesundheitswesen und womöglich bald auch Lehrer und Schulangestellte. Wer sich nicht impfen mag, kann sich alternativ ständig testen lassen.

Doch auch diese zentrale Nuance geht in den oft aggressiven Demonstrationsmärschen unter. Manche trugen ein Hakenkreuz auf grünem Hintergrund mit sich herum, als wäre der "Green Pass" ein Instrument aus dem Inventar der Nazis. Man sah da und dort auch den gelben Davidstern: Im Volk der "No Pass" fühlen sich einige offenbar stigmatisiert. Es gab auch Fotomontagen, auf denen Draghi einen Schnauzer wie Adolf Hitler trug.

Mobilisiert wurden die Demonstranten vornehmlich von zwei Gruppen, die ihre Theorien und Appelle schon seit einer Weile über Telegram und Facebook verbreiten: "No Paura Day" (Tag gegen die Angst) und "Basta Dittatura" (Schluss mit der Diktatur). Anhänger finden sie vor allem unter Leugnern der Pandemie und Impfgegnern, sogenannten "No Vax", sowie unter Wählern der extremen Rechten und der extremen Linken.

Auf der römischen Piazza del Popolo etwa, wo sich circa 3000 eingefunden hatten, rigoros ohne Abstandswahrung und Schutzmasken, wurden die "Libertà, Libertà!"-Chöre von Männern mit Megafon intoniert. Damit man sie auch erkannte, klebten sie den Namen ihrer Organisation auf die Stimmverstärker. Eine war "Forza Nuova" - so heißt eine außerparlamentarische, deklariert neofaschistische Gruppe.

Das ambivalente Spiel von Salvini und Meloni

Auch dabei waren die "Faschisten des 3. Jahrtausends", wie sich die Mitglieder der Partei "Casa Pound" nennen. Auf einem Spruchband konnte man lesen: "Salvini und Meloni, was wartet ihr noch, kommt mit uns auf die Straße." Matteo Salvini, Chef der rechten Lega, und Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, werben mit ambivalenten Aussagen auch um die Wählerschaft der "No Vax", "No Mask" und "No Pass", ohne sie jedoch offen zu unterstützen.

Wie groß diese Wählerschaft genau ist, weiß man nicht, es gibt nur Schätzungen: Etwa acht Prozent der italienischen Bevölkerung sind offenbar gegen das Impfen, weitere sieben Prozent hängen Verschwörungserzählungen an. Italiens Innenministerium beobachtet die Bewegung seit einem Jahr, es prüft auch die Unterwanderung durch rechtsextreme Gruppen. Doch bisher macht es den Anschein, dass sie weit weniger groß ist als vergleichbare Bewegungen in Deutschland und Frankreich.

Eine große Mehrheit hält den "Green Pass" für ein probates Mittel, um die neue Infektionswelle ohne weiteren Lockdown zu bekämpfen. Allein in den zwei Tagen nach Draghis Ankündigung zum grünen Pass haben 350 000 vor allem junge Menschen einen Impftermin gebucht - so viele wie noch nie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5362743
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.