Regierungskrise in Italien:Plötzlich zieht die Marionette selbst die Fäden

Italian Prime Minister Conte reacts to Italy's ruling coalition breakdown

Italiens Premier Conte gibt eine Pressekonferenz zur Regierungskrise.

(Foto: REUTERS)
  • Matteo Salvini hat die Regierungskrise in Italien ausgelöst - der Innenminister rechnet sich bei baldigen Neuwahlen einen Sieg seiner rechten Lega aus.
  • Den parteilosen Premier Conte drängte er deswegen zum Rücktritt.
  • Doch der stellt sich zum ersten Mal quer. Jetzt läuft alles auf einen Misstrauensantrag gegen Conte zu.
  • Vor dem 20. August werden die beiden Kammern des Parlaments jedoch voraussichtlich nicht zusammenkommen.

Von Oliver Meiler, Rom

Was wurde Italiens Premier Giuseppe Conte im vergangenen Jahr belächelt: eine Marionette, ein Strohmann. Mit seinem Einstecktuch, der Pomade im Haar, den feinen Manieren galt er als präsentable Figur in einem Kabinett von Populisten und Prahlern. Man schickte den süditalienischen Rechtsprofessor und Anwalt, der im Juni 2018 so unerwartet in sein Amt gekommen war, auf alle internationalen Gipfel und Konferenzen, damit er für das Land "bella figura" machte, eine gute Figur. In Brüssel sollte er die Wogen glätten, die seine lauten Vizes, Matteo Salvini von der rechten Lega und Luigi Di Maio von den Cinque Stelle, aufgewallt hatten. Er sollte die totale Isolation Italiens abwenden. Alle Macht aber lag bei den Vizes.

Das war nur eine von vielen barocken Anomalien, die dieses erste populistische Experiment in Europa in sich barg. Nun ist Regierungskrise, mitten in den Sommerferien, und plötzlich zieht die vermeintliche Marionette die Fäden. Wenigstens in dieser ersten Phase. Schließlich ist er Premier, in aller Form.

Ausgelöst hatte die Krise aber Salvini. Der Innenminister rechnet sich aus, dass er bei baldigen Neuwahlen die Dividenden seiner rasant gestiegenen Popularität einkassieren wird und dann eine harte, rein rechte Regierung anführen kann. Er ist ungeduldig. Salvini bangt vor den trägen Mühlen der republikanischen Liturgie. Darum forderte er Conte auf, aus eigenen Stücken beim Staatspräsidenten den Rücktritt einzureichen, um so den Weg für Wahlen im Herbst frei zu machen. Am liebsten wäre Salvini der 13. Oktober.

Doch Conte stellte sich quer, zum ersten Mal. Dem Innenminister richtete er aus, dass nicht dieser den Takt vorgebe, dass es dafür andere, höhere Instanzen gebe. Conte "parlamentarisierte" die Krise. Das bedeutet: Salvini soll offen mit ihm brechen, im Parlament und vor dem Volk, und die Verantwortung dafür tragen. Man muss dazu wissen, dass der parteilose Conte trotz - oder gerade wegen - seiner Statisten- und Mittlerrolle beliebt ist, beliebter noch als Salvini. Hat er persönliche Ambitionen?

Conte steht den Cinque Stelle nahe, sie hatten ihn in sein Amt gehoben. Er könnte nun Di Maio an der Spitze der Partei ablösen, den großen Verlierer des vergangenen Jahres. Doch ist das plausibel? Und wäre Conte, der früher immer links gewählt hatte, wie er einmal erzählte, ein möglicher Bündnispartner für die Sozialdemokraten vom oppositionellen Partito Democratico? Sehr wahrscheinlich ist das Szenario einer alternativen Mehrheit im Parlament zwar nicht. Doch wer weiß - niemand mag gerade Prognosen wagen.

Als er Salvini in die Schranken wies, hielt Conte mit frontaler Kritik nicht zurück. Er und sein Team hätten ihre Zeit nicht am Strand vertrödelt, sagte er, sondern gearbeitet, das ganze Jahr über. Der Vize? Hatte gerade eine "Beach Tour" gestartet. Aus den Reihen der Cinque Stelle wurde Salvini aufgefordert, dass er sich endlich der Affäre um den angeblichen Millionendeal seiner Lega mit Moskau stelle, dem "Moscopoli".

Vor dem 20. August öffnet das Parlament wohl nicht

Da gibt es nichts mehr zu kitten, das Experiment ist gescheitert. Die Lega hat nun im Senat einen Misstrauensantrag gegen Conte deponiert. Die Parlamentskammern aber sind gerade ferienhalber geschlossen, eigentlich für den gesamten August. Um die Herrschaften aus dem sakrosankten Urlaub zu holen, vergeht zwangsläufig etwas Zeit. Vor dem 20. August, so die vorherrschende Meinung, öffnet das Parlament wohl nicht.

Verliert Conte die Abstimmung, was anzunehmen ist, startet Staatschef Sergio Mattarella die Konsultationen mit allen Parteien und Akteuren. Auch dieses Ritual dauert. Wenn Mattarella dann zur Einsicht gelangt, dass das sitzende Parlament keine Mehrheit mehr hervorbringt, kann er die Kammern auflösen und Neuwahlen ansetzen. Mindestens sechzig Tage liegen zwischen den beiden Terminen. So lange braucht es, um die Wahl der Auslandsitaliener zu organisieren. In der Zwischenzeit würde wohl eine Übergangsregierung die Geschäfte führen. Wie lange genau, mit welcher Führung und Aufgabe liegt allein im Ermessen des Staatschefs.

Das wichtigste Geschäft eines Fährmanns in der Krise wird die Verabschiedung des Haushalts für 2020 sein. Erwartet werden schmerzhafte Einsparungen und harte Auflagen aus Brüssel. An der prekären wirtschaftlichen Verfassung des Landes und den hohen Staatsschulden hängen nämlich alle echten Sorgen. Das zeigte sich am Freitag auch an den Börsen: Die italienischen Banktitel gaben stark nach, die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen stiegen.

Salvini wäre es ja ganz recht, wenn er das knappe Budgetieren nicht selbst machen müsste. Denn es würde seiner Propaganda schaden. Wahrscheinlich war das auch der Hauptgrund dafür, dass er den Bruch mit den Cinque Stelle gerade jetzt erzwang.

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