Italien:Büffelmozzarella im Höchsttempo

A demonstrator shouts in front of riot police in downtown Rome, during a protest against the construction of high-speed train line TAV

Jahrelang stand Cinque Stelle für den Protest gegen den Schnellzug Tav, hier eine Demonstration in Rom 2013. Jetzt ist die Partei umgekippt.

(Foto: Alessandro Bianchi/Reuters)

Italien baut jetzt doch die schnelle Zugstrecke Turin-Lyon, denn die Cinque Stelle geben ihren Widerstand auf. Dabei war der Protest gegen das Projekt ein Gründungsmoment der Populistenpartei.

Von Oliver Meiler, Rom

Nichts ist mehr heilig, nicht einmal ein sakrosanktes Nein. Italiens Regierungspartei Cinque Stelle gibt ihr identitätsstiftendes, bisher immer kategorisches "No" zur neuen Zugverbindung zwischen Turin und Lyon auf - zur "Tav" also. Ausgeschrieben steht das für: "Treno ad alta velocità", Hochgeschwindigkeitszug. Premier Giuseppe Conte, der den "Sternen" nahesteht und von diesen einst ins Amt befördert worden war, hat mit einer kurzen Direktschaltung auf Facebook, nur 8 Minuten und 36 Sekunden lang, ein ganzes Kapitel italienischer Politgeschichte gelöscht. "Es wäre teurer, den Bau zu verhindern, als ihn zu vollenden", sagte er und stürzte die Partei damit in eine Sinnkrise. Die Basis ist wütend, viele Wähler fühlen sich verraten.

Über die Tav streiten die Italiener schon seit 20 Jahren. Befeuert wurden die Debatten immer von einer militanten Gegnerschaft aus Umweltschützern und Anwohnern des Val di Susa. So heißt das Tal im Piemont, durch das die schnellen Züge für Passagiere und Waren dereinst fahren sollen. Die "No Tav" hatten in den Fünf Sternen ihre größten Fürsprecher. Der Komiker Beppe Grillo, Gründervater und Chefinspirator der Partei, tourte viele Jahre durch Italien und erzählte seinem Publikum, wie saudumm es doch sei, eine teure Schnellstrecke zu bauen, wo es keine brauche. Eine seiner liebsten Pointen ging so: "Was bringt uns das, wenn der Büffelmozzarella mit 200 Sachen durch den Berg rast?"

Herzstück des Großprojekts ist ein Basistunnel durch die Alpen, zwischen Susa und Saint-Jean-de-Maurienne. Mit einer Länge von 57 Kilometern wäre er der längste Europas. Kostenpunkt: 8,6 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte bezahlt die Europäische Union, den Rest teilen Franzosen und Italiener untereinander auf. Die Franzosen haben schon lange mit dem Bau begonnen. Auf italienischer Seite dagegen war das Projekt ausgesetzt - wegen des Widerstands der "No Tav", die auch schon mal mit rabiaten Methoden opponierten.

Als die Cinque Stelle im März 2018 die Parlamentswahlen gewannen und sich mit der Lega zu einer Regierung verbündeten, erreichten sie, dass der Zugverbindung im Koalitionsvertrag ein Kapitel gewidmet wurde. Darin hieß es, die Regierungspartner würden das Projekt "in seiner Gesamtheit neu diskutieren". Und zwar sollte eine Kosten-Nutzen-Rechnung darüber entscheiden, ob der Bau überhaupt opportun sei oder nicht. Die Lega willigte ein, obschon sie immer hinter der Tav stand - wie überdies alle anderen italienischen Parteien und die Unternehmerverbände im Norden des Landes. Die vorherrschende Meinung ist, dass Italien eine neue Infrastruktur braucht, auch eine transnationale, um den Anschluss nicht zu verpassen.

Die Cinque Stelle und ihr viel belächelter Transportminister Danilo Toninelli berief eine Kommission, die die Kosten mit dem Nutzen abglich. Im vergangenen Februar kam sie zu dem Schluss, dass der Bau ein Verlustgeschäft sei: Fast sieben Milliarden Euro würde man verlieren, wenn man da mitmache. Die Kriterien der Studie und die Expertise der Kommission waren umstritten. Doch Conte machte sich die Ergebnisse zu eigen. So, sagte der Premier damals, habe es keinen Sinn, die Tav zu bauen. Dann wurde es still, bis zur großen Kehrtwende auf Facebook.

"Das ist die vernichtendste Niederlage in der gesamten Geschichte der Bewegung", kommentiert die Zeitung Il Fatto Quotidiano, die alle Kämpfe der Cinque Stelle mitträgt. "Die Cinque Stelle waren schon 'No Tav', bevor es die Partei überhaupt gab." Die Schlacht an der Seite des Volkes des Val di Susa gegen das "dümmste, anachronistischste, umweltschädlichste und teuerste Bauwerk Europas", wie der "Fatto" es nennt, war gewissermaßen die Keimzelle der Cinque Stelle. Sie haben sie geopfert, nachdem sie davor schon ihren Widerstand gegen das große Stahlwerk Ilva in Taranto und die Gasleitung Tap in Melendugno aufgegeben hatten.

Dem "Capo politico" der Partei, Vizepremier Luigi Di Maio, wird vorgeworfen, er habe sich feige hinter Conte versteckt, um seinen Posten an der Macht zu sichern. Nach der Liveschaltung gab Di Maio vor, er sei empört. Er sagte, das Parlament müsse über die Vorlage entscheiden. Doch der Ausgang dieser Abstimmung ist programmiert, das weiß Di Maio: Außer den Sternen ist keine Fraktion gegen die Tav. Es fehlte der Partei die Kraft, Stirn zu bieten, obschon sie Seniorpartner der Regierung ist. Theoretisch wenigstens. In der Praxis gewinnt mal wieder Salvini.

Von Grillo hört man, er fühle sich betrogen. "Das ist nicht mehr meine Bewegung", soll er seiner Entourage gesagt haben. Viel bleibt ja auch nicht mehr übrig von der Seele und dem Idealismus der Anfänge. In einem einzigen Jahr an der Regierung ist alles verglüht.

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