Italien:Berlusconi ist zurück - und kann noch Wahlen entscheiden

Forza Italia party leader Silvio Berlusconi waves to his supporters during a rally for the regional election in Palermo

"Auf meinen Reisen durch Italien erfahre ich viel Sympathie": Silvio Berlusconi will zurück auf die Bühne - mit seinen alten Versprechen. Hier bei seinem Wahlkampfauftritt im Teatro Politeama in Siziliens Hauptstadt Palermo.

(Foto: Guglielmo Mangiapane/Reuters)
  • Mit 81 Jahren will's Silvio Berlusconi noch einmal wissen: Bei einem Wahlkampfauftritt vor der Regionalwahl in Sizilien testet er die Stimmung.
  • Die Insel gilt als Italiens politisches Versuchslabor - und als die Gegend, die Berlusconi stets alles verzieh.
  • Das Rennen läuft wohl zwischen dem Mitte-rechts-Lager und Giancarlo Cancelleris Fünf Sternen - ein wichtiger Stimmungstest vor der Parlamentswahl 2018.

Von Oliver Meiler, Palermo

Gerade liefen noch die Bilder aus einer fernen, ruhmreicheren Zeit über die Großbildschirme, begleitet von der Hymne von Forza Italia. Die ältere Dame beim Lautsprecher vorne rechts, hoch gestecktes Haar, funkelnde Brosche am Kleid, presste ihre Hände auf die Ohren, so bombastisch laut dröhnte der Bass. Aufgeregt ist sie trotzdem. Und da steigt er nun also die Seitentreppe des Teatro Politeama hoch zur Bühne, winkend und lachend, umschwirrt von Leibwächtern, als wäre er nie weg gewesen: Silvio Berlusconi. Im blauen Doppelreiher, wie früher. Die Haare so dunkelbraun wie ehedem, es sind sogar einige mehr geworden. "Buonasera."

Er ist zurück, mit 81 Jahren. So unfassbar das erscheinen mag: Silvio Berlusconi kann noch Wahlen entscheiden. Es heißt nun wieder, er sei "intramontabile", unvergänglich, schier unsterblich. Das ist seine liebste Legende, er hat sie selber genährt. Von der Seite, aus nächster Nähe, wirkt sein Lachen wie in Stein gemeißelt, die Gesichtszüge sind wie festgezurrt. Von vorne aber, im Fokus der Scheinwerfer und der Kameras, sieht man vor allem seine Zähne, sie blitzen sehr weiß. Berlusconi war zuletzt oft auf einer Schönheitsfarm in Südtirol, wo sie angeblich Wunder schaffen.

"Wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, muss man alles ändern.“

Zum Sprichwort gewordenes Zitat aus dem Sizilien-Roman "Il Gattopardo" von Giuseppe Tomasi di Lampedusa

Er will sich noch einmal beweisen. Vielleicht sollte man ihn auch mal fragen, warum er sich das antut. Ist es Eitelkeit? Lust auf Revanche? Beides? Dieser Auftritt in Palermo ist sein größter und wichtigster seit Jahren. Die Sizilianer wählen am Sonntag ein neues Regionalparlament und einen Regionspräsidenten. Sollte sein rechtes Lager hier gewinnen, trotz alter und neuer Justizskandale, trotz der harten Konkurrenz durch die Protestbewegung Cinque Stelle, die in den Umfragen gleichauf liegt, dann wäre auch national wieder mit Berlusconi zu rechnen. Zwar nicht als Premierminister, aber als Powerbroker, als unumgänglicher Machtfaktor.

Rechnet man alles zusammen, was er verspricht, ginge Italien bankrott

Siziliens Wahl ist der letzte Stimmungstest vor den italienischen Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr, so etwas wie deren Hauptprobe. Sizilien galt schon oft als politisches Versuchslabor. Auf der Insel probieren die Parteien Dinge aus, die sie anderswo nicht wagen würden: sündhafte Allianzen etwa, fantasiereiche Programme. Es ist ein bisschen wie Kasino.

Die Rechte tritt mit Nello Musumeci an, 62, aus Catania, früher Provinzpräsident auf der anderen Seite der Insel. Alle, rechts wie links, nennen ihn "Fascista perbene", einen "anständigen Faschisten". Musumeci wurde im Movimento Sociale Italiano groß, unter Nostalgikern von Benito Mussolini. Er stand immer zu seiner schwarzen Herkunft. Geschadet hat ihm das nie. Man hält ihn für einen "Galantuomo", einen Gentleman mit rhetorischem Talent. Sein Slogan: "Diventerà bellissima. Sie wird wunderschön werden. Gemeint ist: la Sicilia. Sie ist natürlich schon schön, äußerlich wenigstens. Aber drinnen?

Neben Musumeci sitzen an diesem Abend an Allerheiligen auch einige Leute, von denen man sagt, sie seien eigentlich nicht präsentabel, weil sie Prozesse am Hals haben wegen Korruption oder weil sie den Ruf haben, der Mafia nahezustehen. Ihre Namen finden sich dennoch auf den Wahllisten der Rechten. In seiner Rede wird Berlusconi sagen, in einer Demokratie habe jeder die Wahl: "Wenn euch der eine oder andere nicht passt, streicht ihn doch einfach von der Liste." Es gibt dafür nur zögerlichen Applaus. Vorne senken die "Impresentabili" den Kopf. Sie hatten sich eben noch geküsst und geherzt, über die plüschigen Sessel hinweg.

Eine Stimme mehr als die Fünf Sterne würde reichen

In der ersten Reihe sitzt auch Berlusconis Lebensgefährtin Francesca Pascale, eine sehr blonde, junge Frau, 49 Jahre jünger als ihr Verlobter. In ihrem voluminösen weißen Kleid sieht sie aus wie eine Meringue, gebackener Zuckerschaum. Sie klatscht auch, wenn sonst niemand klatscht. Zum Beispiel, wenn ihr Liebster von seinem "Freund Wladimir" spricht und Putin meint, mit dem er sich natürlich oft über die Weltpolitik unterhält. Er redet frei. Auf dem Pult liegt nur ein Faltpapier mit handgeschriebenen Notizen, er zeigt es dem Publikum, wedelt damit. "Man wollte mir eine Rede in 64 Seiten vorbereiten. Aber mir reicht das hier."

Dann endlich legt Berlusconi die alte Platte auf, die alle hören wollen. Alle möglichen Steuern will er abschaffen, käme er wieder an die Macht: die Steuer auf das erste Haus, die Schenkungssteuer, die Erbschaftsteuer, die regionale Unternehmensteuer, auch die Steuer auf das erste Auto. Rechnet man alles zusammen, was er verspricht, ginge Italien sofort bankrott. Doch jetzt klatschen sie auch auf den oberen, spärlicher besetzten Reihen im Politeama, wo sie davor nicht geklatscht hatten. Einer aber ruft: "Lavoro!" Arbeitsplätze brauche die Insel. Berlusconi reagiert nicht auf den Zwischenruf. Er sagt noch: "Und natürlich muss auch der Kampf gegen die Mafia präsent sein." Das große Thema, liquidiert in einem plumpen Nebensatz. "Forza Sicilia! Forza Italia!"

Nichts ist besser geworden in Sizilien

Berlusconi treffe den Ton fast immer, sagt Antonio Fraschilla, politischer Reporter der sizilianischen Ausgabe von La Repubblica: "Seine Sprache ist einfach, zugänglich, man hört ihm zu und versteht. Die Sizilianer lieben ihn dafür, wider alles bessere Wissen." Kein politischer Leader Italiens ist populärer auf der Insel als der Mailänder Berlusconi, seit vielen Jahren. Alle Umfragen zeigen das, die Gunst riss nie ab.

Hymne und Abspann mit denselben Bildern vom Anfang. Es sind Bilder von 2001, als Berlusconi bei den Parlamentswahlen ganz Sizilien eroberte. Sein Popolo della Libertà gewann damals alle 61 Sitze, die in Sizilien zu holen waren. "61:0" - ein Kantersieg gegen die Linke. Doch so sehr er sich bemüht, diese fernen Zeiten mit neuem Leben anzufüllen, sie zu beschwören und zu besingen: Der Refrain klingt hohl und abgedroschen. Draußen, auf der Piazza vor dem Theater, wo sie eine Großleinwand montiert haben, damit die Massen dem ewigen Rückkehrer zuschauen können, stehen nur einige Dutzend Menschen. Vielleicht liegt es am Regen.

Die Politik hat viel Kredit verloren. Nichts ist besser geworden in Sizilien. Es gibt keine jüngere Statistik, die Zuversicht stiften würde, kein einziger positiver Trend. Die Arbeitslosigkeit ist weiter viel höher als im Rest Italiens - vor allem unter Jugendlichen, wo sie bei mehr als 50 Prozent steht. Jedes Jahr verlassen 25 000 Sizilianer die Insel. Die Infrastruktur? Alle Versprechen verhallten. Legalität? Man redet wenig über die Mafia, hört auch wenig von ihr, und das ist kein gutes Zeichen: Stille ist ihr das Liebste. Gewachsen sind nur die Schulden der Region, um 40 Prozent.

Die Enttäuschung im Volk befeuert die Hoffnungen eines 42 Jahre alten Landvermessers und früheren Lagerarbeiters, der auf Geheiß seiner Parteioberen neuerdings Krawatte und Sakko trägt: Giancarlo Cancelleri von den Cinque Stelle reist von Gemeinde zu Gemeinde und präsentiert die Listen der "Impresentabili" der Rechten. Das reicht schon, dass sich viele überzeugen lassen, mal etwas ganz Neues zu versuchen - etwas mit Fünf Sternen.

Ein "anständiger Faschist" gegen einen Landschaftsvermesser

Gegen die Linke, die Sizilien in den vergangenen fünf Jahren regiert hat, braucht Cancelleri nicht laut zu werden: Sie regierte schwach und tritt nun auch noch gespalten an. Mit zwei Kandidaten, dem Rektor der Universität von Palermo, Fabrizio Micari, und dem Anti-Mafia-Aktivisten Claudio Fava, Sohn eines ermordeten Journalisten, die um dieselben Stimmen buhlen und dabei wohl etliche an andere Parteien verlieren. Micari wird vom sozialdemokratischen Partito Democratico getragen, Fava von der etwas linkeren Partei "Movimento Democratico e Progressista", die sich kürzlich von den Sozialdemokraten abgespalten hat. Der Kampf beider Linken auf der Insel spiegelt die nationalen Verhältnisse ganz gut. Man hat sich offenbar nichts mehr zu sagen.

So kämpfen ein "anständiger Faschist" und ein Landschaftsvermesser mit Krawatte um Sizilien. Für die Fünf Sterne wäre es das erste Mal, dass sie den Gouverneur einer Region stellen. Eine Stimme mehr würde schon reichen. Sizilien hat eine lange Erfahrung mit Minderheitsregierungen. "Sie stürzen deshalb nicht", sagt der Reporter Antonio Fraschilla, "weil sich bei Abstimmungen immer eine Mehrheit finden lässt. Irgendwie." Kein Abgeordneter verzichtet leichten Herzens auf 12 000 Euro Monatsentschädigung. Gewänne die Rechte in Sizilien, wäre Berlusconis wohl versucht, groß und national zu träumen. "Auf meinen Reisen durch Italien", sagte er dem Publikum im Politeama, "erfahre ich viel Sympathie." Es klang, als sei er selber überrascht.

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