Italien:"Berlusconi ist ein Handicap"

Eine Zeitung quält Berlusconi: La Repubblica bringt die Eskapaden des Cavaliere an die Öffentlichkeit. Ein Gespräch mit Chefredakteur Ezio Mauro über Privatsphäre, den G-8-Gipfel und Pressefreiheit.

Michael König

Ezio Mauro sagt, er mache nur seine Arbeit. Tatsächlich aber macht der 60 Jahre alte Chefredakteur der Tageszeitung La Repubblica beinahe täglich Schlagzeilen, die für Silvio Berlusconi zu einem Problem werden: Seine Reporter recherchierten die Umstände der Privatpartys, die der Ministerpräsident in seinen Dienstwohnungen und auf seinem Anwesen feierte. Sie hinterfragten seine Beziehungen zu jungen Damen und interviewten die vermeintlich betrogene Ehefrau Veronica Lario, die via La Repubblica die Scheidung verkündete. Von seinen eigenen Zeitungen und TV-Sendern ist Medienmogul Berlusconi anderes gewöhnt. Er antwortete mit einem Aufruf zum Boykott.

Italien Silvio Berlusconi G8 Gipfel, dpa

Silvio Berlusconi nach dem Erdbeben in L'Aquila: "Seine Position ist geschwächt. Das wird er beim G-8-Gipfel zu spüren bekommen."

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Mauro, gibt es genügend "Masochisten" in Italien? So hat Silvio Berlusconi Ihre Anzeigenkunden bezeichnet.

Ezio Mauro: Ich habe zumindest nicht den Eindruck, dass es seit seiner Äußerung weniger geworden sind. Aber wir prüfen Tag für Tag, wie sich der Markt entwickelt. Das ist ja eine Angelegenheit, wie man sie in einem westlichen Staat vorher noch nie erlebt hat: Ein Premierminister einer Demokratie mit Pressefreiheit und freier Marktwirtschaft ruft zum Boykott einer unliebigen Tageszeitung auf.

sueddeutsche.de: Sie haben nun angekündigt, Berlusconi zu verklagen. Was erhoffen Sie sich davon?

Mauro: Es sind sogar zwei Klagen, die wir anstreben: Bei der einen geht es um den Aufruf zum Boykott. Bei der anderen darum, dass Berlusconi behauptet, wir hätten seine Privatsphäre verletzt.

sueddeutsche.de: La Repubblica hat über Berlusconis Partys berichtet, über Familienfeiern und über die angebliche Affäre mit einer deutlich jüngeren Frau. Zuletzt ging es um ein Abendessen mit einem Richter. Sind das nicht tatsächlich Dinge, die nur ihn etwas angehen?

Mauro: Nein. Er selbst hat das zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht. Seine Ehefrau Veronica Lario hatte in einem Interview beklagt, ihr Mann wähle bevorzugt junge, hübsche Frauen als Politikerinnen für seine Partei aus. Was hat Berlusconi daraufhin gemacht? Er hat sich in ein Fernsehstudio gesetzt und zwei Stunden über seine Sicht der Dinge gesprochen. Vor einem Millionenpublikum. Das war für mich der Beweis dafür, dass er sehr genau weiß, dass es hier nicht um eine private Angelegenheit geht. Was sie außerdem nicht vergessen dürfen: Berlusconi ist ein Vorreiter darin, Privates mit Öffentlichem zu vermischen. 1992 hat er ein Buch an 50 Millionen Wähler schicken lassen - als Geschenk. Der Inhalt waren ausschließlich private Fotos.

Auf der nächsten Seite: Ezio Mauro über das Fehlen der Opposition, Berlusconi als Handicap für Italien und Proteste nach dem Zugunglück.

Buhrufe in Viareggio

sueddeutsche.de: Wäre es nicht die Aufgabe der Opposition, auf diese Diskrepanz hinzuweisen?

Ezio Mauro Silvio Berlusconi, AFP

La-Repubblica

-Chefredakteur Ezio Mauro: "Ich halte mich nur an grundlegende Regeln"

(Foto: Foto: AFP)

Mauro: Ja, aber so eine Opposition gibt es in Italien nicht. Dem linken Lager fehlt ein einigender Gedanke, eine Idee von einer modernen, europäischen Linken. Da ist nichts in Sicht, und so kann auch niemand von der momentanen Schwäche der Regierung profitieren.

sueddeutsche.de: Hat La Repubblica diese Lücke gefüllt?

Mauro: Das können wir nicht. Wir sind keine Partei, sondern eine Tageszeitung. Aber ich gestehe, dass uns als Journalisten mangels einer richtigen Opposition eine wichtige Rolle zukommt.

sueddeutsche.de: Liegt Ihnen diese Rolle persönlich am Herzen?

Mauro: Das hat mit mir persönlich überhaupt nichts zu tun. Ich habe als Chefredakteur einer Tageszeitung beschlossen, Nachrichten zu veröffentlichen, die eine Relevanz für die Demokratie haben. Ich halte mich nur an grundlegende Regeln des Journalismus.

sueddeutsche.de: Fühlen Sie sich dabei von Ihren Kollegen im Stich gelassen? Bei den Medien, die zu Berlusconis Firmenimperium gehören, werden die Vorwürfe teilweise gar nicht behandelt.

Mauro: Seit Beginn der Affäre habe ich mit keinem dieser Kollegen gesprochen. In Italien gilt immer noch die Pressefreiheit. Jeder Journalist muss selbst wissen, ob und wie er sie nutzt.

sueddeutsche.de: Anfang Juli sind die Staatschefs der G 8 in L'Aquila zu Gast. Was erwarten Sie von dem Gipfeltreffen?

Mauro: Ich hoffe einfach auf ein gutes Ergebnis. Und darauf, dass der Gipfel korrekt abläuft. Das ist ein wichtiger Termin für Italien. Was Berlusconi angeht: In den letzten zwei Monaten hat er an Ansehen verloren. Seine Position auf dem internationalen Parkett dürfte schwächer geworden sein. Das wird er vermutlich zu spüren bekommen. Damit ist er ein Handicap für Italien.

sueddeutsche.de: Berlusconi ist seit langem umstritten, die Liste seiner Fehltritte ist lang. Dennoch hat er Erfolg. Haben die Italiener ein Herz für Skandalnudeln?

Mauro: Diese Frage höre ich andauernd, wenn ich mit ausländischen Kollegen spreche. Darüber könnte ich lange mit Ihnen diskutieren, aber ich will es kurz machen: Politik wurde erfunden, um den gordischen Knoten zu zerschlagen. Bevor das gelingt, muss debattiert, abgestimmt, also gearbeitet werden. Das kostet Zeit, das kann man als mühsam empfinden. Berlusconi hingegen verspricht, direkt zum Schwert zu greifen: Zack, weg mit dem Knoten. Das ist eine Illusion, aber eine sehr verlockende - besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

sueddeutsche.de: Jetzt sieht es so aus, als würde sein Image bröckeln: Als er zuletzt die Opfer des Zugunglücks von Viareggio besuchte, soll er ausgebuht worden sein. Dreht sich die Stimmung gegen ihn?

Mauro: Einige haben applaudiert, andere haben gebuht. Die Mehrheit stand ihm wohl kritisch gegenüber. Das ist beachtlich, weil die Affären in den wichtigen Fernsehnachrichten ja keine Rolle spielten. Ich glaube, die Reaktionen in Viareggio haben eines gezeigt: Die makellose Fassade, die Berlusconi sich und seiner Politik verpasst hat, hat einen Riss bekommen. Bislang ist es nur ein kleiner Riss. Aber es ist ja bekannt, was aus so einem Riss werden kann.

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