Italien:Auf der Jagd nach dem rechten Schatz

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Den Betrugsskandal hat Parteichef Matteo Salvini von seinem Vorgänger Umberto Bossi (rechts) geerbt. Damals hieß die Lega noch Lega Nord.

(Foto: Tiziana Fabi/AFP)

Eigentlich läuft es gerade super für Innenminister Matteo Salvini - wären da nicht Forderungen der Justiz, seine Lega müsse dem Staat 49 Millionen Euro zurückzahlen.

Von Oliver Meiler, Rom

Matteo Salvini ist ein Wellenreiter. Er reitet auf seiner eigenen, rauen Welle. Seit der Chef der rechtsnationalistischen Lega italienischer Innenminister und Vizepremier ist und das Land täglich mit seiner Propaganda gegen Migranten traktiert, wächst seine Gunst im Volk. Das zeigen alle Umfragen. Es ist, als bringe ihm jeder Tweet ein Zehntelprozent mehr ein. Salvinis Lega, die vor fünf Jahren eine Nischenformation aus dem Norden mit einem Wähleranteil von vier Prozent war, wird nun als stärkste Kraft im Land gehandelt. Dreißig Prozent der Italiener sollen bereit sein, Lega zu wählen. Das hat damit zu tun, dass viele in Salvini einen starken Mann sehen, einen "Uomo forte". Die Lust auf solche Figuren kehrt in Italien regelmäßig zurück, um dann jeweils schnell wieder zu verwelken. Seine Freunde und Anhänger nennen Salvini "Capitano", Kapitän.

Die unselige Geschichte rund um die veruntreuten Millionen seiner Partei kommt da gerade etwas ungünstig. Der Kapitän gibt ja gern den Saubermann. Der römische Kassationshof, Italiens oberstes Gericht, hat vor einigen Tagen die Begründung eines Urteils nachgeliefert, das es bereits im Frühjahr gefällt hatte. Darin heißt es, der Staat müsse von der Lega 49 Millionen Euro zurückfordern - "wo und bei wem auch immer sie liegen". Die Konten der Partei müssten gesperrt werden. Und da die Lega vorgibt, nicht solvent zu sein, müsse auch in Zukunft alles, was reinkomme, von der Schuld abgetragen werden, bis die 49 Millionen erreicht seien. Die hohen Richter gehen anscheinend davon aus, dass das Geld irgendwo sein müsse, womöglich versteckt in einem Geflecht von Finanzoperationen und Fonds, und dass die Guardia di Finanza nur gut genug danach fahnden müsse. Die Schatzsuche läuft nun an. Sie dürfte die Chronik von Salvinis politischem Aufstieg für eine Weile begleiten und wohl auch eintrüben.

Den Betrugsskandal hat er von seinem Vorgänger geerbt, Umberto Bossi. Als der Gründervater und Mythenstifter der vormaligen Lega Nord die Partei verwaltete, tat er das auch mit einer besonderen Aufmerksamkeit für seine ganz privaten Belange. 2013 fanden die Ermittler im Safe des Schatzmeisters der Lega, Francesco Belsito, einen Ordner mit der Aufschrift "Family". Gemeint war die Familie Bossi: Umberto, Frau Manuela, Vorsteherin einer Privatschule, sowie die Söhne Renzo, Riccardo, Roberto und Sirio. Die "Family" benutzte die Parteikasse wie einen Bankomaten, hieß es. Es lag viel Geld drin, vor allem die staatlichen Entschädigungen für die Wahlkampagnen. Allein für die strafrechtlich relevanten Jahre 2008 bis 2010 kamen so fast 49 Millionen Euro zusammen.

Bossi Senior ließ die Renovierungsarbeiten an seiner Villa, das Abonnement fürs Bezahlfernsehen, die Gas- und Stromrechnungen sowie die Hausversicherung von der Lega bezahlen. Sohn Sirio schickte der Partei die Rechnung für die Schönheitsoperation an seiner Nase: 9901 Euro. Sohn Renzo kaufte sich für 48 000 Euro einen Audi A6, bezahlt hat die Lega. Auch die Strafzettel beglich die Partei. Vor zehn Jahren, mit 20, galt Renzo Bossi als Hoffnungsträger der Dynastie. Es hieß damals, er werde den Vater mal an der Parteispitze ablösen. Landesweit bekannt wurde er wegen eines Bonmots seines Vaters. Als man Umberto Bossi einmal fragte, ob er Renzo tatsächlich als "delfino" im Kopf habe, wie die Italiener Nachfolgeaspiranten nennen, sagte er, sein Sohn sei höchstens eine "trota", eine Forelle. Die Lega bezahlte auch für Renzo Bossis Abschluss in Betriebswirtschaft an einer Universität im albanischen Tirana. 77 000 Euro kostete die Urkunde, dort studiert hat die "Forelle" allerdings nie.

Als Ermittler die Kassen der Partei beschlagnahmten, fanden sie zwei Millionen. Aber wo ist der Rest?

Das alles stand im Ordner "Family". Dem Fahrer der Bossis war es irgendwann zu bunt geworden, er zeigte sie an. In der Partei wussten alle Bescheid. Im vergangenen Jahr wurde Bossi Senior wegen Betrugs am Staat in erster Instanz zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Belsito bekam vier Jahre und zehn Monate, er war ein vielseitiger Schatzmeister gewesen, er hatte das Geld unter anderem in australischen Dollar und in Diamanten aus Tansania angelegt. Renzo Bossi kam mit einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren davon. Seine politische Karriere hat er aufgegeben, er ist jetzt Bauer.

Als die Ermittler die Kassen und Konten der Partei beschlagnahmten, fanden sie darin nur zwei Millionen Euro. Wo ist der Rest? Alle Millionen kann die "Family" ja nicht ausgegeben haben. Und so eröffnete die Justiz einen weiteren Fall, um dem Verdacht nachzugehen, dass die Partei in den vergangenen Jahren, also bereits unter Salvinis Führung, etliches verschwinden ließ und womöglich über eine Kaskade von Finanzgeschäften bei mehr als vierzig verschiedenen Banken Geld wusch. Es gibt Spuren nach Luxemburg und in die Schweiz. Das Nachrichtenmagazin L'Espresso recherchiert seit Monaten und zeichnet die Fäden des Netzwerks nach.

In der Sorge, die Lega könnte plötzlich ohne Geld dastehen, baute Salvini im vergangenen Herbst eine Parallelpartei auf: "Lega per Salvini Premier". Sie hat ein neues Logo, neues Programm, neues Spendenkonto - sogar einen neuen Sitz, wie die Zeitung Il Fatto Quotidiano herausfand: Via delle Stelline, Mailand. Als man Salvini kürzlich auf die Adresse ansprach, sagte er: "Was ist Via delle Stelline?" Womöglich ging die Operation selbst ihm zu schnell. Via delle Stelline ist eine Strohadresse. Die ganze Konstruktion soll dazu dienen, die neue von der alten Lega administrativ abzukoppeln, damit die Beschlagnahmung der Millionen die Partei nicht in den Ruin treibt. Doch ob dieser Plan aufgeht, ist höchst unsicher. Es hätte wohl mehr gebracht, wenn die Lega damals im Verfahren gegen Bossi als Zivilklägerin aufgetreten wäre, an der Seite des Senats und der Abgeordnetenkammer - als Geschädigte. Davon sah Salvini am Ende aber ab, und so steht die "Lega per Salvini Premier" jetzt als das da, was sie ist: eine Fotokopie der alten Partei, zwecks Täuschung der Justiz.

Das hindert Salvini jedoch nicht daran, sich als Opfer einer politischen Verfolgung durch "rote Richter" darzustellen. Das Geld sei nun halt weg, ausgegeben in zehn Jahren, sagt er. Auch das Komplottgeheule ist ein altes Motiv der italienischen Politik. Wenn der "Capitano" auf die Justiz schimpft, hallt darin das rituelle Klagen von Silvio Berlusconi nach, dem früheren "Cavaliere". Noch so ein starker Mann mit Schwächen.

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