Italien:Alle Schäfchen im Trockenen

Der Vatikan müsste in Italien eigentlich Milliarden Euro Immobiliensteuern nachzahlen. Doch der Staat, der eigentlich jeden Euro gut gebrauchen könnte, zögert beim Eintreiben der Summe.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn die Nacht über Rom kommt und die Touristen sich von den Strapazen viel zu langer Fußmärsche durch Foren und Museen erholen, geht in vielen Klöstern, Pfarreien und Seminaren erst das Licht an. Eins ums andere, es erleuchten dann Palazzi, von denen man dachte, sie seien unbewohnt: tolle, gut konservierte, still in sich ruhende. Sie gehören der katholischen Kirche, die immer irgendwie genügend Geld findet, um ihre Besitztümer in Form zu halten, während rundherum alles zerfällt. Das Immobilienportfolio des Vatikan zählt 23 000 Liegenschaften allein im weltlichen Teil Roms, also außerhalb der Leoninischen Mauer. Und immer kommen neue hinzu, vermacht von Bürgern. Die Römer sagen: Die Stadt gehört den "preti", den Pfaffen. Das ist ein bisschen übertrieben, aber eben nur ein bisschen.

Wenn also die Nacht über Rom kommt, öffnen die Priester und die Schwestern ihre schönen, oft spartanisch eingerichteten Häuser in bester Lage den müden, aber zahlenden Gästen, den Pilgern genauso wie den Touristen ohne besonders ausgeprägter Neigung zum Seligen und Heiligen. Klöster werden zu Herbergen, Hotels und Pensionen. Sie tragen umständliche Namen, etwa: "La Casa di Procura delle Suore Missionarie Pallottine", "La Casa per Ferie del Preziosissimo Sangue", "La Casa per Ferie Cristo Re". Die Zimmer sind billiger als bei der säkularen Konkurrenz: ohne Schnörkel, polierte Böden. Und es gibt feste Regeln für die Gäste, die man sonst nicht so kennt, vor allem die: Am Abend sollen die Gäste früh zurück im Zimmer sein. Meist bis 23 Uhr - "tassativo", unbedingt. Im "Nostra signora di Lourdes" ist die Tür schon um 22.30 Uhr zu. Da und dort wird auch geraten, am Morgengebet teilzunehmen.

Aber sonst? Ein profan lukratives Geschäft, bisher wenigstens. Die römische Hotelvereinigung schätzte die Einnahmen der katholischen Kirche mit ihren etwa 250 Gästehäusern und mehr als 10 000 Betten auf über 700 Millionen Euro im Jahr und ist nicht sehr glücklich darüber. Im Gegensatz zu den weltlichen Hotels bezahlen nämlich viele dieser Pensionen mit den gewichtigen Namen keine Immobiliensteuer - oftmals sogar mit gutem Recht, begünstigt von Spezialgesetzen aus dem römischen Parlament. Das verzerrt den Wettbewerb. Solange die Zeiten gut sind, alle viel verdienen und der Staat genügend einnimmt, ist das kein Problem.

Italien: Der Petersdom in Rom fällt sicher nicht in die Kategorie kommerziell genutzter Immobilien. Viele andere Liegenschaften der katholischen Kirche generieren aber Einnahmen als Hotels, Pensionen oder auch Privatschulen.

Der Petersdom in Rom fällt sicher nicht in die Kategorie kommerziell genutzter Immobilien. Viele andere Liegenschaften der katholischen Kirche generieren aber Einnahmen als Hotels, Pensionen oder auch Privatschulen.

(Foto: Marco Bertorello/AFP)

In Italien ist das allerdings fast nie der Fall. Der Staat ist chronisch klamm, seine Schulden belaufen sich auf 131 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im europäischen Vergleich ist nur die öffentliche Schuldenquote Griechenlands noch höher. Und gerade in diesen Tagen liefert sich Rom ja ein Kräftemessen mit Brüssel über seine frivolen Staatsfinanzen. Jede Milliarde zählt da, jede Dezimalstelle beim Defizit. Würde die Kirche alle ihre Steuern bezahlen, ohne Spezialbehandlung, dann wäre das italienische Finanzamt auf einen Schlag etwas reicher. Vielleicht auch sehr viel reicher.

Doch niemand weiß, wie viele Häuser dem Vatikan tatsächlich gehören. Es gibt kein Kataster, und das ist natürlich praktisch für die Kirche. Von der vatikanischen Immobilienverwaltung APSA heißt es, sie führe in ihrem Portfolio Objekte für sieben Milliarden Euro. Außerdem ist nie ganz klar, wie die Immobilien genutzt werden. Niemandem käme es in den Sinn, Pfarreien zu besteuern, die einfach nur Pfarreien sind. Doch zwischen dem Spirituellen und dem Weltlichen gibt es eine weite Grauzone - nicht nur bei den Herbergen, sondern auch bei den 8800 kostenpflichtigen katholischen Schulen und den 4800 katholischen Kliniken im Land. Papst Franziskus scheint sich der Bigotterie bewusst zu sein, er sagte einmal: "Wenn ein Kloster auch Herberge ist, dann soll es gefälligst die Steuern bezahlen." Aber freiwillig?

Die italienischen Parteien, linke wie rechte, haben sich immer schwer getan, den Vatikan hart anzufassen. Es gibt Konkordate, die das Zusammenleben von Staat und Kirche grundsätzlich regeln. Aber beim Kleingedruckten murkst man herum, um sich den Segen der Kirche und die Gunst der katholischen Wähler nicht zu verspielen. In der Ersten Republik, von 1948 bis 1994, als die Democrazia Cristiana durchregierte, war das verständlich: Die Partei war quasi der verlängerte Arm des Vatikan. Doch auch Silvio Berlusconi, der in der Zweiten Republik unvernünftig oft an der Macht war und weiß Gott nicht allen katholischen Idealen nachlebte, scheute sich, die "preti" zu verärgern.

26 000 Kirchen

sowie Konvente, Pilgerherbergen, Geschäfte und Sporteinrichtungen besitzt die katholische Kirche laut Schätzungen in Italien. Darin nicht mit eingerechnet ist der Vatikan als eigener Staat. Hinzu kommt aber noch weiterer Immobilienbesitz: 9000 Schulen sowie 5000 Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen. Lutz Knappmann

2005 beschloss Berlusconi gar, alle katholischen Einrichtungen von der ICI zu befreien, wie früher die kommunale Immobiliensteuer hieß. Er kämpfte damals gerade um die Wiederwahl und umschmeichelte kirchennahe Kreise. Die Wahl verlor er trotzdem. Sein Nachfolger, der linke Premier Romano Prodi, änderte das generöse Steuerregime nur minimal: Es hieß nun, von der ICI ausgenommen seien alle Immobilien der Kirche, die "nicht exklusiv kommerziell" genutzt würden. Eine fantastische Wortwahl, sie lud geradezu ein, die Grauzone zu erweitern. Das Morgengebet im Bed&Breakfast der Missionsschwestern reichte wahrscheinlich schon aus, um die Übernachtung zur spirituellen Erfahrung zu erklären. Steuerfrei.

Vor einigen Tagen hat nun aber der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der italienische Staat die nicht bezahlte ICI von der Kirche einfordern muss, rückwirkend, und zwar für die gesamte Zeit zwischen 2006 und 2011. Fast fünf Milliarden Euro. Die privilegierte Behandlung sei unzulässige Staatshilfe. Geklagt hatten Konkurrenten aus dem Business um die müden Pilger und laizistische Privatschulen.

Das Urteil stürzt nun auch die Politik der Dritten Republik in ein Dilemma. Denn auch die Populisten von der Lega und den Cinque Stelle wollen es sich nicht verscherzen mit der Kirche, obschon etwas mehr Härte Milliarden einbringen würde. Hört sich paradox an. Virginia Raggi etwa, Roms Bürgermeisterin von den Fünf Sternen, hatte vor ihrer Wahl versprochen, sie werde den Vatikan zur Kasse bitten. Ganz bestimmt, es gehe schließlich nicht an, dass sich die "preti" den Zwängen im Diesseits entziehen können. Seit sie ein paarmal beim Papst drüben war, auf der anderen Seite des Tibers, ist die Forderung eingeschlafen.

Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann sich Italien nicht entziehen. Treibt die Regierung das Geld nicht ein, riskiert sie neben dem Defizitverfahren zum Haushalt auch noch ein Disziplinarverfahren wegen Ordnungswidrigkeit - samt Geldbußen: Hunderte Millionen Euro. Die Zeitung La Stampa fand heraus, dass sie im Finanzministerium jetzt an einem gütlichen Deal arbeiten, inklusive Rabatt für den Vatikan. Die Kirche soll nur eine statt fünf Milliarden Euro nachzahlen müssen. Und alles wäre gut.

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