Es ist, als wäre alles wie immer. "Signori", sagt die Vorsitzende schon zum dritten Mal, "ich bitte Sie, etwas weniger Lärm!" Doch die Herrschaften Senatoren der Republik sind gerade gut gelaunt, mancher ist gar etwas überdreht.
Es ist kurz nach 18 Uhr, über der Aula des italienischen Senats liegt die Stimmung leichter Tage. Stimmen flirren, es wird hier und da zur Begrüßung geküsst, dagegen kommt auch der Berichterstatter des Parlamentsgeschäfts Nummer 2567 nicht an, der von den "Dramen dieses Landes" erzählt, von den zerstörten Dörfern in Mittelitalien und den Plänen für den schnellen Wiederaufbau nach den Erdbeben. Geht alles unter. Auf den Bänken der Bürgerlichen, fünfte Reihe zur Mitte, freuen sich zwei Parlamentarier so sehr über ihr Wiedersehen, dass sie jetzt mehr auf- als nebeneinander sitzen und sich gegenseitig die Wange streicheln. "Signori!" Auch das Glockengeläut der Vorsitzenden geht unter, gleich wird sie die Sitzung unterbrechen.
Dem Senat droht die Herabstufung zum Kämmerchen
Es ist eben, als wäre alles wie immer. Als drohte der hohen Kammer des italienischen Parlaments, der "Camera alta", in dieser XVII. Legislaturperiode nicht eine historische Herabstufung zum Kämmerchen, zum Vorvorzimmer der Macht. Kommt die Verfassungsreform durch, die den Italienern an diesem Sonntag in einer Volksabstimmung vorgelegt wird, dann schrumpfen die Befugnisse des Senats zu einem kümmerlichen Häufchen: ein bisschen Europapolitik, dazu regionale Dossiers, alle zehn Jahre eine Verfassungsreform.
Die Versammlung würde danach auch nicht mehr gefragt, ob sie der Regierung vertraue oder misstraue. Die Senatoren könnten keine Kabinette mehr stürzen, wie sie das bisher konnten und zuweilen auch ganz gerne taten. Und, ja, ihre Zahl würde auch reduziert - von 320 auf 100. Auf den Rängen säßen Entsandte aus den Regionen, Bürgermeister und Regionalräte, die nur ein, zwei Mal im Monat nach Rom fahren würden, um zu tagen. Die schöne Aula wäre dann viel zu groß. Die neuen Senatoren hätten in einer Ecke Platz. Der ganze protzige Gestus dieses Hauses wäre plötzlich überdimensioniert.
Der Palazzo Madama atmet verflossene Größe
Der Palazzo Madama ist ein Prachtbau: Mächtig und wuchtig steht er zwischen Pantheon und Piazza Navona, mitten in der Glorie Roms. Früher gehörte er mal den Medici aus Florenz, da und dort hängt noch ihr Wappen. Er atmet verflossene Größe: Stuck, Kassettendecken, mächtige Kronleuchter. Gemälde, antike Möbel, vergoldetes Holz allenthalben, Memorabilien aus Jahrhunderten, eine Urne mit etwas Asche von Dante Alighieri, behauptet man wenigstens. Und dann ist da noch das wunderbare Parkett, in den Sälen und auf den Korridoren. Der Holzboden federt und knirscht unter den Füßen, jedes Geräusch ein Echo der Geschichte. Palazzo Madama ließe sich leicht in ein Museum verwandeln. Und vielleicht kommt ja bald jemand auf diese Idee, wenn die Italiener "Ja" sagen zur Reform von Matteo Renzi.
Als der junge Premier vor bald drei Jahren seine Antrittsrede im Senat hielt, sagte er: "Liebe Senatorinnen, ehrenwerte Senatoren, wir nähern uns Ihnen auf unseren Zehenspitzen, mit dem tiefen Respekt, den diese Aula verdient." Dann eröffnete er ihnen, dass er die Kammer stutzen wolle. Renzi war damals 39, jünger als alle im Saal: Für den Senat gilt ein Mindestalter von 40 Jahren. Die Vertrauensabstimmung gewann er dennoch klar. Es war, schrieben die Zeitungen, als unterzeichneten die Senatoren ihr eigenes Todesurteil.
Seit 1871, als Rom Hauptstadt des geeinten Italien wurde, dient der Palazzo Madama der kleinen Kammer als Sitz. In der Vorstellung der Italiener war der Senat immer schon das Emblem ihrer ungeliebten politischen Kaste. Und da dieser Senat der Neuzeit ja irgendwie in einer Erblinie mit dem Ursenat aus der römischen Antike steht, einem Weisenrat aus Patriziern, der nur einige Straßen entfernt seinen Sitz hatte, ist das alles natürlich gerade doppelt symbolisch und emotional aufgeladen. "Senatus Populusque Romanus", kurz S.P.Q.R. - "Senat und Volk von Rom", das waren die beiden Pfeiler des altrömischen Staatswesens. Noch immer ziert das Akronym das Wappen der Stadt, die Ämter, die Abfalleimer, die Kanaldeckel und, ausgerechnet an diesem 4. Dezember, zum ersten Mal auch den Trikotkragen der AS Roma im Stadtderby gegen Lazio Rom.
Von oben, aus der Besucherloge im zweiten Stock, wirkt der Sitzungssaal wie eine große Bonbonniere, herübergerettet aus einer anderen Zeit. Die Sessel sind mit rotem Samt überzogen, auch die Teppiche sind rot, die hohen Wände sind in dunkles Holz gekleidet. Sehr vornehm, sehr schwer. Und in der Mitte der Aula, zwischen den Rängen der Senatoren und der Tribüne der Präsidentschaft, sitzen drei junge Frauen, die je ein Gerät traktieren, das wie ein kleines Klavier aussieht - mit weniger, aber größeren Tasten: Das "Sistema Michela", eine italienische Erfindung, dient der Stenografie. Damit ließe sich alles Reden schnell transkribieren, wenn die jungen Damen nur das Relevante aus dem lauten Small Talk herausfiltern könnten.
Ihren bisherigen Status beziehen die Senatoren aus dem Grundgesetz von 1947. Damals, nach dem Krieg, erdachten die antifaschistischen Verfassungsväter ein System, das jeder neuen Form der Diktatur wehren sollte - einer faschistischen so sehr wie einer kommunistischen. Die beiden Kammern des nunmehr republikanischen Parlaments, die "Camera dei Deputati" und der "Senato", erhielten identische Kompetenzen zugesprochen, damit sie sich gegenseitig kontrollieren. Der sogenannte bicameralismo perfetto, das totale Zweikammersystem, schuf nebenbei auch zwei barocke Bühnen für 950 Parlamentarier, die über die vergangenen siebzig Jahre nicht selten Theater boten. Episches und kleines, in allen Genres.
Mandate sind in Italien nicht bindend
Der Senat gilt als die problematischere Kammer, hier sind die Mehrheiten oft besonders knapp. Das müsste eine Regierung eigentlich nicht beunruhigen, wenn sich die Parlamentarier an die Linie der Parteien hielten, auf deren Listen sie gewählt wurden. In Italien ist das etwas komplizierter, Mandate sind hier nicht bindend. Im Verfassungsartikel 67 steht ausdrücklich, dass die Mitglieder des Parlaments frei sein sollen. Und so fühlen sich viele so frei, die Partei zu wechseln, gerne auch mehrmals. In dieser Legislaturperiode haben 117 Senatoren die Fraktion verlassen, der sie zu Beginn angehört hatten - mehr als ein Drittel. Es wäre vermessen, ihnen allen noble Motive zuzuschreiben.
Manchmal wechseln Parlamentarier die Partei, weil ihnen die politische Gegenseite Nettes verspricht: einen Posten zum Beispiel, einen besseren Listenplatz, offenbar auch mal Geld. Je knapper die Mehrheit, desto größer der Marktwert der Unsteten. Der trasformismo, der Artenwandel also, wie die Italiener den Hang ihrer Politiker zur Volatilität mit einer Anleihe aus der Evolutionstheorie nennen, mischt dem ganzen Betrieb eine wilde Variable bei. Es ist ein Laster, der Popularität nicht eben einträglich. Aber das kümmert sie nicht, im Gegenteil: Nie zuvor fand der trasformismo mehr Anhänger als in der laufenden, vielleicht historischen Legislatur. Und vielleicht müsste an dieser Stelle wieder an die Geschichte von Caligula erinnert werden, Kaiser von 37 bis 41. Er wollte, so heißt es in den alten Schriften, sein Lieblingspferd Incitatus zum Senator machen - so sehr verachtete er die Kammer.
Italiens Parlamentarier gehören zu den bestbezahlten in Europa
Einen schlechten Ruf haben Italiens Parlamentarier auch, weil sie sich über die Jahrzehnte hinweg mit zunehmender Großzügigkeit bedacht haben: mit immer höherem Salär, mit immer neuen Pauschalen und Privilegien. Sie gehören zu den bestbezahlten Abgeordneten in Europa. Rechnet man alle Annehmlichkeiten dazu, sind sie wahrscheinlich immer noch an der Spitze, obschon in den vergangenen Jahren ein wenig gekürzt wurde. Es gibt viel Geld für wenig Präsenz: Die Woche im Senat beginnt am Dienstag und endet am Donnerstag, wobei Dienstagmorgen und Donnerstagnachmittag meistens frei sind.
Noch ist unklar, was bei einem erfolgreichen Referendum aus dem Palazzo Madama und einem halben Dutzend weiteren Palästen werden würde, die sich der Senat bei seiner stetigen Expansion einverleibt hat. Da mag noch niemand darüber nachdenken. 677 Bedienstete bangen, der Senat ist einer der beliebtesten Arbeitgeber im großen Apparat der Institutionen. Nur die Besten schaffen es da rein. Sie tragen schwarze Uniformen mit goldenen Knöpfen, goldenen Streifen am Ärmel, einem goldenen "S" am Revers. Und sie schreiten bei der Arbeit durch Säle von schwülstiger Schönheit, etwa die Sala Maccari, den Lesesaal der Senatoren. Der Künstler Cesare Maccari hat da auf Wunsch des Senats die große Brücke in die Antike geschlagen und eine berühmte Szene aus dem altrömischen Senat gemalt: Ciceros Klagerede gegen Catilina, den Verschwörer.
Riesig ist das Gemälde geworden, eine ganze Wand groß. Unten links, auf einem kleinen Möbel unter dem Fresko, steht ein Bildschirm. Darauf läuft Fußball, wenn die Nacht mal lang wird. Würde Palazzo Madama zum Museum, müsste hier nur der Fernseher weg.