Ukraine-GesprächeGeduldsspiel am Bosporus

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Er war bereit: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Donnerstagmorgen auf dem Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara.
Er war bereit: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Donnerstagmorgen auf dem Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara. (Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa)

Wie erwartet reiste Wladimir Putin nicht zu den Ukraine-Gesprächen nach Istanbul. Auch Donald Trump sagte ab. Und doch bleibt eine vage Hoffnung, dass Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gang kommen könnten.

Von Silke Bigalke, Raphael Geiger, Florian Hassel, Istanbul/Moskau/Belgrad

Als Pendler in Istanbul hat man an diesem Donnerstag gute Chancen, falls man immer schon mal ins Fernsehen wollte. Es stehen wohl zwei Dutzend Kamerateams auf dem kleinen Platz am Bosporus, zwischen dem örtlichen Büro des türkischen Präsidialamts im Dolmabahçe-Palast und der Anlegestelle der Asien-Fähren; wer gerade von der asiatischen Seite kommt, läuft mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder der BBC durchs Bild oder dem russischen Staatsfernsehen.

Sie filmen in alle Richtungen an diesem Tag. Was auch damit zu tun hat, dass es wenig zu sehen gibt. Jedenfalls noch keinen Frieden zwischen Russland und der Ukraine – aber noch nicht mal die Delegation aus Moskau, die Wladimir Putin nach Istanbul entsandt hatte, lässt sich blicken. Dabei hatte es morgens geheißen, die Gespräche mit der Ukraine würden um 10 Uhr anfangen. Geheißen hatte es das aus Moskau, mit den Ukrainern abgesprochen war es offenbar nicht.

Sie sollten dort verhandeln, wo einst die Sultane residierten

Im Dolmabahçe-Palast, direkt am Bosporus-Ufer, residierten früher die osmanischen Sultane. Heute empfängt Präsident Erdoğan hier öfter mal einen Staatsgast, vergangenes Jahr zum Beispiel Olaf Scholz. Und ziemlich genau vor drei Jahren, im Frühling 2022, scheiterten in dem Palast die bisher einzigen Gespräche zwischen Russland und der Ukraine. Und heute?

Recep Tayyip Erdoğan, das ist klar, würde die Rolle des Vermittlers zwischen dem Aggressor aus Moskau und dem angegriffenen Land sehr gern spielen; er sagte sofort zu, als Putin die Verhandlungen an diesem Tag in Istanbul vorschlug. Die Hoffnung war, dass es am Bosporus zum großen Gipfeltreffen kommen könnte: zwischen dem Kremlchef und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij – gemeinsam mit Erdoğan und vielleicht sogar US-Präsident Donald Trump, der kurzzeitig erwog, nach seiner Nahostreise noch in Istanbul zu landen.

Am Donnerstagmorgen dann schloss der Kreml aus, dass Putin teilnehmen würde. Ebenso hielt es Trump, zumindest fürs Erste. Während in Istanbul manche der TV-Teams ihre Kameras auf die Möwen über dem Bosporus halten, mangels anderer Motive, meldet sich der US-Präsident aus Doha: Er könne sich einen Stopp in Istanbul doch noch vorstellen, sagt er, vielleicht am Freitag – falls aus den Gesprächen am Donnerstag etwas wird. Aber daraus wurde noch nichts. Sie sollen nun an diesem Freitag stattfinden.

Soldaten bewachen am Donnerstag den Eingang zum Dolmabahçe-Palast in Istanbul, wo sich die russische und die ukrainische Delegation treffen sollten.
Soldaten bewachen am Donnerstag den Eingang zum Dolmabahçe-Palast in Istanbul, wo sich die russische und die ukrainische Delegation treffen sollten. (Foto: YASIN AKGUL/AFP)

Was dabei herauskommen soll, ist fraglich, vorsichtig gesagt. Als Wolodimir Selenskij am Vormittag in Ankara landet, wo er sich mit Erdoğan treffen will, nennt er die russische Türkei-Delegation ein „Täuschungsmanöver“. Selenskij hatte sich offengelassen, zusammen mit Erdoğan nach Istanbul zu fliegen. Er wolle dort „auf Putin warten“. Der Kreml seinerseits hatte erst in letzter Minute verkündet, wen er nach Istanbul schickt. Dabei zeigte Putins Wahl, dass er diese vermutlich bereits in der Nacht zu Sonntag traf: Wladimir Medinskij leitet die russische Delegation wie schon vor drei Jahren.

Putin möchte das Treffen im Dolmabahçe-Palast als Fortsetzung der Gespräche im Frühjahr 2022 verstanden wissen, genau das hatte er bereits am Wochenende betont. Schon damals hatte er mit der Personalauswahl demonstriert, wie klein sein Interesse an einem Verhandlungserfolg war: Als ehemaliger Kulturminister hatte Medinskij keinerlei Erfahrung in internationalen Verhandlungen. Bis heute interessiert er sich hauptsächlich für Geschichte – und dafür, sie in Putins Sinne zu verdrehen. Zuletzt machte er als Autor eines von Propaganda durchsetzten Schulbuchs auf sich aufmerksam. Indem Putin nun Medinskij ein weiteres Mal schickt, distanziert er sich von den Gesprächen, die er selbst vorgeschlagen hat.

Dass der Staatschef sich persönlich mit Selenskij treffen würde, war auch diesmal so gut wie ausgeschlossen. Nun aber lässt er sich nicht einmal von Außenminister Sergej Lawrow vertreten oder seinem außenpolitischen Berater Jurij Uschakow. Offenbar möchte Putin die Ukraine in eine zweite, aussichtslose Istanbul-Runde hineinziehen. Die erste nutzt Putin bis heute, um dem Westen die Schuld daran zu geben, dass es nie zu einer Verhandlungslösung kam. In Istanbul, so behauptet Putin gerne, wäre 2022 eine Einigung möglich gewesen. Die aber sei dann vom Westen „in den Papierkorb geworfen“ worden, so formulierte er es gerade. Tatsächlich war das, was damals in Istanbul besprochen wurde, für die Ukraine unannehmbar, weil es ihre Sicherheit nicht garantiert hätte.

Lula sagte: „Hey, Genosse Putin, geh nach Istanbul und verhandle, verdammt noch mal.“

Drei Jahre sind vergangen, drei Jahre des Krieges, mit der Ukraine ernsthaft über eine Lösung sprechen kann Russland immer noch nicht. Wie undenkbar es für Putin ist, mit Selenskij zu sprechen, es überhaupt in Erwägung zu ziehen, zeigte sich am Mittwoch: Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte während eines Besuchs in Peking gesagt, er werde versuchen, Putin zu überzeugen. „Hey, Genosse Putin, geh nach Istanbul und verhandle, verdammt noch mal“, das habe er ihm der Nachrichtenagentur AFP zufolge sagen wollen. Lula landete dann zwar in Moskau zwischen, Putin aber traf er nicht. Er telefonierte nur vom Flugzeug aus mit ihm, ohne Ergebnis.

Selenskij wiederum brachte sich nach Putins Istanbul-Vorschlag in eine Zwickmühle. Der Ukrainer erklärte zuerst, er werde nur verhandeln, wenn Russland zuvor eine Feuerpause beginne, die mindestens 30 Tage dauern solle. Doch nachdem Donald Trump eine seiner Kehrtwenden vollzogen und Moskau und Kiew zu Verhandlungen auch ohne vorherigen Waffenstillstand gedrängt hatte, erklärte Selenskij, er werde in jedem Fall in die Türkei reisen. Und dort aber mit niemand anderem verhandeln als mit Putin selbst.

Putins zweitrangige Delegation, nicht einmal ein Minister war darunter, wartet dann am Donnerstag offenbar irgendwo in Istanbul, während sich die Ukrainer noch in Ankara bei Präsident Erdoğan aufhalten. Erst danach, lässt Selenskij wissen, wolle er entscheiden, ob sich die ukrainische Seite auf Gespräche ohne Putin einlässt. Selenskij ist nicht nur mit seinem Stabschef Andrij Jermak angereist, sondern auch mit Verteidigungsminister Rustem Umjerow und Außenminister Andriy Sybiha.

Aus den USA ist zumindest schon Außenminister Marco Rubio im Land, wenn auch nicht in Istanbul, sondern beim Außenministertreffen der Nato in Antalya. Eventuell würden Rubio und Trumps Sondergesandter Steve Witkoff noch an den Bosporus kommen, heißt es am Donnerstag von US-Seite – die Türkei erlebt einen eher spontanen diplomatischen Reisezirkus. In Antalya dabei ist auch US-Senator Lindsay Graham, ein Außenpolitiker, der daheim einen neuen Gesetzentwurf zu Russland-Sanktionen eingebracht hat: Staaten, die russisches Öl oder Gas kaufen, sollen von den USA mit Zöllen in Höhe von 500 Prozent bestraft werden.

Am Donnerstag sieht es nicht aus, als würde sich Putin von solchen Drohungen beeindrucken lassen. Und ebenso wenig von dem Termin in Istanbul, den er immerhin selbst angesetzt hatte. Man muss mit Russland reden? Selenskij würde gern, es ist Putin, der offenbar den Krieg weiterführen will. Zu Verhandlungen schickt er eine B-Auswahl, die Forderung nach einem 30-tägigen Waffenstillstand ignoriert er. Dem öffentlichen Rundfunk Suspilne zufolge wollten die Ukrainer genau darüber in Istanbul mit den Russen sprechen – genau darüber also, was als Vorleistung Moskaus hatte passieren sollen.

Am Donnerstagnachmittag ist Selenskij noch in Ankara, Trump noch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Putin schweigt. Am Bosporus warten die Fernsehteams. Nur Außenminister Lawrow äußert sich und lässt wissen, der Termin in Istanbul sei eine „Intrige“. Was das heißen soll, muss die Welt an diesem Tag erraten. Kurze Zeit später teilt Selenskij mit, er werde seinen Verteidigungsminister nach Istanbul schicken. Zu Gesprächen mit den Russen, auch wenn die es „nicht ernst“ meinten.

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