Türkei:Tote und Verletzte im Herzen Istanbuls

Die Einkaufsstraße İstiklal ist voller Passanten, als es am Sonntag eine Explosion gibt. Mindestens sechs Menschen kommen ums Leben. Eine verdächtige Person ist inzwischen festgenommen worden.

Von Tomas Avenarius

Bei einer Explosion in Istanbul sind am Sonntagnachmittag mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen und 81 weitere Personen verletzt worden. Auch wenn die Explosionsursache noch nicht zweifelsfrei feststeht, spricht fast alles für ein Attentat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte bereits, es handle sich um einen "hinterhältigen Anschlag". Schon definitiv von Terrorismus zu sprechen, sei vielleicht falsch, schränkte der Präsident ein. Aber der Gouverneur der Metropole, Ali Yerlikaya, habe ihm gesagt, es liege ein "Geruch von Terror" in der Luft. Und Vizepräsident Fuat Oktay sprach am Abend von einem "Terroranschlag". Eine verdächtige Person wurde offiziellen Angaben zufolge inzwischen festgenommen. Die Polizei habe eine Person, die die Bombe gelegt habe, verhaftet, zitierte die staatliche Agentur Anadolu auf ihrem englischsprachigen Twitter-Account am frühen Montag den türkischen Innenminister Süleyman Soylu. Es gebe Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Soylu kündigte laut dem staatsnahen Sender TRT Vergeltung an.

Der Ort der Explosion im oberen Teil der İstiklal-Straße und nahe dem Französischen Kulturinstitut gehört zu den belebtesten Orten der 16-Millionen-Einwohner Metropole. Auf der stets belebten Einkaufsstraße im Stadtbezirk Beyoğlu fährt zudem als Touristenattraktion eine historische Trambahn. Sowohl die Fußgängerzone selbst als auch der angrenzende Taksim-Platz gehören zu den wichtigsten Touristenzielen Istanbuls.

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(Foto: SZ-Karte: Eiden; Mapcreator.io/OSM)

Taksim-Platz und die İstiklal Caddesi sind praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit vollkommen überfüllt, besonders aber an Sonn- und Feiertagen. Entlang der Fußgängerzone befinden sich unzählige Restaurants, Imbissstuben und Läden.

Auf einem Video sieht man eine herrenlose Tasche - dann eine Explosion

Ein Video einer Überwachungskamera, das auf Twitter zu sehen war und gegen 16.20 Uhr Ortszeit aufgezeichnet wurde­­­­­, soll eine herrenlose Tasche zeigen, die halb unter einer Sitzbank mitten auf der Fußgängerzone in der İstiklal abgestellt ist. Wenige Sekunden später sieht man eine Explosion, Menschen laufen panisch auseinander oder liegen am Boden. Eine andere Aufnahme zeigt die Detonation aus einer weiter entfernten Perspektive: Ein greller Blitz und ein Feuerball sind in der Menschenmenge­­ auf der Fußgängerzone zu sehen.

Der Ort der Explosion wurde sofort abgeriegelt, Hubschrauber schwebten über Taksim und İstiklal. Rund um den Platz und am Gezi-Park stehen stets sehr große Polizeikontingente, zudem gibt es dort mehrere Polizeireviere. Die türkische Regierung verbot es Medien im Land, Bilder vom Anschlagsort zu verbreiten. Man wolle Angst und Panik in der Bevölkerung vermeiden, hieß es.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sein Beileid aus. "Es sind schreckliche Bilder, die uns aus dem Herzen Istanbuls erreichen. In diesen schweren Stunden sind unsere Gedanken bei den Opfern des Terrors und ihren Angehörigen. Dem türkischen Volk gilt unser tief empfundenes Beileid", schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz in der Nacht auf Twitter. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf Twitter von "schrecklichen Bildern", ihre Gedanken seien bei den Opfern.

Falls es ein Anschlag gewesen sein sollte, liegt die Urheberschaft noch im Dunkeln. In der Türkei wird im kommenden Sommer gewählt und das innenpolitische Klima ist extrem angespannt. Als Täter kämen unterschiedliche Gruppen in Frage: Die kurdische Untergrundorganisation PKK hat in vier Jahrzehnten zahllose Attentate verübt. Die türkische Regierung bekämpft die auch von der EU als Terrororganisation eingestufte Gruppe sowohl in der Türkei selbst als auch im Irak und in Syrien. Auch der Islamische Staat ist in der Türkei aktiv, in den vergangenen Wochen waren mehrere Kader der Islamisten in der Türkei festgenommen worden.

In der Nähe gab es bereits 2016 einen Anschlag

Die Türkei und vor allem Istanbul waren immer wieder Schauplätze von Terrorakten verschiedenster Extremistengruppen. Am Taksim-Platz etwa gab es schwere Bombenattentate. Bei einem Anschlag im Jahr 2001 auf einen Polizeiposten nahe des Marmara-Hotels am Taksim und des deutschen Generalkonsulats gab es Tote und Verletzte. Urheber war damals eine linke Gruppe namens Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front.

Nahe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee kam es im Januar 2016 zu einem Anschlag mit 13 Toten, davon zwölf deutsche Touristen. Die türkische Regierung machte damals den Islamischen Staat verantwortlich. Bereits im März gab es einen weiteren Anschlag mit fünf Toten - auf der İstiklal Caddesi, ganz in der Nähe der Explosion vom Sonntag.

In der Neujahrsnacht 2017 starben 39 Menschen bei einem Al-Qaida-Anschlag auf eine beliebte Diskothek, ein Mann aus Usbekistan war mit einem Schnellfeuergewehr in den überfüllten Club "Reina" am Bosporus eingedrungen und hatte wahllos um sich geschossen. Bei zwei gleichzeitigen Selbsmordattentaten auf eine oppositionelle Friedensdemonstration in der Hauptstadt Ankara wurden 2015 mehr als 100 Menschen getötet.

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