Süddeutsche Zeitung

TV-Duell in Istanbul:Für türkische Verhältnisse wird wenig geschimpft

Vor der Bürgermeisterwahl in Istanbul treten die Kandidaten zu einem seltenen TV-Duell an. AKP-Mann Yıldırım wird beim Flunkern erwischt, sein Rivale İmamoğlu sorgt für Spaß.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Am Ende sind drei Stunden vergangen, und es ist kurz nach Mitternacht, als Binali Yıldırım, der Kandidat der Regierungspartei AKP, vorschlägt: Man solle nun die Frauen reinholen, fürs Familienfoto. Das wird dann auch gemacht, aber draußen vor der Tür, da ist die Livesendung auf sieben großen türkischen TV-Kanälen dann schon vorbei. Die Debatte galt bereits vor Beginn als "historisch". Die letzte "Elefantenrunde" zwischen zwei Bewerben um ein hohes politisches Amt gab es in der Türkei vor der Parlamentswahl 2002, zwischen Recep Tayyip Erdoğan, der erstmals Regierungschef werden wollte, und Deniz Baykal, damals Chef der oppositionellen säkularen Partei CHP.

Nun saßen sich also Yıldırım, 63, einer der treuesten Gefolgsmänner Erdoğans, und Ekrem İmamoğlu, 49, gegenüber. İmamoğlu ist so etwas wie der neue Popstar der CHP, der Überraschungssieger der Bürgermeisterwahl in Istanbul vom 31. März, der erste Oppositionspolitiker, dem es gelungen ist, die 25 Jahre währende Vorherrschaft der Konservativen auf diesem Posten zu brechen. Nach 18 Tagen hat ihm die oberste Wahlbehörde das Amt wieder weggenommen.

Die Behörde hatte nach einem Einspruch von Erdoğans AKP "Unregelmäßigkeiten" bei der Zusammensetzung der Zählkommissionen entdeckt. Am kommenden Sonntag wird in Istanbul noch einmal gewählt.

In einem Istanbuler Kongresszentrum hat man für die Debatte einen großen weißen runden Tisch aufgestellt, dazu eine rote Digitaluhr. Moderator İsmail Küçükkaya, der als unabhängig gilt, hatte zuvor versprochen, er werde dafür sorgen, "dass das Spiel nach Regeln abläuft und sogar Spaß macht". Die Regeln - je drei Minuten für jeden Kandidaten - wurden von Küçükkaya auch souverän überwacht.

Für den Spaß sorgte İmamoğlu, der immer, wenn ihm Yıldırım ins Wort fiel, feixend die Sekunden zählte, die er nun "gut" habe: sieben, zehn, fünfzehn. Auch mit guter Vorbereitung machte der Jüngere Musterschülerpunkte: İmamoğlu hielt den Report des türkische Rechnungshofs in die Kameras. Darin wird der Istanbuler Stadtverwaltung Verschwendung öffentlicher Mittel vorgeworfen. Yıldırım musste zugeben, dass er den Bericht nicht gelesen hat.

Selbst der Moderator wurde von den Zuschauern kontrolliert

In den sozialen Medien, wo die Debatte intensiv begleitet wurde, kam der Ex-Premier damit schlecht weg. Wie er die 16-Millionen-Metropole verwalten wolle, wenn er keine Rechnungshofberichte lese? So wurde gefragt. Aufmerksamen Zuschauern entging überhaupt wenig: Als Yıldırım sagen sollte, ob er je Kontakte zu dem Prediger Fethullah Gülen hatte, der erst in der AKP wohlgelitten war, nun aber als Drahtzieher des Putschversuchs vom Juli 2016 gilt, fiel seine Antwort knapp aus: "Nein." Sekunden später war das Netz voll mit Bildern, die Yıldırım bei der Beerdigung eines Gülen-Bruders in Erzurum im Jahr 2012 zeigen.

Auch der Moderator wurde von den Zuschauern kontrolliert. Ausgemacht war, dass beide Kandidaten auf die selben Fragen antworten sollten. Ließ Küçükkaya eine weg, wurde dies sofort moniert, und der Journalist holte sie später nach - unter Hinweis auf den Zuschauerprotest.

In der ersten Hälfte der Debatte - die eigentlich nur zwei, nicht drei Stunden dauern sollte - wirkte İmamoğlu eher verkniffen, er zog immer wieder dieselben Tabellen aus der Wahlnacht vom 31. März hervor, als die halbamtliche Agentur Anadolu plötzlich aufhörte, Ergebnisse zu verkünden. Yıldırım hatte sich da schon zum Sieger erklärt. Später wurde klar: İmamoğlu lag vorne, wenn auch nur mit einem haarfeinen Vorsprung von gut 13 000 Stimmen - bei 10,5 Millionen Wahlberechtigten.

Wiederholt wird nun allein die Bürgermeisterwahl, nicht die für die Stadträte. Als er erklären sollte, warum das so ist, wirkte wiederum Yıldırım wenig überzeugend, und beharrte darauf, ihm seien Stimmen "gestohlen" worden. Davon allerdings steht nichts im Bericht der obersten Wahlbehörde, worauf İmamoğlu hinwies.

Auch auf das Äußere wurde geachtet: İmamoğlu trug eine blaue Krawatte, Yıldırım eine rote. Eine AKP-Anhängerin twitterte, damit zeige der CHP-Politiker seine "griechische Herkunft". Weil İmamoğlus Familie aus Trabzon am Schwarzen Meer stammt, wo früher viele Griechen lebten, waren dessen türkische Wurzeln von Nationalisten in Frage gestellt worden.

In der Debatte aber wurde für türkische Verhältnisse eher wenig übereinander geschimpft. "Er will die Hirne vernebeln", warf Yıldırım seinem Gegenüber an den Kopf. Der entschuldigte sich am Ende gleich ganz pauschal, falls er "etwas Beleidigendes oder Falsches" gesagt haben sollte.

Ach ja, um Istanbul ging es auch, im Schlussspurt: Beide Politiker wollen Arbeitsplätze schaffen, mehr Grün, Jugend- und Frauenzentren bauen, die Verkehrsprobleme der Megametropole lösen. Internetumfragen, die in die Nacht getwittert wurden, kamen überwiegend zu dem Urteil: İmamoğlu habe besser abgeschnitten. Meinungsforscher äußerten aber Zweifel daran, dass das Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben werde.

Regierungszeitungen schrieben am Montag wie im Chor: İmamoğlu habe "gelogen", Yıldırım "Ruhe und Erfahrung" ausgestrahlt. İmamoğlu twitterte auch: Dass es die Debatte überhaupt gab, nannte er "wichtig für die Demokratie" in der Türkei. Auf dem Familienfoto stehen die beiden Frauen der Kandidaten in der Mitte, Schulter an Schulter.

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