Israels Staatsgründung 1948:Eine Mutter der Nation

In den Minuten, als Ben Gurion den Staat Israel ausruft, bringt Esther Man ihren Sohn zur Welt. Die Hagana-Kämpferin von damals ist eine der Heldinnen der Unabhängigkeit, und heute doch von Israel enttäuscht.

Johannes Honsell, Tel Aviv

Wenn der Staat Israel sein 60-jähriges Bestehen feiert, wird Esther Man sehr stolz sein auf ihren Sohn Ami. Der Filius ist von Präsident Schimon Peres zu einem Empfang geladen, weil er genau an jenem Tag geboren ist, an dem David Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel ausrief: am 14. Mai 1948.

Israels Staatsgründung 1948: Kam als Einjährige ins damals britisch verwaltete Palästina: Esther Man

Kam als Einjährige ins damals britisch verwaltete Palästina: Esther Man

(Foto: Foto: Honsell)

Mutter Man wird sich erinnern an die Ansprache Ben Gurions vor 60 Jahren, die sie im Kreissaal hörte, an das Jubelgeschrei auf den Straßen, an den arabischen Geschützdonner und Bombenhagel noch in derselben Nacht.

Und vielleicht wird sie, mit ihrer heiteren Ironie, zu sich selbst murmeln: "Ich war eine Heldin."

Esther Man ist 16 Jahre alt, als die jüdische Untergrundarmee Hagana sie rekrutiert. Die Kommunikation zwischen den Führern der einzelnen Gruppen ist schlecht. Esther wird Botenmädchen, schmuggelt Nachrichten vorbei an britischen Kontrollposten, bringt Plakate gegen die Kolonialherren an den Wänden an: "Briten, verlasst Israel!"

"Wenn die Briten einen gefasst haben, hatte der keinen Spaß", erzählt Esther, und es klingt so wie andere vom Versteckspielen in unbeschwerten Kinderzeiten berichten. "Ich war ein General", sagt Esther. Eine nächtliche Aktion endet fast im Fiasko - die Briten schnappen ein paar ihrer Freundinnen, sie selbst entkommt durch einen Hinterhof. General Esther hat sich nie erwischen lassen. Irgendwann fängt die Hagana an, Brieftauben einzusetzen. Da gibt sie das Botendasein auf. "Ich hatte Angst vor den Viechern".

Waffenattrappen aus Pappe

Esther Man ist mittlerweile 84 Jahre alt. Das glaubt nur, wer sich ihren Pass zeigen lässt - so agil und heiter ist die Dame mit dem feuerroten Haar und den modischen Ohrringen, so wach und temperamentvoll, dass man sie für kaum für älter als den Staat hält. Esther Man hat 83 ihrer 84 Lebensjahre auf dem Boden Palästinas, später des Staates Israel, verbracht.

Sie hat nicht nur in der Hagana mitgekämpft, sie hat auch im Unabhängigkeitskrieg 1948 gegen die Araber in den Kibbuzzim Wache gestanden - mit Waffenattrappen aus Pappe, um Angreifer abzuschrecken - die schlecht ausgestattete israelische Armee hatte zu wenig echte Gewehre. Sie wäre dreimal fast an Malaria gestorben, als sie half, die Sümpfe im Norden trocken zu legen. Und sie brachte ein Kind zur Welt, am Gründungstag des Staates, und nannte es Ami Kam - "Mein Volk erhebt sich".

Das ist die eine Seite der Geschichte. Esther, die unbeugsame Pionierin, stark an Körper und Geist, der zionistische Gegenentwurf zu den in Israel zu Beginn so ungeliebten schattenhaften Gestalten, die den Genozid in Europa überlebt hatten und nach 1945 ins Land strömten, gebrochen und erschöpft.

Aber es gibt auch die Brüche und Enttäuschungen in ihrer zweiten Lebenshälfte, die ebenso zu ihr und zum Staat Israel gehören wie die zionistische Heldengeschichte. Ihre tiefe Traurigkeit Anfang der Siebziger, als ihr Mann früh und überraschend starb.

Ihre Enttäuschung, als der über alles geliebte Sohn Ami, das Unabhängigkeitskind, das väterliche Herrenbekleidungsgeschäft nicht vor dem Konkurs retten konnte. Und man müsste darüber hinwegsehen, dass die fröhliche Esther manchmal Sätze sagt wie "Nach der Geburt meines Sohnes war kein Tag mehr glücklich", oder: "Ich gebe den Arabern die Schuld an allem".

Solche Sätze kann sie ganz unvermittelt sagen, nachdem sie sich gerade noch über einen Witz gefreut und dem Erzähler dabei lachend auf den Oberschenkel geschlagen hat. Die Araber, das sind in ihren Augen die Menschen, die sich 1947 grundlos weigerten, den UN-Teilungsplan anzunehmen, der das Gebiet Palästinas in einen israelischen und einen palästinensischen Staat trennen sollte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Esther Man 1948 mit ihrem neugeborenen Sohn aus dem Krankenhaus fliehen musste und warum sie heute enttäuscht von ihrem Land ist.

Eine Mutter der Nation

Die 1948 einen "furchtbaren Krieg" anzettelten, "weil sie uns einfach nicht haben wollten". Die schon Ende der Dreißiger Jahre Pogrome verübt hätten. "Pogrome, Sie wissen, was das ist?", fragt sie.

Israels Staatsgründung 1948: Freudig und angespannt: Ben Gurion am 14. Mai 1948, nachdem er die Staatsgründungserklärung unterzeichnet hatte. Noch in derselben Nacht bricht der Krieg mit den Arabern aus

Freudig und angespannt: Ben Gurion am 14. Mai 1948, nachdem er die Staatsgründungserklärung unterzeichnet hatte. Noch in derselben Nacht bricht der Krieg mit den Arabern aus

(Foto: Foto: dpa)

Esthers Vater wanderte Mitte der Zwanziger aus Polen nach Palästina ein. "Bist Du wahnsinnig, dort ist doch bloß Sand!", hatten ihn die Freunde gewarnt. "Sie hassen uns Juden hier", antwortete der Vater bloß und nahm seine Frau und die einjährige Esther mit auf ein Schiff. Das legte 1925 vor dem kleinen Hafen von Jaffa an. Die arabischen Hafenarbeiter bauten eine Brücke aus Barkassen vom großen Schiff zum Land und reichten die kleine Esther von Boot zu Boot.

Der Vater warf das polnische Geld ins Meer. Er erwarb ein Landstück, das heute im Herzen Tel Avivs liegt, wo aber damals nur Wüste war - "und ein paar Kamele und ein paar Araber", wie Esther sagt. Er baute ein Haus mit einem Stockwerk, der Cousin baute noch eins oben drauf, ein Bruder ein drittes. Das Haus steht noch heute, und Esther lebt darin.

Nach dem Tod ihres Mannes und dem Geschäftskonkurs begann Esther bei einem Herrenausstatter im Zentrum Tel Avivs zu arbeiten. Ein paar Monate wollte sie das machen, sie macht den Job bis heute. Eigentlich wollte sie Ärztin werden, aber die einzige Uni dafür war damals in Beirut, und das wollten die Eltern nicht. "Dann werde ich halt da oben Doktor", sagt Esther, und deutet gen Himmel.

Sie hat sich über ihre beiden Kinder definiert, Dorit und vor allem Ami, dessen Leben, wie er selbst sagt, "verlaufen ist wie das des Staates: Ging es für ihn bergab, dann auch für mich." Nach dem Konkurs des väterlichen Geschäfts handelte Ami mit Alarmanlagen.

Das passte zu der Zeit unmittelbar nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973, als Israel erschüttert und verunsichert war von den verlustreichen Schlachten. Auch dieses Geschäft ging pleite, Ami wanderte nach Südafrika aus und blieb 17 Jahre fort.

Ende der Neunziger ist er zurückgekehrt. "Ich liebe ihn, weil er so ehrlich ist und so sanft. Und ich sage das nicht als Mutter, sondern ganz objektiv", erklärt Esther. Ami steht daneben und lacht. "Ja, sie ist sehr objektiv." Ami, der aussieht wie vierzig und seine Mutter, die aussieht wie sechzig, halten sich oft im Arm, wenn sie durch Tel Aviv spazieren. Dann sehen sie aus wie Bruder und Schwester.

An seinem Geburtstag, dem 14. Mai 1948, hat ihn die Mutter aus dem Krankenhaus fortgeschleppt, weil der Unabhängigkeitskrieg mit den Arabern ausbrach und Bomben auf Tel Aviv fielen. Sie hat mit ihm unter Vordächern und Kellertreppen Schutz gesucht und gehofft, dass sein Schicksal ein besseres sein würde als das des Staates.

Esther Man ist bis heute wachsam geblieben, sie sitzt immer auf der Kante ihres Stuhles, immer bereit aufzuspringen, und doch sagt sie oft Sätze, durch die Müdigkeit klingt: "Damals mochte ich das Land, heute nicht mehr. Für das Land wäre man sogar gestorben, heute zählt nur das Geld, und jeder zweite Politiker ist ein Dieb."

Am 14. Mai werden die Politiker erst einmal feiern, den Unabhängigkeitssohn Ami in den Präsidentenpalast laden und in öffentlichen Reden in Erinnerungen schwelgen. Dann geht es um die Taten von einst, um Frauen wie Esther Man.

Und sie wird zu sich sagen: "Ich war eine Heldin."

Honsell ist Autor der TV-Dokumentation "Die ersten Kinder Israels" über fünf Menschen, die am Unabhängigkeitstag geboren wurden. Sie läuft am 8. Mai 2008, 21 Uhr, im ZDF Dokukanal.

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