Israel:Kluger Handel eines Hardliners

Die fünf Jahre währende Gefangenschaft des Soldaten Gilad Schalit symbolisierte bisher Ohnmacht und Entschlusslosigkeit der israelischen Regierung. Premier Netanjahu, der so gern Israels starker Mann wäre, gibt nun der Hamas nach - und gewinnt dadurch mehr als das Leben des Soldaten Schalit.

Christiane Schlötzer

Ein Mann gegen 1000 Männer und 27 Frauen. Ein einziges Menschenleben gegen die Freiheit für verurteilte Mörder, Mittäter und Mitläufer. Niemals zuvor hat eine Regierung in Jerusalem einen so hohen Preis für die Rückkehr eines Entführungsopfers gezahlt. Das Leid eines Einzelnen hat gewöhnlich politisch kein Gewicht, es sei denn dieses Leid hat einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte.

Gilad Schalit war in den vergangenen fünf Jahren das Gesicht einer einzigartigen Kampagne gegen das Vergessen. Und der Name des mit 19 Jahren entführten Soldaten stand für eine schmerzhafte Demütigung Israels, die Geschichte seiner bisher 1934 Tage währenden Gefangenschaft symbolisierte die Ohnmacht sowie die Entschlusslosigkeit der Regierung von Benjamin Netanjahu, der doch so gern Israels starker Mann wäre.

Nun kann sich Netanjahu im größten Erfolg seiner 30-monatigen Amtszeit sonnen. Der nationalkonservative Premier, der Israel bislang keinen Schritt näher zu einem Frieden mit den Palästinensern gebracht hat, wird für einen Deal gepriesen, der von den Islamisten in Gaza als Triumph gefeiert wird. Der Hardliner Netanjahu, der eigentlich der Hamas keinen Fußbreit nachgeben wollte, gestattete, dass sich israelische Unterhändler mit den Radikalen auf ein Geschäft, einen Deal mit Menschenleben einließen. Es ist ein Handel mit hohem Risiko. Denn niemand weiß, ob die bisweilen seit Jahren in israelischen Gefängnissen einsitzenden Palästinenser ihre Zellen nun als geläuterte Friedensbringer oder als erst recht radikalisierte Kämpfer mit Rachegedanken verlassen werden.

Und doch hat Netanjahu richtig gehandelt. Israel hätte es dem Premier nicht verziehen wenn er die Gelegenheit, die sich nun für den Handel mit der Hamas bot, hätte verstreichen lassen, oder wenn er erneut gezögert hätte - wie im Dezember 2009, als Schalit auch fast schon frei zu sein schien. Denn Israels Sicherheit hängt an der Solidarität mit seiner Armee. Gäbe es die Gewissheit nicht mehr, dass Israel notfalls jeden einzelnen seiner Soldaten aus feindlichen Kerkern zu befreien versucht, dann wäre bald auch nicht mehr viel übrig von dem Pakt zwischen Politik, Armee und Gesellschaft. Dann würden junge Männer und Frauen wohl immer häufiger daran zweifeln, ob sie im Dienst an der Waffe Gesundheit und Leben für Israel opfern sollen.

Die Gelegenheit war auch deshalb günstig, weil nicht nur Netanjahu - angesichts von innen- und außenpolitischen Bedrängnissen - einen Erfolg benötigte. Auch die Hamas steht unter Druck, seit die arabische Revolution auch jungen Palästinensern im isolierten Gaza-Streifen die Augen dafür geöffnet hat, dass Macht nichts Gottgegebenes ist, dass auch nahöstliche Herrscher stürzen können, und dass auf Facebook der freie Gedankenaustausch zum Rausch werden kann.

Mehr als ein symbolischer Triumph

Zuletzt verbuchte im innerpalästinensischen Ringen zudem der politische Rivale Fatah einen Punktsieg. Denn Palästinenserpräsident Machmud Abbas kehrte aus New York, wo er vor den Vereinten Nationen die staatliche Anerkennung Palästinas verlangte, zumindest als moralischer Sieger nach Hause zurück. Abbas hat bislang zwar nicht mehr in der Tasche als diesen symbolischen Triumph. Aber die Hamas musste erleben, dass sie auf der internationalen Bühne nichts zählt. Da geht es gut ohne die Islamisten - auch wenn die Palästinenser an ihrem künftigen Staat bauen.

So kommt den Herren in Gaza der erfolgreiche Häftlings-Handel gerade recht. Sie werden diesen Sympathiegewinn im Palästinenserlager auskosten, und jeden einzelnen Rückkehrer aus israelischer Haft hochleben lassen. Dafür hat die Hamas letztlich auch darauf verzichtet, alle Gefangenen, die auf ihrer Wunschliste standen, frei zu pressen. Dass manche der Entlassenen ins Exil müssen und so bald nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren werden, einige vielleicht nie wieder, muss die Hamas auch hinnehmen. Das Ergebnis reicht immer noch für Jubelfeiern.

Es gibt aber noch einen Gewinner: Ägypten. In Kairo wurde der Austausch schließlich besiegelt. Deutsche und eine Weile auch türkische Unterhändler waren im Fall Schalit aktiv, aber Israels Regierung verweist gestenreich und dankbar auf die Hilfe aus Ägypten. Dies könnte dazu dienen, das seit der Flucht des israelischen Botschafters vor einem ägyptischen Mob schwer beschädigte Verhältnis zwischen Jerusalem und Kairo wieder zu verbessern. Seit dem Sturz des ägyptischen Autokraten Hosni Mubarak hat sich Israel noch mehr als vorher verbarrikadiert. In Israel triumphierten die Ängste über die Hoffnungen, die das revolutionäre Geschehen von Tunis bis Tripolis anderswo auslöste.

Wenn Gilad Schalit tatsächlich bald zumindest körperlich wiederhergestellt vor seinen Eltern stehen wird, dann sollte sich die Freude über die Freilassung, über diesen Moment von Frieden und Glück, mit politischer Besinnung verbinden. Mit Provokationen - wie dem jüngst beschlossenen Bau weiterer 1100 Wohnungen in Ostjerusalem - entsteht kein Frieden. Für die Palästinenser sind die Wohnungen "1100 Neins" zu Friedensgesprächen. Nun hat Israel 1027-mal Ja zu einem Handel gesagt, um das Leben eines Menschen willen. Es war es wert.

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