Israels "Operation Opera" im Jahr 1981:Du sollst keine Atombombe neben meiner haben

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Die Geschichte der "Operation Opera" wird in Israel gerne als Heldensaga erzählt, die Welt reagierte entsetzt, als das Land 1981 eine irakische Nuklearanlage zerbombte. Auch heute steht Israel gegen den Rest der Welt und zeigt sich ungerührt von sämtlichen Schreckensszenarien. Iran fürchtet einen Angriff Israels - seit vielen Jahren führt der jüdische Staat einen unerklärten Krieg, um seine Feinde am Bau der Atombombe zu hindern.

Peter Münch

Es ist Punkt vier am Nachmittag, als der Flug in die neue Zeit beginnt. In der Negev-Wüste lässt die Sommerhitze zu dieser Stunde die Luft flirren, aber die Sicht ist klar und das Ziel seit langem fest im Visier. Acht israelische F-16-Kampfjets heben donnernd vom Luftwaffenstützpunkt Etzion ab, beladen jeweils mit zwei mächtigen Bomben, jede eine Tonne schwer. Es folgen sechs F-15-Jäger, zur Absicherung in der Luft. Die Flugzeuge nehmen Kurs auf Irak. Ihr Ziel liegt 20 Kilometer südöstlich von Bagdad. Es ist der Atomreaktor Osirak.

Israels langer Arm: F-16-Jets Kampfflugzeuge dieses Typs zerstörten 1981 den Osirak- Reaktor in Irak. (Foto: AP)

Am 7. Juni 1981 bomben die Israelis die irakische Nuklearanlage in Schutt und Asche. 90 Minuten dauert der Flug, unentdeckt vom jordanischen, saudi-arabischen und irakischen Radar tauchen die Kampfjets mit der tiefstehenden Sonne im Rücken über dem Reaktor auf. Die Flugabwehr ist komplett überrumpelt, nach 80 Sekunden sind alle Bomben mit zerstörerischer Präzision abgeworfen, und die acht Piloten rufen einer nach dem anderen das Codewort in den Funk: "Alpha" - soll heißen, die Mission ist erfolgreich ausgeführt. Als alle Flugzeuge der "Operation Opera" um 18.40 Uhr wieder in Etzion gelandet sind, hat sich in Israels Kabinett, das in der Residenz von Ministerpräsident Menachem Begin versammelt ist, Feierstimmung ausgebreitet.

Man kann diese Geschichte vom Angriff auf die irakische Atomanlage als Heldensaga erzählen. In Israel wird das gern und oft getan, vor allem jetzt in diesen Tagen, da mancher dem Land Mut machen möchte für eine neue Herausforderung: einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen. Schon wenige Monate nach dem Osirak-Einsatz strickte ein Buch unter dem Titel "Zwei Minuten über Bagdad" am Mythos, und bis heute werden die Piloten verehrt, die damals im Cockpit saßen.

Die Welt reagierte mit Entsetzen

Tatsächlich haben die Piloten an jenem 7. Juni 1981 Geschichte geschrieben, denn nie zuvor hatte es ein Land gewagt, die Atomanlagen eines Gegners anzugreifen und zu zerstören. Die Welt reagierte mit Entsetzen. Er sei "überrascht und schockiert", erklärte selbst US-Präsident Ronald Reagan, die Deutschen zeigten sich "betroffen und bestürzt", Moskau sprach von einem "verbrecherischen Angriff", und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat, der erst zwei Jahre zuvor Frieden mit Israel geschlossen hatte, urteilte knapp: "Die sind ja verrückt geworden."

Israels verwegener Alleingang hatte Freund und Feind aufgewühlt, und der Spiegel stieß einen knackigen Kassandra-Ruf aus: "Ausgerechnet der aus dem Holocaust geborene Staat Israel tat den ersten Schritt zu einer Entwicklung, die in einem neuen, größeren Holocaust enden könnte, dem Atomtod von Millionen, im Krieg mit Atomwaffen oder um Atomreaktoren."

Die Warnung klingt im Rückblick schrill und überzogen - und doch im Kern vertraut aus den aktuellen Debatten. Auch heute steht Israel gegen den Rest der Welt und zeigt sich ungerührt sogar von Doomsday-Szenarien. Mit einigem Recht und einigem Bangen muss deshalb die Frage gestellt werden, was dieses kleine, allzeit abwehr- und angriffsbereite Land gelernt haben könnte aus der Geschichte. Schlichte Analogien sind gewiss gefährlich, denn Geschichte wiederholt sich nicht. Die Welt von 2012 ist anders als die Welt von 1981, Irak ist nicht Iran - und das weiß man auch in Jerusalem. Dennoch lohnt sich die historische Betrachtung, weil sie Unterschiede ins Licht rücken und zugleich auch Muster sichtbar machen kann.

Du sollst keine Atombombe neben meiner haben

In Irak handelte Israel 1981 nach dem ersten Gebot seiner Sicherheitsdoktrin, das da lautet: Du sollst keine Atombombe neben meiner haben. Der jüdische Staat gilt spätestens seit den frühen siebziger Jahren als heimliche Nuklearmacht. Gebaut wird die Bombe im streng gesicherten Versuchszentrum in Dimona, nach Schätzung der Militäranalysten von Jane's Defence Weekly in London verfügt das Land heute über 100 bis 300 nukleare Sprengköpfe. Offiziell aber schweigt sich Israel aus zu diesem Thema. Es reicht, wenn die Feinde wissen, dass es die Bombe gibt. Die nukleare Überlegenheit gilt als Überlebensgarantie im chronisch feindlichen Umfeld - und das irakische Atomprogramm drohte zum ersten Mal, diese Überlegenheit in Frage zu stellen.

Nach dem Angriff auf Osirak 1981 hieß es in einer offiziellen israelischen Regierungserklärung: "Wir werden unter allen Umständen verhindern, dass ein Feind Massenvernichtungswaffen gegen unser Volk baut. Wir werden zur rechten Zeit die Bevölkerung Israels mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen." So vergewisserte sich der immer noch junge Staat seiner selbst. Es gehört zum Kern seiner Staatsräson, dass Juden nie wieder hilflose Opfer sein dürfen, sondern gerüstet sind, sich gegen alle Gefahren selbst zu verteidigen. Diese "Begin-Doktrin" gilt bis heute - und 2007 hat sie erneut Anwendung gefunden, in Syrien.

Mehr als 26 Jahre nach Osirak kommt es dort erneut zu einem Schlag gegen feindliche Atomanlagen, wieder ausgeführt von Israels Luftwaffe, wieder mit F-16-Bombern. Es ist ein Blitzangriff auf ein Ziel tief in Syriens Wüste, mehr als 300 Kilometer von Israels Grenze entfernt. In den Morgenstunden des 6. September 2007 steigen die Kampfjets auf und verrichten ihr zerstörerisches Werk - still, erfolgreich und erneut erstaunlich folgenlos. Denn eine Geheimaktion ist das, zu der nicht nur Israel bis heute schweigt, sondern auch Syrien. Die Führung in Damaskus hat sich bei den Vereinten Nationen lediglich über eine Verletzung des Luftraums beschwert, zerstört worden sei aber nur "ein ungenutztes Gebäude", erklärte Staatschef Baschar al-Assad. Lange Zeit weiß die Welt also nur, dass Israel Syrien bombardiert hat, aber nicht: was.

Erst ein knappes Jahr später bringt der US-Geheimdienst Licht in die Angelegenheit und enthüllt, dass die Syrer in al-Kibar mit Hilfe aus Nordkorea ein geheimes Atomprogramm vorangetrieben hatten. Die Israelis hatten das schon seit Jahren verfolgt und offenbar, genau wie in Osirak, kurz vor der Inbetriebnahme zugeschlagen. Die Aktion trägt die Handschrift von Ehud Barak, der erst kurz zuvor das Amt des Verteidigungsministers übernommen hatte. Seine Waghalsigkeit ist so legendär wie seine Sturheit. Als Soldat soll er in Beirut in den siebziger Jahren, getarnt in Frauenkleidern, eigenhändig drei palästinensische Kämpfer getötet haben. Als Verteidigungsminister gilt er heute als größter Befürworter eines Militärschlags gegen Iran.

Die Führung in Teheran dürfte also hinlänglich gewarnt sein. Syrien ist der engste Verbündete des Mullah-Regimes, doch vor allem die Geschichte rund um das irakische Streben nach Atomwaffen weist zahlreiche Parallelen auf zum iranischen Fall: Seit die Iraker Mitte der siebziger Jahre in Frankreich einen Atomreaktor bestellt hatten, versuchte Israel, zunächst mit diplomatischem Druck, die Lieferung zu verhindern. Als dies nichts fruchtete, folgte die Sabotage: 1979 ereignete sich eine schwere Explosion in einer Montagehalle in La Seyne-sur-Mer westlich von Toulon, kurz bevor der dort vorgefertigte Reaktor nach Irak geliefert werden sollte. Ein gutes Jahr später wurde in einem Pariser Hotel ein ägyptischer Kernphysiker ermordet aufgefunden, der in Diensten Saddam Husseins gestanden hatte.

Geheimnisvolle Explosionen und gezielte Morde - auch das klingt bekannt aus den jüngsten Iran-Meldungen. Als kleiner Treppenwitz der Weltgeschichte erscheint in diesem Zusammenhang noch der Versuch des israelischen Außenministers Jigal Allon, in Geheimgesprächen 1977 Iran, damals noch vom Schah regiert, zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Iraks Atompläne zu gewinnen. Als das nichts fruchtete, entschied sich Premier Begin später zum Alleingang - und er setzte dabei auf die nagelneuen F-16, die gerade erst aus den USA geliefert worden waren. Eigentlich waren diese Maschinen für Iran bestimmt gewesen. Nach dem Sturz des Schahs durch die Islamische Revolution von Ayatollah Chomeini 1979 waren sie kurzerhand umgeleitet worden.

Gerechtfertigt wurde der Angriff auf Osirak von Regierungschef Begin mit all jenen Argumenten, die auch heute wieder die Debatten bestimmen: "Wir mussten handeln, um unser Volk zu retten", sagte er, "Saddam hätte nicht gezögert, mit drei oder vier Bomben den jüdischen Staat auszulöschen." Verwiesen wurde zudem auf den Zeitdruck, obwohl es auch damals im Sicherheitsapparat viele gab, die keine Dringlichkeit sahen, weil Irak noch viele Jahre von einer möglichen Bombe entfernt gewesen wäre. Doch Begin ließ sich durch nichts abbringen von seinem Kurs. "Er hat alles aus einem ideologischen Gefängnis heraus betrachtet", sagt Uri Bar-Joseph, "er hat immer nur an den Holocaust gedacht, genauso wie Netanjahu heute."

"Die Iraker haben ihre Bemühungen noch verstärkt, die Bombe zu kriegen"

Bar-Joseph ist Politik-Professor in Haifa, und er ist der einzige noch lebende der drei Autoren, die 1982 mit ihrem Buch "Zwei Minuten über Bagdad" den Osirak-Mythos befeuert hatten. Keine zehn Jahre später, so sagt er, sei Begin dann sogar von all denen im Westen gelobt worden, die ihn zunächst heftig kritisiert hatten. Denn nach Saddam Husseins Überfall auf Kuwait im August 1990 mochte sich niemand vorstellen, wie man einen atomar bewaffnetes Irak wieder hätte eindämmen können. "Bis heute ist es Konsens, dass Begin weise war und wir das Richtige getan haben", sagt Bar-Joseph. Nur er selber glaubt heute ganz und gar nicht mehr daran.

"Wir wussten damals nicht viel", sagt er, "aber wichtig ist, was wir heute wissen." Denn erst nach Saddams Sturz 2003 hätten irakische Atomwissenschaftler berichten können, was seinerzeit aus ihrer Sicht in Osirak passiert war und wie es weiterging in der Zeit danach. "Der Angriff hat die irakischen Atomanstrengungen nicht gestoppt", meint Bar-Joseph, "im Gegenteil: Die Iraker haben ihre Bemühungen noch verstärkt, die Bombe zu kriegen." Im Nachhinein hält er den Militärschlag und die daraus abgeleitete Begin-Doktrin für einen schweren Fehler - und all die Analogien für höchst gefährlich.

In Irak habe man wenigstens gewusst, dass die Mission militärisch machbar sei. "Iran ist eine ganz andere Geschichte", warnt er, "viel größer, viel weiter weg, viel komplizierter." Das Hauptproblem aber sei das gleiche: "Am Ende ist es sehr wahrscheinlich, dass Iran die Bombe bekommt." Mit einem Angriff würde Israel die iranischen Atom-Ambitionen nicht stoppen können, sondern am Ende noch befördern, glaubt der Professor aus Haifa. Und zugleich würde in Iran der Wunsch nach Rache wuchern, und er würde so schnell nicht verschwinden. "Die Gefahr, dass Iran die Bombe gegen Israel einsetzt, ist eigentlich gering", glaubt Uri Bar-Joseph, "aber sie steigt, wenn Israel zuerst angreift."

© SZ vom 03.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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