Süddeutsche Zeitung

Krise in Israel verschärft sich:Netanjahu feuert Israels Verteidigungsminister

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Joav Gallant hatte zuvor von der eigenen Regierung einen Stopp der Justizreform verlangt. Durch den innenpolitischen Streit sieht er die Sicherheit des Landes bedroht.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Im heftigen Streit um Israels Justizreform hat Premierminister Benjamin Netanjahu am Sonntagabend seinen Verteidigungsminister Joav Gallant gefeuert. Gallant zahlt damit den Preis dafür, dass er die eigene Regierung in einem dramatischen Appell aufgefordert hatte, alle Pläne für die weitreichenden Umwälzungen auf Eis zu legen und einen Dialog mit den Gegnern der Reform aufzunehmen. Begründet hatte er dies mit Gefahren für die nationale Sicherheit durch den zunehmend polarisierenden innenpolitischen Konflikt. Mit der Entlassung droht nun eine weitere Eskalation der innenpolitischen Krise. Die Regierung will noch in dieser Woche erste wichtige Teile der Reform im Parlament verabschieden. Die Opposition hat eine ganze Woche der Proteste angekündigt. Eine spontane Demonstration gab es sogleich vor dem Armee-Hauptquartier in Tel Aviv.

Gallant hatte seine aufsehenerregende Kritik am Kurs der Regierung am Samstagabend just zu dem Zeitpunkt veröffentlicht, an dem sich landesweit bereits in der zwölften Woche wieder Hunderttausende Menschen zu Demonstrationen auf den Straßen versammelt hatten und vor einem Staatsstreich von oben warnten. Allein in Tel Aviv wurde die Menge auf rund 200 000 geschätzt.

Der Protest gewinnt also immer noch an Fahrt - und Gallant als Verteidigungsminister war dabei besonders unter Druck geraten. Tausende Armee-Reservisten haben inzwischen erklärt, sie würden als Zeichen des Widerstands gegen die Regierungspläne nicht mehr zum Dienst erscheinen. Darunter sind viele Piloten und Angehörige von Eliteeinheiten.

"Die zunehmende Spaltung sickert in die Institutionen des Militärs und der Verteidigung", erklärte Gallant mit Verweis auf zahlreiche Gespräche, die er in den vergangenen Wochen mit Angehörigen des Sicherheitsapparats geführt habe. Dies sei eine "klare, reale und unmittelbare Gefahr" in einer Zeit, in der Israel besonders großen Bedrohungen ausgesetzt sei. Konkret nannte er das iranische Atomprogramm, die höchst angespannte Lage in den Palästinensergebieten sowie die Gefahr durch die libanesische Hisbollah-Miliz.

Gallant ist für die Justizreform. Doch die Veränderung soll im Dialog umgesetzt werden

Gallant, der selbst jahrzehntelang in der Armee gedient und es bis zum Generalmajor gebracht hat, rief zugleich die Opposition zu einer Einstellung der Proteste auf. Er bekannte sich grundsätzlich zur Notwenigkeit einer Justizreform. Doch solche Veränderungen könnten nur im Dialog erfolgen. "Der Sieg von nur einer Seite, entweder in der Knesset oder auf den Straßen, würde eine Niederlage für den israelischen Staat bedeuten."

Als erster Likud-Minister hatte sich Gallant damit offen gegen den Kurs von Netanjahu gestellt. Nun lösten seine deutlichen Worte in Jerusalem hektische Betriebsamkeit und ein sehr unterschiedliches Echo aus. Netanjahu weilte zum Zeitpunkt von Gallants Erklärung noch auf einem Regierungsbesuch in Großbritannien. Doch auch nach der Rückkehr am frühen Sonntagmorgen verzichtete der Premierminister zunächst auf jeglichen Kommentar, bis sein Büro am Abend schließlich die Entlassung Gallants bekannt gab. Die Wogen waren derweil schon hoch geschlagen.

Andere Kabinettsmitglieder üben scharfe Kritik an Gallant

Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit von der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke, hatte zuvor schon von Netanjahu die sofortige Entlassung des Verteidigungsministers gefordert. Gallant sei "unter dem Druck der Medien und der Demonstranten zusammengebrochen", sagt er. "Er wurde von rechten Wählern gewählt und betreibt nun die Agenda der Linken." Auch verschiedene Minister und Abgeordnete der Likud-Partei feuerten verbal mit schwerem Geschütz auf den Verteidigungsminister.

Zugleich zeigte sich jedoch, dass es unter der Oberfläche der traditionsreichen Regierungspartei brodelt. Schon wenige Minuten nach Gallants Erklärung hatten sich zwei Likud-Abgeordnete öffentlich hinter ihn gestellt. Israelische Medien berichten zudem noch von weiteren Likud-Politikern, auch aus dem Kabinett, die zunehmend Vorbehalte gegen die Pläne zur Umgestaltung der Justiz hegen - sei es aus Sorge um Schäden für die israelische Wirtschaft oder wegen der Angst vor einer Entfremdung Israels von den westlichen Partnern, vor allem von den USA. Im Parlament verfügt die Koalition über 64 von 120 Stimmen. Mehrere Abweichler könnten also bei den geplanten Abstimmungen eine Mehrheit gefährden. Mit Gallants schneller Entlassung will Netanjahu offenbar versuchen, eine Revolte in der eigenen Partei im Keim zu ersticken.

Beifall hatte Gallant für seine Erklärung von den Gegnern der Justizreform bekommen. Sein Amtsvorgänger Benny Gantz wertet die Erklärung als "Weckruf" und versprach, dass ein Dialog beginnen könne, sobald die Gesetzgebung gestoppt werde. Oppositionsführer Jair Lapid sprach von einem "mutigen und notwendigen Schritt". Nach Gallants Entlassung bezeichnete er Netanjahu als "Gefahr für Israel". Im Justizausschuss der Knesset war am Sonntag indessen weiter mit Hochdruck daran gearbeitet, ein Gesetz noch in dieser Woche zur finalen Abstimmung zu stellen, das der Regierung eine Mehrheit in jenem Komitee sichert, das die Richter am Obersten Gericht ernennt.

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