Süddeutsche Zeitung

Israels Angriffe in Syrien:Donnerschlag gegen die fragile Ruhe

Schwappt Syriens Bürgerkrieg nun über die Grenzen? Das Bombardement auf eine Waffenlieferung an die Hisbollah zeigt, dass für Israel nun offenbar eine rote Linie überschritten wurde. Ein regionaler Konflikt wird sich daraus nicht entwickeln - darauf lassen die Reaktionen Syriens und der Hisbollah schließen. Doch für Israel hat ein anderer Kampf gerade erst begonnen.

Ein Kommentar von Peter Münch, Tel Aviv

es herrscht Krieg zwischen Israel und Syrien - und das schon seit Jahrzehnten. Zwar haben die nahöstlichen Nachbarn zuletzt vor 40 Jahren die Waffen gekreuzt, aber weil sie sich nie zu einem Friedensschluss haben durchringen können, blieb die Feindschaft frisch und die Ruhe stets fragil. Nun ist diese Ruhe mit einem Donnerschlag gebrochen worden, denn Israels Luftwaffe hat einen Angriff auf Syrien geflogen.

Zwar gibt es unterschiedliche Angaben darüber, was genau das Ziel der Kampfjets war. Nach den Raketen wurden auch ein paar verbale Rauchbomben gezündet. Aber aus dem Pulverdampf steigt eine bange Frage auf: Kann nun der schreckliche syrische Bürgerkrieg auch noch über die Grenzen schwappen und einen regionalen Konflikt entfachen?

Eine erste Antwort darauf liefert die Reaktion des syrischen Regimes. Während westliche Sicherheitskreise die eher plausible Variante bestätigen, dass Israel einen Konvoi mit einer Waffenlieferung für die libanesische Hisbollah-Miliz angegriffen hat, reichte das Staatsfernsehen in Damaskus reichlich spät eine eigene Version des Vorfalls nach. Demnach soll Israel ein "militärisches Forschungszentrum" nahe der Hauptstadt bombardiert haben.

Die Mannen des bedrängten Präsidenten Baschar al-Assad konstruieren daraus eine Komplizenschaft zwischen Israel und den Rebellen, also zwischen dem äußeren und dem inneren Feind - und noch vor einem Jahr hätte das Anlass zu größter Sorge sein müssen. Doch heute erscheint es nur noch als hilfloser Versuch, die Reihen zu schließen. Gelingen wird das nicht mehr, dazu hat der Kampf gegen das eigene Volk eine viel zu destruktive Dynamik entwickelt. Und Assad allein mit seinen Truppen ist schlicht zu schwach, um zur Ablenkung auch noch Krieg gegen Israel zu führen.

Israel wird das kalkuliert haben, als es die Kampfjets losschickte zum Einsatz in Syrien. Man kann der Regierung in Jerusalem also nicht vorwerfen, blind eine neue Kriegsgefahr heraufbeschworen zu haben. Im Gegenteil: Israel hat für seine Verhältnisse lange Zurückhaltung geübt angesichts des bedrohlichen Chaos, das sich im Nachbarland entwickelt und schwerwiegende Folgen für die eigene Sicherheit haben kann - zumal dann, wenn die syrischen Chemiewaffen in die falschen Hände geraten.

Doch nun war offenbar eine rote Linie überschritten mit der mutmaßlich geplanten Lieferung modernster Luftabwehr-Waffen an die Hisbollah. Es war eine Gelegenheit zu demonstrieren, dass Israel sehr genau beobachtet, was jenseits der Grenze passiert - und gegebenenfalls vor einem Eingreifen nicht zurückschreckt.

Gebannt ist mit der syrischen Abwehrschwäche die Gefahr einer regionalen Ausweitung allerdings noch nicht. Denn auch die Hisbollah in Libanon, die zuletzt 2006 mit Israel einen Krieg geführt hat, könnte mit Vergeltung für den Angriff neue Gewalt heraufbeschwören. Die Stationierung von zwei Raketenabwehr-Batterien in Israels Norden unmittelbar vor der Syrien-Aktion belegt entsprechende Sorgen der israelischen Führung. Doch die erste Antwort der Hisbollah, die eine internationale Verurteilung Israels fordert, zeigt wenig Kampfbereitschaft. Ohne Rückendeckung aus Syrien scheint sich die Schiiten-Miliz derzeit keinen Krieg mit Israel zuzutrauen.

Viel Rauch um nichts also? Leider nicht. Denn manches spricht dafür, dass dieser israelische Angriff nicht der letzte gewesen sein wird. Je näher das Ende des Schutzpatrons Assad rückt, desto mehr wird die Hisbollah bestrebt sein, ihre Waffenlager noch einmal mit allem zu füllen, was in Syrien zu holen ist - von einfachen Raketen bis schlimmstenfalls hin zu Massenvernichtungswaffen. Israel wird das genau beobachten und gewiss nicht zulassen, dass sich die ärgsten Feinde weiter aufrüsten. Dieser Kampf hat gerade erst begonnen.

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SZ vom 01.02.2013/mahu
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