Israel:Urlaub mit möglicher Festnahme

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Was einige von ihnen in sozialen Medien veröffentlichen, könnte ihnen gefährlich werden: israelische Soldaten auf dem Rückweg vom Gazastreifen. (Foto: MENAHEM KAHANA/AFP)

Droht israelischen Soldaten bei Reisen ins Ausland nun Strafverfolgung wegen Verdachts von Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg? Ein Reservist ist deshalb gerade aus Brasilien geflohen.

Von Peter Münch, Berlin

Er wollte Urlaub machen in Brasilien, Abstand gewinnen zum Krieg und von all den anderen aktuellen Unbilden in seiner Heimat Israel. Doch die Reise fand für Juval Vagdani in dieser Woche ein abruptes Ende: Fluchtartig hat der 21-Jährige das südamerikanische Land verlassen müssen, denn in der Ferne hat ihn der Gaza-Krieg eingeholt, in dem er als Reservist kämpfte. Ein brasilianisches Gericht hatte eine Untersuchung darüber angeordnet, ob er bei seinem Armeeeinsatz im palästinensischen Küstenstreifen in Kriegsverbrechen verstrickt sein könnte.

Einer möglichen juristischen Verfolgung durch die brasilianischen Behörden entzog sich Vagdani mit Hilfe des israelischen Außenministeriums. Einem Bericht des Senders Channel 12 zufolge wurde er aus dem Land „hinausgeschmuggelt“, erst nach Argentinien, dann über Miami zurück nach Israel. Das hat Aufsehen erregt – und ein Schlaglicht geworfen auf eine neue Gefahr. Denn womöglich geraten künftig nicht nur hohe Politiker wie Premierminister Benjamin Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Joav Gallant in den Fokus internationaler Strafbehörden. Gegen diese beiden hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag im November bereits Haftbefehle erlassen. Ähnliches könnte demnach nun auch ganz gewöhnlichen Soldaten blühen.

Die Organisation HRF sammelt Belastendes, sie will Gerechtigkeit für Opfer des „Gaza-Genozids“

Angeheizt wird die in Israel aufkommende Angst davor von pro-palästinensischen Organisation wie der Hind-Rajab-Foundation (HRF), die auch hinter dem aktuellen Fall steckt. Gegründet wurde diese Stiftung im vorigen September, ansässig ist sie in Belgien, benannt wurde sie nach einem sechsjährigen Mädchen aus dem Gazastreifen, das im Januar 2024 mutmaßlich durch israelischen Beschuss getötet wurde. Die israelische Armee hatte zwar nach einer ersten Untersuchung bestritten, für den Tod des Kindes verantwortlich zu sein. Es seien zur fraglichen Zeit keine Truppen in dieser Gegend im Einsatz gewesen.  Widerlegt wurde dies jedoch zum Beispiel durch eine im April veröffentlichte eingehende Recherche der Washington Post.

In Israel wird der HRF „Nähe zu Terroristen“ vorgeworfen und auf Äußerungen verwiesen, in denen Hamas und Hisbollah gepriesen werden. Ihrer eigenen Webseite zufolge hat sich die Stiftung zum Ziel gesetzt, „den Kreislauf der israelischen Straflosigkeit“ zu durchbrechen und Gerechtigkeit zu schaffen für alle Opfer des „Gaza-Genozids“. Sie sammelt dazu Beweismaterial gegen israelische Armeeangehörige – vornehmlich direkt aus deren eigenen Social-Media-Beiträgen. Dort berichten viele Soldaten von ihrem Einsatz in Gaza, und bisweilen sind diese Inhalte höchst problematisch. Gezeigt wird dann zum Beispiel ein menschenverachtender Umgang mit Palästinensern, es kommt der Verdacht von Plünderungen auf oder mutwilligen Zerstörungen.

Die Regierung hat zum Schutz von Soldaten neue Richtlinien für Medien erlassen

Das ist mehr als nur ein Imageproblem für die Truppe, die sich selbst als die moralischste Armee der Welt versteht. Denn Organisationen wie die Hind-Rajab-Stiftung berufen sich auf das sogenannte Weltrechtsprinzip, demzufolge gewisse Verbrechen so gewaltig sind, dass jedes Land auf der Welt Verfahren gegen mutmaßliche Täter einleiten kann. Im Fall des reisenden Reservisten Juval Vagdani hatte die HRF deshalb den brasilianischen Behörden gezielt ein rund 500 Seiten starkes Dossier über dessen angebliche Verfehlungen zukommen lassen. Überdies hat die HRF schon im Oktober eine Klage beim Haager Strafgerichtshof gegen Israel eingereicht und darin die Namen von rund 1000 Soldaten aufgeführt, denen Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg vorgeworfen werden.

Nach dem Wirbel um Vagdanis Flucht aus Brasilien bemühte sich die israelische Führung zunächst, die Gefahren herunterzuspielen. Es handele sich um ein „Phänomen mit einer sehr begrenzten Anzahl von Fällen“, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums. In keinem einzigen Fall sei es tatsächlich zu einer Festnahme gekommen. Dennoch hat die israelische Führung Mitte der Woche reagiert mit einer neuen Richtlinie für die Medienberichterstattung, die explizit Soldaten schützen soll vor „Vorfällen, die von israelfeindlichen Aktivisten auf der ganzen Welt begangen werden“. Vom Oberst abwärts dürfen künftig keine Namen mehr von Soldaten in der Berichterstattung genannt werden, Gesichter müssen verpixelt werden. Kein Verbot gab es jedoch für Soldaten, Fotos und Videos zu posten.

Immerhin erklärte der Reservist Vagdani bei seiner Rückkehr nach Israel noch auf dem Flughafen, er werde seine Lehren ziehen aus dem Vorfall. Er werde keine Videos aus Gaza mehr posten, sagte er einem TV-Sender. Und er werde auch nicht mehr nach Brasilien reisen. Dabei sei der Urlaub nach langem Armeedienst für ihn eigentlich eine „Traumreise“ gewesen. Der überstürzte Abbruch habe sich angefühlt „wie eine Kugel ins Herz“.

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