Israelische Siedlungspolitik:Ist der Ruf erst ruiniert, baut es sich ganz ungeniert

Palestinian labourers work at a construction site in the Jewish settlement of Maale Adumim

Palästinensische Arbeiter beim Bau der jüdischen Siedlung Maale Adumim im Westjordanland

(Foto: REUTERS)

Beim Treffen von Kanzlerin Merkel und dem israelischen Regierungschef Netanjahu wird die Stimmung angespannt sein: Israels Siedlungspolitik ruft in Deutschland und den USA Kritik hervor. Mit dem Rücken zur Welt schaut der jüdische Staat nur auf die eigenen Interessen und wundert sich, dass die Verbündeten rar werden.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wenn du im Loch sitzt, so raten es seit alters her die Weisen, dann höre auf zu graben. Israels Regierung hätte sich das zu Herzen nehmen können nach der massiven Kritik an den neuen Siedlungsbauplänen. Doch die Amerikaner und die Europäer mögen noch so eindringlich fordern, dass die angekündigten Bauvorhaben zurückgenommen werden - die Führung in Jerusalem gräbt weiter und sieht keinerlei Veranlassung, die Bulldozer zu bremsen.

"Auch unter internationalem Druck wird Israel seine lebenswichtigen Interessen verfolgen", heißt es aus dem Amt des Premierministers. Und Innenminister Eli Jischai erklärt, Israel habe nicht nur das Recht, in Jerusalem und Umgebung zu bauen, sondern sogar die "Verpflichtung". Die Devise also lautet: Augen zu und durch.

Für Israel ist das eine altbekannte Reaktion. Der jüdische Staat ist es gewohnt, kritisiert und angefeindet zu werden, und die Abwehr solcher Angriffe gehört zu den Überlebensritualen in einer feindlich gesinnten Umwelt. Es hat sich daraus ein Muster entwickelt, das der israelischen Politik zumindest einige Handlungsfreiheit gewährt. Denn der jüdische Staat, so heißt es in diesem Credo, könne ohnehin nur auf sich selbst und auf die eigene Stärke vertrauen. Mit dem Rücken zur Welt muss Israel also tun, was getan werden muss - jedem Druck zum Trotz.

Netanjahu droht wiederholt mit militärischem Alleingang

Premierminister Benjamin Netanjahu hat diese Haltung zum Markenzeichen seiner Politik gemacht, und im Konflikt um das iranische Atomprogramm hat er das auf die Spitze getrieben mit seinen wiederholten Drohungen eines militärischen Alleingangs. Im aktuellen Streit mit den Palästinensern erklärt er nun den israelischen Siedlungsbau zum notwendigen Bollwerk gegen die Errichtung eines iranischen Satellitenstaats im Westjordanland, "nur ein Kilometer von Jerusalem entfernt", wie er warnt. Vor der anstehenden Parlamentswahl am 22. Januar schwingt er sich so zum Retter seines Volkes auf vor den allüberall lauernden Gefahren. Ganz klar, in Zeiten der Bedrohung muss sich Israel in die Wagenburg zurückziehen.

So gesehen also ist die internationale Isolation, in die der jüdische Staat zu geraten droht, kein Problem, sondern eine Art Naturgesetz. Realpolitisch allerdings kann sich eine solche "splendid isolation" vielleicht eine Inselgroßmacht wie Großbritannien im 19. Jahrhundert leisten, aber kein nahöstlicher Kleinstaat, der umzingelt ist von potenziellen Feinden. Israel braucht Freunde und Verbündete zum Überleben, und deshalb bleibt Netanjahus Kurs auch im eigenen Land nicht unwidersprochen. Das Massenblatt Jedioth Achronoth wertet die aktuelle Protestwelle als "diplomatischen Tsunami", die linksliberale Tageszeitung Haaretz warnt, dass die Politik der Regierung zu einer "ernsthaften Bedrohung" für Israel werde. "Netanjahu und seine Minister haben nicht das Recht, Israel zu einem internationalen Paria zu machen", heißt es. Selbst Vergleiche mit dem Erzfeind Iran werden schon gezogen, weil bald beide nebeneinander in der Schmuddelecke der Weltpolitik stehen könnten.

Aus der Opposition meldet sich Tzipi Livni zu Wort, die in der jüngsten Ankündigung zum Siedlungsbau vor allem ein Wahlkampfmanöver sieht, mit dem Netanjahu die rechte Wählerschaft für sich einnehmen will. Je harscher der Protest von außen ist, desto heller strahlt nach dieser Logik im Innern sein Stern. Unter dem Strich aber zieht Livni eine verheerende Bilanz: "In einem einzigen Monat hat Netanjahu mit gefährlichen militärischen und diplomatischen Aktionen einen Hamas-Staat in Gaza gefestigt und einen Palästinenser-Staat bei den UN ermöglicht", erklärte sie, "und nun lässt er Israel auch noch schuldig aussehen in den Augen der Welt."

Die Beziehungen zu den USA haben sich verschlechtert

Tatsächlich wird von israelischen Experten die schlimmste diplomatische Krise der vergangenen zwei Jahrzehnte befürchtet. Die Einbestellung der israelischen Botschafter in zahlreichen EU-Staaten, darunter Frankreich und Großbritannien, ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang - und dies könnte erst der Anfang gewesen sein. Wenn Frankreichs Präsident François Hollande anmerkt, man wolle "nicht in den Sanktionsmodus umschalten", dann ist dies implizit schon eine Drohung mit Sanktionen. Ähnlich klingt die Ankündigung aus London, dass Großbritannien "zu diesem Zeitpunkt" nicht plant, seinen Botschafter aus Tel Aviv zurückzurufen.

Europa gilt in Israel als nachgeordnete Größe

Doch die Europäer gelten in Israel - mit Ausnahme der Deutschen - ohnehin als nachgeordnete Größe. Wichtig sind allein die Beziehungen zu den USA. Aber auch hier hat sich der Himmel verdüstert, selbst die US-Regierung hat Israel inzwischen aufgefordert, die angekündigten Baumaßnahmen "zu überdenken". Bei der jüngsten Schlacht um Gaza hatte Barack Obama dem Verbündeten noch den Rücken freigehalten mit dem Diktum, es sei "Israels natürliches Recht, sich zu verteidigen". Gedankt aber hat Netanjahu dies dem US-Präsidenten ebenso wenig wie das einsame amerikanische Nein bei der UN-Abstimmung über die Statusaufwertung der Palästinenser. Die jüngsten Siedlungsbauprojekte nennt der frühere Premier Ehud Olmert deshalb einen "Schlag ins Gesicht Obamas".

Doch selbst die Aussicht, dass der wiedergewählte US-Präsident nun vier Jahre Zeit haben könnte, sich dafür zu revanchieren, hat in Jerusalem nicht zur Mäßigung geführt. Während die Welt sich noch aufregt über die Ankündigung, 3000 neue Siedlerwohnungen auf besetztem palästinensischem Land zu bauen, gehen die Planungen in Jerusalem schon viel weiter. Israelische Medien berichten von weiteren Ausbauplänen. So sollen im Nordosten Jerusalems 1600 Wohneinheiten im Stadtteil Ramat Schlomo entstehen. Vor zwei Jahren war dies bereits einmal angekündigt und auf starken amerikanischen Druck hin zurückgestellt worden. Nun sieht die israelische Regierung offenbar die Zeit gekommen, sich über solche Einsprüche hinwegzusetzen. Es gilt hier wohl die alte Weisheit: Ist der Ruf erst ruiniert, baut es sich ganz ungeniert.

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