Israelische Kritik an Barack Obama: "Für Juden der schlechteste Präsident, den Amerika je hatte"

Einst waren Israel und die USA enge Verbündete, aber seit einigen Jahren sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern eher frostig. Barack Obama ist bei vielen Israelis der unbeliebteste US-Präsident seit langem, nun finden sogar Anti-Obama-Kundgebungen statt.

Peter Münch, Tel Aviv

Mit dem Strick um den Hals stehen sie auf der Strandpromenade. Gegenüber der amerikanischen Botschaft haben sie sich versammelt zum Protest, sie schwenken blau-weiße israelische Fahnen, sie sind wütend. "Obama, Israel wird keinen Selbstmord begehen", rufen sie und geben sich kämpferisch, doch die Stricke, die großzügig verteilt wurden, sollen plastisch zeigen, wie eng es geworden ist und wie gefährlich für Israel - nun, da sie sich vom einstmals besten Freund verraten fühlen.

An Israeli holds a sign during a protest in front of the U.S. embassy in Tel Aviv

Barack Obama ist in Israel der unpopulärste US-Präsident seit langer Zeit. Vor der amerikanischen Botschaft in Israel demonstrierten am Montag gegen die Nahost-Politik der US-Regierung.

(Foto: REUTERS)

Antiamerikanische Umtriebe kennt man im Nahen Osten sonst nur aus Gaza, Beirut oder Teheran. In Israel ist das neu, weshalb die kantigen Wachleute vor der US-Botschaft in Tel Aviv auch eher ungläubig auf die Demonstrantenschar schauen.

Gewiss, ein Massenprotest ist diese lautstarke Hundertschaft nicht, und genau genommen ist das ja auch keine antiamerikanische Kundgebung, sondern ein Anti-Obama-Aufschrei. Doch der dürfte durchaus mehrheitsfähig sein im Land. "Für die Juden ist das der schlechteste Präsident, den Amerika je hatte", sagt ein älterer Herr namens Michel Abraham Ackerman. "Wenn er noch einmal gewählt wird, ist das katastrophal für uns." In der Hand hält er ein selbstgeschriebenes Schild, auf dem steht: "Nein zu der Auschwitz-Linie von 1949."

Der Streit um die Grüne Linie

So drastisch formuliert er seinen Protest gegen eine Aussage, mit der US-Präsident Barack Obama Israels Rechte in Wallung versetzt hat: Die sogenannte Grüne Linie, die von 1949 bis zum Sechstagekrieg von 1967 Israels Grenze war, solle die Basis bilden für die Grenzziehungen zwischen Israel und dem künftigen Palästinenser-Staat.

Obama versah das mit dem international konsensfähigen Zusatz, dass sich davon ausgehend beide Seiten auf einen Landtausch einigen müssten. Der Zusatz jedoch ist sogleich untergegangen in Israel - und dafür hat der Premierminister persönlich gesorgt. Vor den Kameras im Weißen Haus hat Benjamin Netanjahu Obama belehrt, dass die Grenzlinie von 1967 "nicht zu verteidigen" sei und deshalb Israel in seiner Existenz bedrohen würde.

Außenpolitisch mag das als dreist und gefährlich erscheinen, weil sich der Regierungschef eines dauerbedrohten Kleinstaats grundsätzlich besser nicht mit der schützenden Supermacht anlegen sollte. Doch Netanjahu hat den Show-Kampf mit Obama vor allem aus innenpolitischen Gründen inszeniert.

In seiner rechtsnationalen Regierungskoalition ebenso wie in der eigenen Likud-Partei wird mit Argusaugen darauf geachtet, dass der Regierungschef im Friedensprozess keine Zugeständnisse macht. Nach dem Schlagabtausch mit Obama ist ihm nun der Beifall aus dem gesamten rechten Lager sicher. Die Opposition um Tzipi Livni mag sich entrüsten über den außenpolitischen Schaden, doch Netanjahu hat sich schon einmal positioniert für die nächsten Wahlen als der Mann, der amerikanischem Druck in der Siedlungs- und Grenzfrage widerstanden hat.

"Bibi, Bibi"-Rufe von den Demonstranten

Auch die Demonstranten in Tel Aviv wissen das zu schätzen und lassen den Regierungschef mit "Bibi, Bibi"-Rufen hochleben. "Das israelische Volk hat eine Regierung gewählt, die sich weigert, das Heimatland aufzugeben", ruft Ayelet Schaked über ein Megaphon, "Präsident Obama, respektieren Sie das!" Die 35-Jährige gehört zu den Organisatoren des Protests. Sie ist Likud-Mitglied, früher hat sie für Netanjahus Büro gearbeitet, heute mobilisiert sie die Unterstützung über die Facebook-Gruppe "Mein Israel". Die Demonstration soll "Netanjahu stärken und ihm zeigen, dass die Menschen hinter ihm stehen."

Andere Redner wie Caroline Glick, eine Kolumnistin der Jerusalem Post, lenkt den Blick wieder auf das Feindbild in Washington. "Wir hatten einen solchen Verrat von den Arabern erwartet, aber nicht von Amerika", sagt sie und ruft das amerikanische Volk auf, "Israel zur Seite zu stehen" angesichts der Politik von Barack Obama.

Auch das liegt auf der Linie von Netanjahu, der keinen Hehl daraus macht, wo er in den USA Israels Freunde sieht - nicht im Weißen Haus, sondern bei den Republikanern und im Kongress, wo der Regierungschef aus Jerusalem an diesem Dienstag in einer Rede vor beiden Häusern seine Sicht auf den Nahost-Konflikt präsentieren darf.

Leichtes Ziel für Israels Rechte

In Israel ist Barack Obama tatsächlich der unpopulärste US-Präsident seit langer Zeit, und das macht ihn für Israels Rechte zu einem leichten Ziel. Schon bei seiner Amtsübernahme 2009 schätzten in einer Umfrage 73 Prozent der Israelis seinen Vorgänger George W. Bush als "Israel-freundlich" ein, Obamas Wert lag bei 38 Prozent. Im Sommer 2010 hielten ihn nur noch zehn Prozent für proisraelisch, 46 Prozent für propalästinensisch. Das Misstrauen war schon im Wahlkampf geschürt worden. Danny Ayalon, früher US-Botschafter und heute Vize-Außenminister, sagte 2008, dass die Israelis Obamas Kandidatur "mit Sorge betrachten" sollten, denn er sei "nicht aufrichtig in seinem Denken." Heute wird Obama vor allem vorgeworfen, dass er in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit zwar der muslimischen Welt große Aufmerksamkeit gewidmet und in Kairo eine aufsehenerregende Rede gehalten habe. Israel aber habe er mit Siedlungsstopp-Forderungen unter Druck gesetzt - und noch keinen Besuch abgestattet.

Am Rand der Tel Aviver Demonstration sitzt Janice Gaines auf einem Mäuerchen. Mit ihren 79 Jahren braucht sie eine kleine Pause vom Protest. "Im Winter lebe ich in Israel, im Sommer in den USA", sagt sie. Von Obamas Politik ist sie "enttäuscht und schockiert", und in der Hand hält sie ein Schild, auf dem geschrieben steht: "Ich bin aus Connecticut, und ich wähle Sie nicht mehr, Mr. President."

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