Süddeutsche Zeitung

Israel:Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

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Premierminister Netanjahu würde gern regieren, doch die Koalitionsverhandlungen stocken. Zudem droht ihm in der Anhörung wegen Korruptions­vorwürfen Ärger vom Generalstaatsanwalt.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Weil in Israel noch immer keine Einigung über eine Regierungsbildung in Sicht ist, nutzte Präsident Reuven Rivlin die Eröffnungssitzung des Parlaments am Donnerstag für warnende Worte: "Die Demokratie ist in Gefahr", sagte Rivlin. Das Ergebnis der Parlamentswahl vom 17. September sei "eine rote Karte von israelischen Bürgern für ihre gewählten Vertreter. Eine rote Karte für Populismus". Er rief zur Bildung einer großen Koalition auf. Aber der vom Präsidenten mit der Regierungsbildung beauftragte amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu holte sich am Donnerstag erneut eine Absage. Avigdor Lieberman bleibt dabei: Er will mit seiner nationalistischen Partei Unser Haus Israel nicht einer Koalition angehören, in der ultraorthodoxe Parteien vertreten sind. Netanjahu hat jedoch einen Pakt mit den bisherigen Partnern, den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie der Partei Neue Rechte, abgeschlossen. Nur gemeinsam wollen sie in eine Regierung eintreten.

Auch das zentristische Bündnis Blau-Weiß, das die Wahl mit einem Sitz Vorsprung gewonnen hat, will nur mit Netanjahus rechtsnationalem Likud, nicht aber mit den drei anderen Parteien eine Koalition bilden. Denn dann stünde Blau-Weiß gleich vier Koalitionspartnern gegenüber. Außerdem vertritt Blau-Weiß säkulare Positionen, die sich mit denen der ultraorthodoxen Parteien schwer vereinbaren lassen.

Der Likud nennt Jair Lapid, den Zweitplatzierten auf der blau-weißen Liste, als Schuldigen dafür, dass sich das Bündnis weiteren Verhandlungen verweigert. Lapid machte am Donnerstag jedenfalls den Weg über ein mögliches Hindernis bei einer Koalitionsbildung frei: Er besteht nicht auf der Einhaltung des Rotationsmodells. Lapid und Spitzenkandidat Benny Gantz hatten vereinbart, dass sie sich im Falle eines Wahlsieges die Amtszeit für den Premierminister teilen. Bei einer großen Koalition würden sich jedoch ein Vertreter des Likud mit jemandem von Blau-Weiß als Regierungschef abwechseln. Bei Blau-Weiß gilt Spitzenkandidat Gantz als gesetzt, der jedoch nicht mit jemandem in der Regierung sitzen will, "der sich einer schwerwiegenden Anklage stellen muss".

Damit ist Netanjahu gemeint. Am Mittwoch und Donnerstag begann im Justizministerium die Anhörung wegen der Korruptionsvorwürfe gegen ihn. Der Generalstaatsanwalt wird in den nächsten Wochen entscheiden, ob der Premierminister in bis zu drei Fällen wegen Betrugs, Bestechlichkeit und Untreue angeklagt wird.

Ein Dutzend Anwälte versuchte im Auftrag des Premierministers, die Vorwürfe zu entkräften. Sie brachten Hunderte von Seiten Dokumente mit, die sie als neu bewerteten, die Staatsanwälte jedoch als weitgehend bekannt einstuften. An den beiden ersten Tagen ging es um den Verdacht, dass Netanjahu als Kommunikationsminister dem Unternehmen Bezeq rechtliche Begünstigungen gewährt habe. Dessen Eigentümer soll im Ausmaß von mehreren Hundert Millionen US-Dollar profitiert haben. Im Gegenzug soll ein zum Konzern gehörendes Medium positiv über Netanjahu und seine Frau berichtet haben. In zwei weiteren Fällen, für die am Sonntag und Montag die Anhörung fortgesetzt wird, geht es um den Verdacht der Beeinflussung von Medien und um teure Geschenke befreundeter Milliardäre.

Netanjahu spricht von einer "Hexenjagd" auf ihn. Seine Forderung nach einer Liveübertragung der Anhörung im Fernsehen wies der Generalstaatsanwalt ab. Seine Anwälte teilten zum Auftakt der Anhörung außerdem mit, Netanjahu werde keinen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingehen und auch kein Gnadengesuch stellen.

52 Prozent der Israelis sind laut einer Umfrage des Democracy Institutes ohnehin gegen eine Vereinbarung, wonach Netanjahu bei einem Schuldeingeständnis ohne Haftstrafe davonkommen könnte. Ihm drohen bei einer Anklage bis zu zehn Jahre Haft. Auch innerhalb der Likud-Partei gibt es bereits Stimmen, die für einen Rückzug Netanjahus plädieren. Dieses Rumoren vernimmt auch Netanjahu, der plant, parteiinterne Wahlen abzuhalten, um sich als Vorsitzender bestätigen zu lassen. Damit solle die "Illusion einer Rebellion, worauf andere Parteien hoffen", zerstreut werden, teilte ein Parteisprecher am Donnerstag mit. Nur Minuten nach dieser Meldung twitterte Netanjahus innerparteilicher Rivale, der ehemalige Bildungs- und Innenminister Gideon Saar: "Ich bin bereit."

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SZ vom 04.10.2019
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