Süddeutsche Zeitung

Israel:Zwischen Rotation und Korruption

Benny Gantz versucht, eine Regierung zu bilden - mit seinem ewigen Rivalen Benjamin Netanjahu. Mit Blick auf die drohende Anklage wegen Korruption hofft der, im Amt zu bleiben.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Die erste Koalitionsverhandlung zwischen Benny Gantz und Benjamin Netanjahu fand am Sonntagnachmittag an einem ungewöhnlichen Ort statt: im Hauptquartier der israelischen Armee in Tel Aviv. Gantz kennt den Stützpunkt HaKirya als ehemaliger Generalstabschef der Armee gut, Benjamin Netanjahu amtiert derzeit auch als Verteidigungsminister.

Gantz, der mit seinem blau-weißen Bündnis die Parlamentswahl am 17. September knapp vor dem rechtsnationalen Likud gewonnen hatte, war bereits vor Beginn der Gespräche auf den amtierenden Premierminister zugegangen. Nachdem ihm Präsident Reuven Rivlin das Mandat zur Regierungsbildung nach dem Scheitern Netanjahus übertragen hatte, lud er ihn ein, Teil der Regierung zu werden.

Im Wahlkampf hatte Gantz erklärt, er wolle nicht mit jemandem in einer Regierung sein, der mit Korruptionsvorwürfen belastet ist. Wie aus Kreisen des blau-weißen Bündnisses verlautete, kann sich Gantz die Umsetzung eines Vorschlags von Präsident Rivlin vorstellen. Rivlin hatte angeregt, dass es eine Rotation im Amt des Ministerpräsidenten zwischen Gantz und Netanjahu geben soll. Netanjahu hat sich bisher dazu öffentlich nicht geäußert. Er will aber auf jeden Fall Ministerpräsident bleiben - auch wenn er in bis zu drei Fällen wegen Korruption angeklagt werden sollte. Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit will in den nächsten Wochen entscheiden, ob Netanjahu wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue vor Gericht muss.

Am Wochenende wurde neues Material zu einem Fall publik: Auf Aufnahmen ist zu hören, wie Netanjahu den Verleger der Zeitung Yedioth Ahronot, Arnon Mozes, bedroht: "Wenn Sie mich zu Fall bringen, dann werde ich Sie mit allem, was mir zur Verfügung steht, verfolgen. Das wird die Mission meines Lebens!"

Netanjahu will einen möglichen Prozess als Ministerpräsident durchstehen, er erhofft sich dadurch eine bessere Position vor Gericht. Der Vorschlag des Präsidenten sieht jedoch vor, dass im Fall einer Anklage sein Amt ruhen muss und Gantz als Regierungschef übernimmt. Wie es aus blau-weißen Parteikreisen heißt, wird zu klären sein, ob sich Netanjahu bereits zum Zeitpunkt der Anklageerhebung oder erst zu Beginn des Gerichtsverfahrens, das Monate später startet, zurückziehen müsste. Entscheidet Mandelblit rasch, könnte dies noch vor Beginn der Arbeit einer neuen Regierung liegen.

Netanjahu hat bisher die Position vertreten, dass er nur mit seinen bisherigen Koalitionspartnern - den zwei ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie der Partei Neue Rechte - in die Regierung eintreten wolle. Das hat Gantz abgelehnt, denn Blau-Weiß und Likud hätten gemeinsam eine Mehrheit von 65 der 120 Sitze in der Knesset. Laut Medienberichten soll Blau-Weiß Netanjahu vor die Wahl stellen: Er kann nur Ministerpräsident in der ersten Hälfte der Legislaturperiode bleiben, wenn der Likud ohne die religiösen Koalitionspartner in die Regierung eintritt.

Inzwischen sind bereits mehr Israelis dafür, dass Gantz Regierungschef wird: 46 Prozent sprachen sich in einer Umfrage für ihn aus, 40 Prozent für Netanjahu. Erstmals ist auch eine Mehrheit dafür, dass Netanjahu wegen der Korruptionsvorwürfe sofort zurücktritt, zwei Drittel fordern seinen Abgang nach einer Anklage. Damit hat sich die öffentliche Meinung binnen weniger Wochen zu Ungunsten Netanjahus verschoben.

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SZ vom 28.10.2019
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