Israel weist deutsche Aktivisten aus:"Es war eng und heiß in der Zelle"

500 bis 600 Palästina-Aktivisten aus dem Ausland im Westjordanland - das war den israelischen Behörden zu viel. Sie fürchteten Provokationen und verhinderten die Einreise von Demonstranten aus Europa und den USA. Für den Berliner Martin Forberg bedeutete das zwei Nächte in Gewahrsam - zeitweise unter empörenden Bedingungen. Sonntagnacht wurde er ausgeflogen.

Michael König

Sie wollten im Westjordanland protestieren, doch stattdessen verbrachten sie das Wochenende in Abschiebehaft: Israel hat propalästinensische Aktivisten, die sich zu einem sogenannten Fly-in verabredet hatten, am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv abgefangen. 500 bis 600 Teilnehmer aus Europa und den USA hatten sich angekündigt, um auf Einladung palästinensischer Gruppen an der Aktion "Welcome to Palestine" teilzunehmen.

'Airtilla' Protest Arrives In Israel

Ein israelischer Demonstrant, der die internationalen Pro-Palästina-Aktivisten begrüßen wollte, zeigt nach seiner Festnahme am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv das Victory-Zeichen: Israel wehrte sich gegen Massenproteste ausländischer Palästina-Aktivisten.

(Foto: Getty Images)

In Israel herrscht Demonstrationsfreiheit, jedoch behält sich der Staat das Recht vor, "Provokateuren" die Einreise zu verweigern. (Eine Stellungnahme der israelischen Botschaft in Berlin finden Sie am Ende des Interviews). Etwa 300 Demonstranten wurden bereits am Abflug gehindert, etwa 120 verbrachten das Wochenende in Abschiebegefängnissen. Darunter auch der 53 Jahre alte Journalist Martin Forberg, der am Sonntagabend nach Berlin ausgeflogen wurde.

sueddeutsche.de: Herr Forberg, Sie sind am Freitag mit einer Reisegruppe nach Tel Aviv geflogen, um an der Aktion "Willkommen in Palästina" teilzunehmen. Was hat Sie dazu bewogen?

Martin Forberg: Wir wollten zunächst einmal den palästinensischen Alltag kennenlernen. Die Idee hinter der Aktion war, auf die Probleme der Menschen in den besetzten palästinensischen Gebieten hinzuweisen. Vor allem auf die mangelnde Bewegungsfreiheit. Und zugleich wollten wir das Recht der Palästinenserinnen und Palästinenser unterstreichen, uns zu sich einzuladen. Diese Einladung ging von palästinensischen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus. Uns war auch wichtig, unser Recht, sie zu besuchen, wahrzunehmen. Wir wollten friedlich auf die Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Besatzung hinweisen.

sueddeutsche.de: Dazu ist es nicht gekommen. Wie auch viele andere Teilnehmer wurden Sie am Flughafen Ben Gurion aufgehalten. Israel wolle sich vor "Provokateuren" schützen, hieß es. Fühlen Sie sich angesprochen?

Forberg: Dieser Begriff ist von der israelischen Regierung in Umlauf gebracht worden, um uns zu diskreditieren. Auch ich bin kein Provokateur, sondern wie andere Beteiligte ein gemäßigter Mensch, der versucht, Probleme bei der Wurzel zu packen und transparent zu machen. Ich bin im Vorstand der Internationalen Liga für Menschenrechte und beschäftige mich seit langem mit Israel und Palästina, auch beruflich. Mir geht es um gleiche Rechte für alle, die dort leben.

sueddeutsche.de: Können Sie ausschließen, dass unter den Teilnehmern gewaltbereite Aktivisten waren?

Forberg: Ja, das würde ich ausschließen. Unter uns waren Menschen jeden Alters, aus verschiedenen politischen Kulturen und sozialen Schichten. Menschen mit verschiedenen Temperamenten: hier eher bedächtig, dort etwas bunter. Die Basis war die Gewaltlosigkeit, und die Vielfalt halte ich für belebend und allemal für legitim.

sueddeutsche.de: Einige Teilnehmer der Aktion konnten die Reise gar nicht antreten, weil Sie auf einer "schwarzen Liste" standen. Hatten Sie solche Probleme?

Forberg: Eine Kollegin bekam am Vorabend der Reise einen Anruf von der Lufthansa. Sie werde in Israel kein Visum bekommen, daher könne man sie nicht mitnehmen. Dass Fluggesellschaften sich hier haben unter Druck setzen lassen, halte ich für skandalös. In diesem Fall wurde sogar der Flug von Berlin nach Frankfurt unmöglich gemacht, was ich zusätzlich problematisch finde. Bei den anderen Mitgliedern meiner 13-köpfigen Gruppe gab es keine Probleme. Wir sind von Frankfurt nach Tel Aviv geflogen und in dieser Maschine waren auch etwa 20 belgische Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Bord. Die Maschine kam gegen 23 Uhr Ortszeit an - mit siebenstündiger Verspätung, da das ursprüngliche Flugzeug ein technisches Problem bekam.

sueddeutsche.de: Am Flughafen Ben Gurion sind Sie dann schon erwartet worden.

Forberg: Es waren einige Sicherheitsleute zu sehen. Je näher wir der Passkontrolle kamen, umso mehr wurden es. Wir wurden mehrfach von Polizisten angehalten, konnten jedoch zunächst weitergehen. Am Schalter wurden wir nach dem Ziel unserer Reise gefragt. Da habe ich wahrheitsgemäß angegeben, ich sei Tourist und wolle an der Aktion "Willkommen in Palästina" teilnehmen.

sueddeutsche.de: Wie haben die Beamten reagiert?

"Der Ton war vorwiegend rau"

Forberg: Eine durchaus höfliche Dame hat meinen Pass einbehalten, gemeinsam mit anderen wurde ich in einen Warteraum begleitet, vor dem drei Polizisten Stellung bezogen. Es verging etwa eine Stunde, dann wurden wir aus dem Wartesaal in einen anderen Teil des Flughafens geführt. Mein Eindruck war, dass es nun eine weitere Befragung geben werde - tatsächlich aber wartete ein Gefangenentransporter auf uns.

sueddeutsche.de: Sind Sie verhört worden?

Forberg: Zunächst nicht. Erst mal ging es in den Transporter, genauer gesagt in eine Zelle im Inneren. Etwa 3,50 Meter lang, 65 Zentimeter breit, 1,85 Meter hoch. Umgeben von einem feinmaschigen Gitter. Es war stickig und heiß. Es waren noch fünf andere Männer darin untergebracht. Die Frauen waren in einer anderen Zelle, die offenbar etwas geräumiger war.

sueddeutsche.de: Hatten Sie Angst?

Forberg: Es überwog die Empörung über diese Behandlung. Es war in jedem Fall eine unangenehme Situation. Wir haben gemeinsam nach Anwälten gerufen, Kontakt zur deutschen Botschaft verlangt und die Möglichkeit zu telefonieren gefordert. Die Frauen haben versucht, die Stimmung durch lustige Lieder aufzulockern. Ein Polizist, der uns begleitete, drohte ihnen daraufhin, Tränengas in die Zelle zu sprühen, sollten sie nicht sofort aufhören. Der Ton war vorwiegend rau, in einer Situation hätten Polizisten beinahe massiv Gewalt ausgeübt. Die Forderung, zur Toilette gehen zu können, wurde über eine längere Zeit nicht erfüllt. Telefonate, Anwälte, Konsulat - das war gar nicht drin. Es wurden lediglich auf unser Verlangen hin recht bald Wasserflaschen in die Zellen geschoben.

sueddeutsche.de: Wie lange dauerte die Fahrt in dem Transporter?

Forberg: Wir sind zunächst gar nicht gefahren. Wir standen vier Stunden auf dem Flughafen. Irgendwann sagte ein Beamter, dass Israel uns die Einreise verweigere. Dann sollte es losgehen, aber der Wagen sprang nicht an. Schließlich ging es ins Gefängnis in Beer Scheva, südlich von Tel Aviv. Dort wurden wir für zwei Stunden in enge Zellen gebracht. 16 Leute auf acht bis zehn Quadratmetern, an der Wand ein Klo. Dort wurden wir erneut abgetastet und wurden fotografiert. Dann ging es in einen moderneren Trakt des Gebäudes.

sueddeutsche.de: Ihr Aufenthaltsort bis zur Abreise am Sonntag?

Forberg: Ja. Das Gebäude war heller und größer, auch der Ton der Beamten wurde deutlich freundlicher. Wir waren in Vierbettzimmern untergebracht, in der Mitte ein Tisch. Die Zellentüren waren von neun bis 21 Uhr geöffnet. Es gab Duschen und etwas zu Essen, wir wurden von Ärzten betreut. Außerdem wurde uns in einem Vortrag erklärt, wir sollten das Gebäude nicht als Gefängnis begreifen, sondern als "unser Haus für die nächsten Stunden oder Tage". Hier fand aber durchaus eine subtilere Kontrolle statt. Zur Mittagszeit besuchten uns zwei Vertreterinnen der deutschen Botschaft. Sie fragten uns, wie es uns ginge, welche Bedürfnisse wir hätten. Wir sprachen darüber, wie es weitergehen solle. Allerdings wurden Einzelgespräche vorgeschrieben, Gruppengespräche verhindert. Auch der Austausch mit unseren Kolleginnen, die wir anschließend wiedertrafen, wurde geschmeidig abgeblockt.

sueddeutsche.de: Haben Sie an Ihrem Plan festgehalten, die palästinensischen Gebiete zu besuchen?

Forberg: Ja, wobei zunächst noch unklar war, wie dies zu erreichen wäre. Am Nachmittag sprachen Beamte der israelischen Immigrationsbehörde mit uns und legten uns jeweils unterschiedliche Bedingungen vor, unter denen wir einreisen könnten - jeweils in verschiedene Gebiete. Einige hätten nur nach Israel reisen können, andere auch in die Westbank. Bei mir war die Bedingung, dass ich mich nicht in "Unruhebereichen" aufhalten dürfe. Ich habe dies abgelehnt. Zwei andere deutsche Teilnehmer haben zugestimmt, was ich vollkommen in Ordnung finde.

Was die israelische Botschaft zu der Aktion sagt

sueddeutsche.de: Warum haben Sie nicht zugestimmt?

Forberg: Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich angesichts dieser Bedingung noch an den Veranstaltungen von "Willkommen in Palästina" hätte teilnehmen können. Und wenn mehr von uns auf die Bedingungen eingegangen wären, hätte leicht der Eindruck entstehen können, dass wir unser eigenes Vorhaben nicht ernst nehmen. Als ich erwähnte, das ich es für legitim hielte an gewaltfreien Demonstrationen teilzunehmen, war die Angelegenheit für die Gesprächspartner ohnehin erledigt. Sie haben allerdings noch zweimal nachgefragt. Am nächsten Tag ging es aus dem Gefängnis hinaus, in den Bus, und zurück zum Flughafen, wo wir in einem abgetrennten Kontrollbereich untersucht wurden.

sueddeutsche.de: Hatten die Israelis aus dem Sicherheitsbereich, die Ihnen begegnet sind, Verständnis für Ihr Anliegen?

Forberg: Nun ja, dem einen oder anderen wird klar geworden sein, dass wir einfach Präsenz zeigen und auf die Situation der Palästinenser hinweisen wollten. Dass wir Friedensaktivisten sind, nicht in das von der israelischen Regierung produzierte Feindbild passen und dass bei den Sicherheitsbehörden in Israel eine abstruse Hysterie ausgebrochen war.

sueddeutsche.de: Ist es nicht Israels gutes Recht, 500 bis 600 Menschen davon abzuhalten, sich am Flughafen in Tel Aviv zu versammeln, um gegen die israelische Politik zu demonstrieren?

Forberg: Es ging ja nicht darum, am Flughafen zu demonstrieren. Natürlich hat Israel, wie jeder andere Staat, das Recht, zu bestimmen, wer einreist und wer nicht. Aber der einzige Weg nach Palästina führt eben über Israel. Und wenn dieser Transitkanal dichtgemacht wird, dann ist das ein Problem, auf das man hinweisen muss. Letztlich ist es das Problem der Besatzung und des Rechts auf Einreise für Palästinenser und für diejenigen, die sie besuchen wollen.

sueddeutsche.de: Würden Sie eine solche Solidaritätsreise noch einmal machen?

Forberg: Ich bin nicht frustriert, falls Sie darauf hinauswollen. Ganz im Gegenteil. Wir haben eine Menge Aufmerksamkeit erreicht, weltweit - und es kommen sehr positive Reaktionen aus Palästina und auch von Friedensgruppen in Israel. Das war es unbedingt wert.

Yinam Cohen, Pressesprecher der israelischen Botschaft in Berlin, sagte auf Anfrage von sueddeutsche.de, sein Land sei grundsätzlich offen für jeden Besucher. Jeden Tag würden Hunderttausende Menschen die Palästinensergebiete besuchen. Wie jeder andere souveräne Staat behalte sich Israel jedoch das Recht vor, Provokateuren die Einreise zu verweigern. In diesem Fall hätten israelische Sicherheitsbehörden "einige hundert" Provokateure aus mehreren Ländern identifiziert und daran gehindert, das Land zu betreten.

Linktipp: Die in Tel Aviv erscheinende Zeitung Haaretz plädiert in einem Kommentar für mehr Demonstrationsfreude in Israel.

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