Israel:Dann gehen sie eben ins Gefängnis

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„Nicht diese Armee, nicht dieser Krieg“: Ido Eilam, Soul Behar Tsalik und Itamar Greenberg (von hinten nach vorne) verweigern den Militärdienst. (Foto: Shani Bar David)

Wehrdienstverweigerer gab es bisher so gut wie keine in Israel. Ein paar wenige tun sich das an, aus politischen Gründen. Aber dreht sich jetzt vielleicht der Wind?

Von Sonja Zekri, Tel Aviv

Man kann darüber diskutieren, ob die israelischen Streitkräfte tatsächlich „die moralischste Armee der Welt“ sind, wie sie in Israel gern genannt werden. Zweifellos aber ist die Armee der Eintritt in die israelische Gesellschaft und vor allem in den Arbeitsmarkt. Wehrdienstleistende knüpfen Kontakte. Manche Einheiten gelten als Sprungbrett für bestimmte Branchen wie die Hightech-Industrie. Wer nicht dient, riskiert die Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung. Von Monaten, vielleicht Jahren in einem Militärgefängnis ganz abgesehen.

Ido Eilam, Soul Behar Tsalik und Itamar Greenberg wissen das. Und sie verweigern trotzdem. Nicht weil sie Pazifisten sind, eine Armee könne durchaus sinnvoll sein, sagt Ido Eilam bei einem Treffen in Tel Aviv: „Aber nicht diese Armee und nicht in diesem Krieg.“ Nach dem Hamas-Anschlag am 7. Oktober 2023 hätte die Regierung einen „Monat der Trauer“ verhängen müssen, aber keinen Krieg beginnen, der der Hamas neue Anhänger zuführe, aber den Geiseln nicht helfe, finden sie. Sie hätte nicht Teenager zum Sterben außerhalb Israels schicken dürfen. Ihre Forderungen: ein Ende des Krieges und der Kriegsverbrechen in Gaza, Rückzug aller Truppen, generell ein Ende der Besatzung von palästinensischem Boden, ein Ende, wie sie es nennen, der „Apartheid“.

Sie fühlen sich als Trendsetter. Eigentlich

Isoliert wegen solcher – aus Sicht vieler Israelis: radikaler – Anliegen fühlen sich die drei nicht. Gewiss, auf Familienfesten werde das Thema vermieden, sagt Soul Behar Tsali, einige seiner Freunde in der Armee fühlten sich durch seine Verweigerung verletzt und infrage gestellt. Aber die meisten respektierten seine Entscheidung. Mehr noch, als Verweigerer seien sie gesellschaftlich eigentlich Trendsetter: „Bislang gab es in Israel drei Verweigerer pro Jahr. Seit Beginn des Gazakrieges sind es schon neun.“

Nach 15 Monaten Krieg, fast 400 getöteten israelischen Soldaten und 46 000 getöteten Palästinensern spüren sie nachgerade Rückenwind. In den sozialen Medien oder wenn sie ihren Stand auf der Straße aufbauen, wünschen ihnen viele die Pest an den Hals, aber hier und dort kommt auch Ermutigung. Irgendwo müsse man ja anfangen, wenn man das Land verändern wolle, deshalb gehen sie an die Öffentlichkeit in israelischen und internationalen Medien, auf Tiktok.

Längst nicht alle Rekruten töten und sterben in Gaza. Ido Eilam ist Jazz-Musiker, er spielt Bass und hätte sich bei Feststellung einer besonderen Begabung von der Armee sogar sein Studium finanzieren lassen können. Aber das kam nicht infrage: „Ich habe nicht mal vorgespielt.“ Lieber ging er einen Monat ins Gefängnis. Soul Behar Tsalik wiederum hätte sich zu einer Cyber-Einheit versetzen lassen können, danach hätten ihm die Türen in die besten Firmen offen gestanden. Stattdessen war auch er im Militärgefängnis, und seine Chancen bei der Jobsuche werden sich halbieren: „Vielleicht studiere ich Film. Oder Philosophie.“

Manche religiöse Minderheiten sind von vornherein ausgenommen

Anders als in Deutschland, das den Wehrdienst abgeschafft hat, anders auch als Länder wie Österreich mit einem geregelten Zivildienst, ist der Kriegsdienst in Israel eine Selbstverständlichkeit, obligatorisch für fast alle israelischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ab 18 Jahren. Aber es gibt Wege. Viele Kriegskritiker verweigern nicht offiziell, sondern bringen medizinische oder psychologische Gründe vor, auch Schwangere sind vom Wehrdienst ausgenommen.  Ausnahmen bilden einige ethnische oder religiöse Minderheiten. Drusen und Tscherkessen müssen meistens dienen, Christen und Muslime meistens nicht. Und – zumindest bis vor Kurzem – auch die jüdischen Ultra-Orthodoxen nicht, die „Haredim“.

Itamar Greenberg hätte es insofern deutlich leichter haben können. Er stammt aus einer ultraorthodoxen Familie in der ultraorthodox geprägten Stadt Bnei Berak nordöstlich von Tel Aviv. Als Kind träumte er davon, zur Armee zu gehen: um dazuzugehören, um sich nicht so isoliert zu fühlen von der Gesellschaft. Dass es schon damals eine Debatte darüber gab, ob die Frommen in die Armee gezwungen werden sollen, hat er kaum mitbekommen.

Inzwischen wird die Diskussion über die Wehrpflicht für die Ultraorthodoxen politisch und juristisch so erbittert geführt wie nie zuvor. 10 000 neue Rekruten pro Jahr brauche die Armee, schreiben israelische Medien. Tausende Einberufungsbescheide seien an die Haredim verschickt worden, aber nur ein paar Hundert haben sich gemeldet. Sie lehnen aus religiösen Gründen den Dienst an der Waffe ab, jeden Kontakt zur säkularen Welt, einige sogar den Staat Israel in seiner jetzigen Form.

Als Itamar Greenberg den Einberufungsbescheid bekam, hätte er also problemlos in seiner religiösen Community untertauchen können, denn ihm war längst klar, dass er nicht würde dienen wollen. Nur hatte er die ultraorthodoxe Gemeinschaft da schon verlassen. Zwar lebe er noch immer in seiner Familie, die seine Abwendung auch toleriere, sagt er, aber sich ausgerechnet auf dem Ticket der Frommen vor der Konfrontation zu drücken, kam nicht infrage. Stattdessen saß er länger als die beiden anderen im Gefängnis, mit Unterbrechungen 150 Tage, einige Tage davon in Einzelhaft. Es sei zu einem Gerangel gekommen, nachdem ein Mitgefangener ihm gedroht hatte, gäbe es keine Kameras im Gefängnis, hätte er ihn, Itamar, längst umgebracht. „Das war nicht so cool“, sagt Greenberg.

Aber es hat an seiner Entschlossenheit nichts geändert. Während sich die Hinweise auf eine Waffenruhe in Gaza mehren, hat Greenberg ein Video auf Instagram gepostet, in dem er sich einen „Verweigerer des israelischen Völkermordes, der Besatzung und Unterdrückung“ nennt. Am nächsten Tag werde er erneut ins Gefängnis gehen: „Steht auf, leistet Widerstand, die Wahrheit wird siegen.“ Darunter: Tausende Likes und Herzen.

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