Soviel Zeit muss sein: Die Assistentin schiebt ein Paar mit einem Kinderwagen ins Büro, Aliza Bloch begrüßt sie herzlich. Die ultraorthodoxen Juden sind nach Bet Schemesch gezogen und die 51-jährige Bürgermeisterin lässt es sich nicht nehmen, die Neuankömmlinge in ihrer Stadt persönlich zu begrüßen.
Es galt als Sensation im ganzen Land, als die ehemalige Schuldirektorin in Bet Schemesch den seit zehn Jahren amtierenden Moshe Abutbul, einen ultraorthodoxen Juden, bei der Wahl vergangenen Herbst aus dem Amt verdrängen konnte. Denn die Stadt mit mehr als 100 000 Einwohnern in der Nähe von Jerusalem machte in den vergangenen Jahren wiederholt Schlagzeilen, weil hier ultraorthodoxe Juden die Rechte von Frauen einschränkten: In der Stadt hingen Schilder, die Frauen vorschrieben, wo sie nicht gehen oder stehen dürften und wie sie bekleidet sein sollten. Der Oberste Gerichtshof verfügte, dass sie abgenommen werden mussten. Vergangenen Sommer jagten ultraorthodoxe Männer Frauen durch die Straßen, die T-Shirts und Shorts trugen. Diese Jagdszenen wurden ins Internet gestellt.
Und ausgerechnet in dieser Stadt zog eine Frau ins Rathaus ein. Frauen haben es auch in Israel nicht leicht, in der Politik Fuß zu fassen. Nach der Kommunalwahl stieg zwar die Anzahl der Bürgermeisterinnen von sechs auf 14 - noch immer ein niedriges Niveau. Nach der Parlamentswahl am 9. April blieb die Anzahl der weiblichen Abgeordneten mit 29 von 120 wie nach der Wahl 2015. In der Regierung mit 21 Mitgliedern sitzen nur drei Frauen.
In einem ultraorthodoxen Umfeld haben es Frauen in Israel besonders schwer, in die Politik zu gehen. Gleiches gilt für arabische Israelinnen oder Drusinnen. Aliza Bloch ist orthodoxe Jüdin und trägt stets eine Mütze. Den Wahlkampf in Bet Schemesch habe sie gewonnen, weil sie drei Monate lang von Haustür zu Haustür gegangen sei und versucht habe, persönlich zu überzeugen. "Die meisten haben mir gesagt, es ist dumm, sich zu bewerben. Männer wählen keine Frau. Rabbiner haben gesagt, wählt Aliza Bloch nicht, weil sie eine Frau ist und keine Charedim."
Charedim sind streng religiöse Juden, die in der rasch wachsenden Stadt Bet Schemesch inzwischen rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Bloch nahm aber auf sie Rücksicht und verzichtete darauf, dass auf ihren Wahlplakate auch ein Foto von ihr zu sehen war. Denn nach Ansicht ultraorthodoxer Juden sind Darstellungen von Frauen in der Öffentlichkeit ein Tabu. "Das war meine Entscheidung, nur meinen Namen und meine Botschaften zu plakatieren", versichert Bloch, die mit ihrer Liste "Die Stadt ist etwas Besonderes" antrat.
Dann wird in drei Jahren die drittgrößte Stadt Israels von zwei Frauen regiert
Zu den frauenfeindlichen Vorfällen meint Bloch: "Ich könnte jeden Tag irgendwo ein Feuer anzünden in Bet Schemesch, es gibt immer irgendeinen Aufreger. Aber wir müssen uns vielmehr Mühe geben, das Gemeinsame zu finden." Die vierfache Mutter ist davon überzeugt: "Für die meisten Leute in Bet Schemesch ist es nicht wichtig, ob jemand Frau oder Charedim ist. Die Bewohner wollen saubere Straßen, dass der Müll abtransportiert wird und Jobs geschaffen werden. Wenn ich mit einem großen Ego komme und sage, ich bin vor allem eine Frau, dann kommen wir nicht weiter. Wir müssen den Diskurs ändern und Platz für alle schaffen."
Während Aliza Bloch bemüht ist, weder ihr Geschlecht noch Frauenthemen in den Vordergrund zu rücken, ist Shahira Shalabi viel kämpferischer. "Für viele bin ich eine Zumutung: Ich bin eine Frau, ich bin Araberin und von der Hadasch." Die Partei ist mit einer arabisch-jüdischen Liste in Haifa angetreten, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode wird die 51-Jährige gemäß dem in der Stadt geltenden Rotationsmodell Vizebürgermeisterin. Sie kommt deshalb zum Zug, weil der Listenerstplatzierte Raja Zaatry nach Debatten über seine Vergleich etwa von Zionismus mit Nationalsozialismus zurückgetreten ist.
Dann wird in drei Jahren die drittgrößte Stadt Israels von zwei Frauen regiert: Bürgermeisterin Einat Kalisch Rotem von der Arbeitspartei gewann im Herbst überraschend die Wahl. "Im Stadtrat sind einige noch immer geschockt, dass der Bürgermeister nun eine Frau ist. Und dann kommt noch eine Araberin dazu", meint Shalabi lachend in einem Café in Haifa. Von den rund 281 000 Einwohnern sind 40 000 arabische Israelis. Die Hadasch-Partei besetzt 2 der 31 Sitze im Stadtrat. "Ich war 30 Jahre lang als feministische Aktivistin in Graswurzelbewegungen. Jetzt in der Politik zu sein, ist ein anderes Stadium. Frauen in der Politik haben manchmal mehr Einfluss, manchmal weniger." Wo die größten Unterschiede zwischen der politischen Arbeit und der in einer Nichtregierungsorganisation seien? "In NGOs haben wir gemeinsame Interessen, in der Politik gibt es so viele widerstreitende Interessen, auch innerhalb einer Partei. Im Feminismus kämpfen wir für etwas, aber in der Politik geht es darum, Konflikte zu managen", antwortet Shalabi.
"Meine Mutter sieht durch mich, dass ihre Träume erfüllt werden", sagt die Drusin Samira Azam
Fachlich habe sie sich gefühlt gut vorbereitet auf ihre Aufgabe im Rathaus, meint die Organisationsberaterin, die das Fach Religiöse Studien an der Universität Haifa belegt hat: "Ich weiß, wie man führt, wie man mit Strukturen umgeht oder ein Budget erstellt." Womit sie aber nicht gerechnet habe: "Als ich begonnen habe, haben mich Männer bewusst als Frau attackiert. Politik ist ein schmutziger Platz." Sei es für Frauen in der arabischen Gemeinschaft noch schwieriger, in die Politik zu gehen? "Ich fühle nicht, dass es schwierig ist, als Frau in der arabischen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Als ich als feministische Aktivistin begonnen habe, war es viel schwieriger. Jetzt krieg ich Unterstützung, von Frauen und Männern", antwortet die Mutter zweier erwachsener Kinder.
1998 hat sie Kayan mitbegründet, eine feministische Organisation in Haifa, die den Status arabischer Frauen in der israelischen Gesellschaft verbessern will. "Wir sind in Orte gegangen, haben mit einer Gruppe von Frauen gearbeitet und sie ermutigt, ihre eigene Arbeit zu starten." Kayan bietet auch Kurse an, um Frauen für die politische Arbeit vorzubereiten. Vermittelt wird juristisches Wissen und Budgetplanung.
Samira Azam hat drei Jahre lang einen der Seminare von Kayan besucht und sich auf ihre Politkarriere vorbereitet. Die 54-jährige Drusin hatte zuerst Angst, die Fortbildungen der arabischen Organisation zu besuchen. "Ich war die Minderheit bei einer Minderheit. Aber nach einer gewissen Zeit, als wir über unsere Probleme und Träume gesprochen haben, war klar: Wir reden über das Gleiche. Wir müssen zusammenstehen und zusammen kämpfen."
In der vor allem von Drusen bewohnten Stadt Dalijat al-Karmel mit rund 15 000 Einwohnern ist die pensionierte Lehrerin die erste Frau, die den Sprung in den Stadtrat geschafft hat. Mit anderen hat sie vor drei Jahren eine Frauenliste gegründet, nach und nach sprangen einige ab, nun sind sie noch zu zehnt. "Manche hatten Angst, dass sie von der religiösen Gemeinschaft nicht mehr akzeptiert werden."
Sie selbst hatte die Unterstützung ihres Mannes, ihrer vier Kinder und ihrer Eltern: "Meine Mutter sieht durch mich, dass ihre Träume erfüllt werden. Es ist eine große Verantwortung. Ich muss erfolgreich sein, denn sonst dürfen Frauen nach mir nicht mehr zur Wahl antreten. Also muss ich mein Bestes geben." Immer wieder klopft es in ihrem Büro im Erdgeschoss des Rathauses, ständig läutet ihr Telefon. "Wir haben lange genug gehört, dass Frauen nicht in die Politik gehen dürfen, weil sie nicht wüssten, wie die Spielregeln seien. Aber wenn man uns lässt, dann merkt man: Es funktioniert und wir werden akzeptiert."