Süddeutsche Zeitung

Israel:Der stille Herausforderer

Jair Lapid gilt bei der Neuwahl am 23. März als stärkster Konkurrent von Premierminister Netanjahu. Im Wahlkampf punktet er mit neuer Bescheidenheit.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wahlkämpfe in Israel sind stets laut, auftrumpfend und gern auch mal untergriffig. Es ist ein zäher Kampf um jede Stimme. Doch während die meisten politischen Protagonisten ohne jede Müdigkeit auch zur vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren nach der gewohnten Maxime verfahren, präsentiert sich einer im ganzen Trubel plötzlich ziemlich still: Jair Lapid, Chef der liberalen Partei mit dem verheißungsvollen Namen Jesch Atid, zu Deutsch "Es gibt eine Zukunft".

Sein neuer Wahlkampfstil: Er bleibt sachlich und er macht sich rar. Denn in der Ruhe liegt die Kraft. Von Woche zu Woche klettert Lapid in den Umfragen weiter nach oben und gilt inzwischen als aussichtsreichster Herausforderer von Langzeit-Premierminister Benjamin Netanjahu.

"Alles außer Netanjahu"

Die jüngsten Umfragen zur Wahl am 23. März weisen für Lapids Partei 20 der 120 Parlamentssitze aus. Das bedeutet Platz zwei hinter Netanjahus Likud, der nach jetzigem Stand mit 28 bis 30 Mandaten rechnen kann. Der Abstand ist zwar immer noch beträchtlich. Aber seit Januar, als Lapid lediglich zwölf Sitze vorhergesagt wurden, hat er deutlich an Boden gut gemacht - und vor allem hat er sich vom Feld der übrigen Verfolger abgesetzt. Im Lager jener, die mit der Parole "Alles außer Netanjahu" in die Wahlschlacht ziehen, ist er nun klar die Nummer eins.

Während Mitbewerber wie Naftali Bennett oder Gideon Saar ebenso wie Netanjahu um die Stimmen der Rechten und Religiösen werben, darf Lapid auch ideologisch als Gegenentwurf gelten. Er hat seine Partei in der politischen Mitte verankert. "Das Land braucht eine vernünftige und zurechnungsfähige Regierung", lautet sein Mantra in diesem Wahlkampf. Er meint damit eine Regierung, die nicht zum eigenen Machterhalt bewusst die gesellschaftlichen Gräben vertieft. Und er zielt damit auf einen Regierungschef, der wegen Korruption vor Gericht steht und all sein politisches Handeln dem Bemühen untergeordnet hat, einer Verurteilung zu entgehen.

Lapid wurde schon mehrmals zum attraktivsten Mann Israels gewählt

Lapid gehört zum quirligen und liberalen Tel Aviver Milieu. Hier lebt er mit seiner Frau Lihi, einer Schriftstellerin, und den drei Kindern. Und hier war er auch schon längst eine Berühmtheit, bevor er 2012 zum Politiker mutierte. Einen Namen gemacht hatte er sich als Journalist und Talkmaster, im Fernsehen moderierte er die meistgeschaute Nachrichtensendung des Landes, und obendrein hat er auch damals schon mehrfach Wahlen gewonnen: die zum attraktivsten Mann Israels.

Auch sonst ist sein Lebenslauf erstaunlich bunt für einen Politiker: Die Schule hat er ein Jahr vor dem Abschluss geschmissen. Als Sänger und Schauspieler ist er aufgetreten. Sogar in Hollywood hat er sich versucht und zwischendurch auch mal als Boxer. Er hat Theaterstücke, Fernsehserien und Romane geschrieben - und ist am Ende doch in den Fußstapfen des Vaters gelandet. Denn auch Tommy Lapid, ein aus Ungarn stammender Holocaust-Überlebender, hatte um die Jahrtausendwende herum nach einer Journalisten-Karriere mit seiner streng säkularen Schinui-Partei die israelische Politik aufgemischt.

Der Sohn zog mit der Zukunftspartei erstmals 2013 in die Knesset ein. Es war ein Blitzstart mit gleich 19 Sitzen. Er avancierte zum Königsmacher, der König hieß wieder Netanjahu, und Lapid bekam den Posten des Finanzministers. Anderthalb Jahre ging das gut, für Lapid waren es Lehrjahre: Im Streit verließ er die Regierung und blieb seitdem dem Vorsatz treu, sich nie wieder mit Netanjahu einzulassen.

Voriges Jahr ging er aufrecht in die Opposition

Das beherzigte er auch, als sich sein späterer Partner im Parteienbündnis Blau-Weiß, Benny Gantz, entgegen aller Versprechen im vorigen Jahr doch in einer sogenannten Notstandsregierung mit Netanjahu zusammentat. Lapid ging aufrecht in die Opposition - und hofft, dass sich das nun auszahlt.

Netanjahu hat ihn jedenfalls längst schon als gefährlichsten Konkurrenten identifiziert. Er oder dieser Lapid - das vermittelt er seinen Anhängern. Als vorteilhaft erscheint es Netanjahu, dass er dabei den Wahlkampf wieder auf die ewige Auseinandersetzung zwischen rechts und links zuspitzen kann. Das einzige Problem: Lapid verweigert sich diesem Spiel.

"Premierminister zu werden ist für mich nicht so wichtig", sagte er zum allgemeinen Erstaunen in dieser Woche bei einer Konferenz. Wichtiger sei es, Netanjahu aus dem Amt zu drängen. "Ich habe bewiesen, dass ich mein Ego zum Wohl des Staates zurückstellen kann", fügt er noch an.

So viel Bescheidenheit ist selten in der Politik, und auch bei Lapid ist sie ein neues Phänomen. Dahinter dürfte Taktik stecken - die Selbstlosigkeit muss also auch als Aufruf an die anderen Bewerber im Anti-Netanjahu-Lager verstanden werden, ebenfalls ihre persönlichen Ambitionen zurückzustellen. Falls Lapid dann als Zweiter hinter Netanjahu ins Ziel kommt, könnte sein Ego sehr schnell wieder sehr viel größer werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5232641
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/toz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.