Süddeutsche Zeitung

Wahl in Israel:"Die Leute sind das Tamtam leid"

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Die Israelis werden erneut an die Wahlurnen gebeten. Soziologe Natan Sznaider erklärt, warum im Wahlkampf Gleichgültigkeit herrschte - und der Ausgang einem Würfelspiel gleicht.

Interview von Alexandra Föderl-Schmid

In Israel wird heute gewählt - zum zweiten Mal binnen fünf Monaten. Im April hatte Premierminister Benjamin Netanjahu keine Koalition zustande gebracht. Auch diesmal gibt es laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Netanjahus rechtsnationalem Likud und dem blau-weißen Bündnis seines Herausforderers Benny Gantz. Der in Tel Aviv lehrende Soziologe Natan Sznaider hat den Wahlkampf beobachtet.

SZ: Hat der Wahlkampf zu einer weiteren Spaltung des Landes, die Sie in Ihrem Buch "Gesellschaften in Israel" konstatieren, geführt?

Natan Sznaider: Gar nicht. Die Spannungen sind geblieben. Es herrschte im Wahlkampf eher Gleichgültigkeit vor.

Die drohenden Anklagen in drei Korruptionsfällen gegen Premierminister Benjamin Netanjahu waren in diesem Wahlkampf kein Thema. Sind die Vorwürfe den Israelis auch gleichgültig?

Die Leute sind müde davon zu hören. Von beiden Seiten: Sie sind müde zu hören, wie schlimm das ist. Sie sind auch müde zu hören, wie unwichtig das ist, wie das von Netanjahu behauptet wird. Die Leute haben ein Leben zu leben, das Private spielt wieder eine größere Rolle. Dieses Tamtam, dieser Kompressor, der einen jeden Tag von der Politik und den Medien ins Wohnzimmer gesetzt wird, führt dazu, dass man einfach das Radio und den Fernseher leiser dreht. Die großen Spannungen spielen sich auf Twitter ab, aber da schauen nur wenige rein.

Avigdor Lieberman hat mit seiner Partei Unser Haus Israel versucht, den seiner Ansicht nach zu großen Einfluss der Religiösen auf die Politik zu thematisieren. Seiner Partei wird nun eine Verdoppelung vorausgesagt. Ist das das Thema, das die Israelis bewegt?

Die Partei hat zugelegt, am Ende wird der Zuwachs aber meiner Ansicht nach nicht so stark sein. Das Thema bewegt, aber es ist ein Sekundärthema. Es bewegt auch deshalb, weil bei den großen politischen Fragen wie die Grenzen Israels, ob man annektieren soll oder nicht oder der Rolle der arabischen Bevölkerung innerhalb Israels ein großer Konsensus herrscht. Wenn man über diese Themen keinen leidenschaftlichen Wahlkampf führen kann, dann muss er in Nebenstraßen umgeleitet werden. Eine dieser Umleitungen ist diese Debatte um Säkularisierung. Jeder, der hier lebt, weiß, dass es keine große Rolle spielt. Keiner glaubt es Lieberman wirklich, denn er war immer wieder in einer Koalition mit ultraorthodoxen Parteien wie Schas, und es hat ihn nie gestört.

Bei den arabischen Parteien war die Wahlbeteiligung gering. Ist ein Grund dafür, dass sie sich nach dem Nationalstaatsgesetz in einem jüdischen Staat auch als Wahlbürger nicht willkommen fühlen?

Ich glaube, dass die Wahlbeteiligung etwas höher werden wird. Weil die Angriffe Netanjahus auf die arabischen Wähler einen Mobilisierungseffekt haben, nicht nur in Bezug auf die eigenen Wähler sondern auch auf die arabischen. Auf der einen Seite gibt es genug arabische Wähler, die sich nicht als Teil des Demos hier verstehen. Es gibt aber auch eine Enttäuschung über die arabischen Parteien. Weil sich viele arabische Israelis nicht wirklich mit den Palästinensern in den palästinensischen Gebieten so solidarisieren, wie es die arabischen Parteien tun. Es gibt viele arabische Bürger, die den jüdischen Bürgern Israels im kulturellen und sozialen Bereich immer ähnlicher geworden sind.

Netanjahu hat eine Woche vor der Wahl die Annexion von großen Teilen des Westjordanlandes angekündigt. Wird es ihm gelingen, Stimmen von anderen Parteien wie den Neuen Rechten zu gewinnen, die bisher die Siedlerinteressen vertreten haben?

Ich glaube nicht. Die Wähler der Neuen Rechten bleiben die Wähler der Neuen Rechten und glauben ihm sowieso nicht, was das angeht. Diese Ankündigung regt niemanden mehr groß auf außer das linke Meretz-Milieu. Diese Annexion ist de facto schon vollzogen, de jure gibt es sie noch nicht. Wenn Netanjahu sagt, er will die Gebiete annektieren, dann ist die Reaktion eines Großteils der jüdischen Bevölkerung: Na und? Dann tu es halt.

Aber international gab es heftige Reaktionen vom UN-Generalsekretär bis zur EU. Verdeutlicht das die Diskrepanz zwischen dem Ausland und Israel, wo diese Ankündigung als Wahlkampfpropaganda abgetan wurde?

Ja, weil man im Ausland noch am Konzept der Zwei-Staaten-Lösung festhält. Als ob das noch eine vitale politische Option wäre. In Israel hat man sich das längst abgeschminkt. Deshalb ist die Annexion eines Großteils der Gebiete im Westjordanland konsensual. Auch Netanjahus Gegenkandidat Benny Gantz hat nicht dagegengehalten. Er ist auch kein Linker. Die Bezeichnung Mitte-links für sein Lager trifft nicht zu. Das sind verschiedene Konzeptionen von nationalistischer Politik, das kann man nicht an den Begriffen rechts oder links festmachen.

Wie würden Sie Blau-Weiß beschreiben: Zentristisch? Ein Sammelbecken von linken, liberalen bis zu rechten Kräften?

Man redet immer vom Untergang der Arbeitspartei in Israel. Sie ist nicht untergegangen, sie hat nur den Namen gewechselt. Sie heißt jetzt Blau-Weiß und hier wird das urtypische Konzept der Arbeiterpartei vertreten. So war die Mapai-Partei in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren. Ein paar Politruks, ein paar Generäle. Man kann nicht sagen rechts oder links, sondern sie ist konsensual und patriotisch. Der Mythos von der linken Arbeitspartei Awoda, einer Nachfolger-Partei der Mapai, kommt durch Jitzhak Rabin und den Oslo-Friedensprozss in den Neunzigerjahren. Die Mapai davor und die Arbeitspartei danach waren eigentlich nie das, was man links nennen konnte.

Ist eine Einheitsregierung aus Likud und Blau-Weiß eine realistische Option nach der Wahl?

Das kann klappen. Das kann auch klappen inklusive Netanjahu und auch mit Lieberman. Es ist wie ein Würfelspiel. Es hängt auch davon ab, ob die Arbeitspartei in die Knesset kommt und es auch die extremistische Jüdische Kraft schafft.

Wenn Blau-Weiß eine Koalition mit dem Likud unter der Führung von Netanjahu akzeptiert, dann müsste aber Gantz von seiner Forderung Abstand nehmen, nie in ein Regierung unter Netanjahu einzutreten.

Dann nimmt er halt Abstand. Wenn es darum geht, das Land retten zu müssen, dann wird es heißen, man muss seine Prinzipien für das Wohl aller opfern. Alles, was gesagt wurde, hat übermorgen keine Gültigkeit mehr. Das wissen die Leute hier. Das ist Teil des Blödsinns, den man bei Wahlkämpfen hört. Das ist Teil des Spiels, das man hier spielt. Alle Mutationen, die man sich vorstellen kann, können dann passieren.

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