Süddeutsche Zeitung

Wahl in Israel:"Die Wähler sind müde, zornig und frustriert"

Es ist Israels dritte Parlamentswahl innerhalb eines Jahres. Der Politikwissenschafter Ofer Kenig erklärt, was die Menschen an die Urnen treibt.

Interview von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

In Israel gibt es zum dritten Mal binnen eines Jahres Parlamentswahlen. Im September hatte das blau-weiße Bündnis von Benny Gantz die Wahlen knapp vor dem von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geführten Likud gewonnen. Nach dem Urnengang an diesem Montag drohnt erneut eine Pattsituation.

Der ehemalige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman könnte der Königsmacher sein und entweder Gantz oder Netanjahu, genannt Bibi, zu einer Regierung verhelfen. Der Politikwissenschafter Ofer Kenig forscht am Israel Democracy Institute über Wahlverhalten.

SZ: Nach einem eher trägen Wahlkampf in Israel gibt es nun den dritten Urnengang. Wirkt sich das auf die Wahlbeteiligung aus?

Ofer Kenig: Das ist eine schwierige Frage, ich weiß es nicht. Es gibt so viele Szenarien. Die Wähler sind tatsächlich müde, zornig und frustriert von der Tatsache, dass die Wahlen keinen klaren Sieger hervorgebracht haben. Auf der anderen Seite sind die Polarisierung und die negativen Einstellungen so stark, dass das auch dazu führen kann, dass diesmal sogar mehr Wähler teilnehmen: Es gibt die Anti-Bibi-Fraktion, die Anti-Araber-Stimmung, es geht gegen die Ultraorthoxen, gegen Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman.

Sie haben das Wählerverhalten der vergangenen zwei Wahlen im April und September analysiert. Was hat Sie dabei am meisten überrascht?

Erstens, dass trotz der Bedenken im Vorfeld die Wahlbeteiligung hoch war und beim zweiten Mal sogar gestiegen ist. Das ist vor allem auf den starken Anstieg der Stimmabgabe bei den arabischen Israelis zurückzuführen. Aber auch in anderen Segmenten blieb die Beteiligung auf dem gleichen Niveau. Zweitens, dass das blau-weiße Bündnis von Gantz eine anhaltend hohe Unterstützung erfahren hat. Und drittens, dass der Zusammenschluss der Kulanu-Partei von Finanzminister Mosche Kachlon mit dem Likud sich nicht gelohnt hat. Die meisten Kulanu-Wähler vom April haben im September nicht für den Likud gestimmt.

In diesem Wahlkampf stand nun fest, dass Netanjahu wegen drei Korruptionsfällen angeklagt wird, der Prozess beginnt am 17. März. Warum hat es keine Rolle gespielt, dass erstmals ein amtierender Ministerpräsident angeklagt ist?

Ich weiß es nicht.

Netanjahus Likud-Partei konnte in den Tagen vor der Wahl in Umfragen erstmals seit Monaten das blau-weiße Bündnis überholen. Brachte der von den USA präsentierte Friedensplan diesen Schub?

Ich glaube nicht, dass es einen signifikanten Effekt hatte. Aber das ist nur ein Gefühl.

Der Nahostplan sieht unter anderem vor, dass zehn Orte, in denen die meisten Bewohner arabische Israelis sind, dem palästinensischen Staat zugeschlagen werden sollen, wenn es ihn einmal gibt. Könnte das eine Motivation für arabische Israelis sein, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, wählen zu gehen? Oder genau das Gegenteil bewirken?

Ich glaube, dass das ein Anstoß ist, raus und wählen zu gehen. Um den Protest dagegen sichtbar zu machen und um Netanjahu zu schaden.

Laut allen Umfragen droht wieder ein Patt zwischen Netanjahus rechtem Block und dem von Gantz geführten Mitte-links-Lager. Es scheint, dass eine große Koalition aus Likud und Blau-Weiß die einzige Chance ist, eine Regierung zu bilden. Welche Möglichkeiten gibt es noch, um eine vierte Wahl zu verhindern?

Theoretisch könnte eine Einheitsregierung durch eine Minderheitsregierung verhindert werden, etwa indem Gantz mit Avigdor Lieberman und dem linken Parteienbündis aus Arbeitspartei und Meretz eine Regierung bildet mit der Unterstützung der arabischen Parteien. Aber das erscheint nur als theoretische Option. Zum einen weil sowohl Lieberman als auch die Araber jegliche Kooperation ausschließen. Sogar Gantz hat ausgeschlossen, dass er sich von einer arabischen Partei unterstützen lässt. Und zum Zweiten gibt es keine politische Kultur für eine Minderheitsregierung in Israel.

Wird es zu einer vierten Wahl kommen?

Meine Instinkte und meine professionelle Herangehensweise schließen das aus. Aber meine Instinkte haben mich auch betrogen, als eine dritte Wahl noch wie Science-Fiction klang. Und jetzt stehen wir genau davor. Ich weiß nicht, wovon ich diesmal ausgehen soll. Wenn man den Israel Voice Index anschaut, dann denken nicht weniger als 30 Prozent der Israelis, dass es eine vierte Wahl geben wird.

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