Süddeutsche Zeitung

Israel:Netanjahu will nicht weichen

  • Die Bemühungen um eine Regierungsbildung in Israel sind nach der Wahl im September gescheitert.
  • Das Parlament stimmte für seine Auflösung, die Neuwahl wird am 2. März 2020 stattfinden.
  • Der amtierende Ministerpräsident Netanjahu will nicht weichen - trotz dreier Anklagen wegen Korruption.
  • Der Generalstaatsanwalt muss nun entscheiden, ob Netanjahu als Angeklagter überhaupt eine neue Regierung bilden darf.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Wer in diesen Tagen mit politischen Beobachtern in Israel spricht, bekommt irgendwann diesen Satz zu hören: "So eine Situation haben wir noch nie gehabt." Zum zweiten Mal konnte weder der rechte Block um Benjamin Netanjahu noch das Mitte-links-Lager um Benny Gantz eine Mehrheit für eine Koalition erreichen.

Wie es nun in Israel nach der Auflösung der Knesset um Mitternacht weitergeht, kann niemand exakt voraussagen. Klar ist nur, dass die Israelis zum dritten Mal binnen eines Jahres am 2. März 2020 an die Urnen gerufen werden. Und dass das Land paralysiert ist: Entscheidungen werden mit Blick auf die offene Regierungsfrage hinausgeschoben, das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab, Start-up-Förderungen oder Unterstützungen für Soldaten werden nicht mehr ausgezahlt.

Wie sich die politischen Ereignisse weiter entwickeln, hängt vor allem von zwei Männern ab: Benjamin Netanjahu und Avichai Mandelblit. Der amtierende Ministerpräsident Netanjahu will nicht weichen - trotz dreier Anklagen wegen Korruption. Dass er zurücktritt, hat Netanjahu mehrfach ausgeschlossen. Er könnte aber dazu gezwungen werden. Es wird erwartet, dass er bis zum 30. Dezember im Parlament einen Antrag auf Immunität stellt. Aber ob überhaupt darüber entschieden werden kann, ist unklar, weil sich der dafür zuständige Ausschuss gar nicht konstituiert hat.

Generalstaatsanwalt Mandelblit hat in dieser Woche vom Obersten Gericht die Aufgabe übertragen bekommen, nach den Anklagen auch noch zu entscheiden, ob Netanjahu als Angeklagter überhaupt eine neue Regierung bilden darf. Der mit dem Fall Netanjahu befasste Staatsanwalt hat dies schon verneint. Übernimmt Mandelblit diese Rechtsauffassung, dann werden auch in seiner Partei, dem rechtsnationalen Likud, die Netanjahu-Getreuen erkennen müssen: Es ist Zeit für einen Neuanfang.

Mit dem gerade 53 Jahre alt gewordenen ehemaligen Innen- und Bildungsminister Gideon Saar steht ein Herausforderer bereit, der Netanjahu schon dazu gedrängt hat, sich einer Vorsitzenden-Wahl zu stellen. Erstmals seit 14 Jahren gibt es eine innerparteiliche Konkurrenz für den 70-Jährigen. Die rund 120 000 Mitglieder sind am 26. Dezember dazu aufgerufen, über den künftigen Parteichef zu entscheiden.

Beeinflussen könnte dieses Votum Mandelblit: Bis 18. Dezember muss der Generalstaatsanwalt bekannt geben, wann er sich in der heiklen Causa äußern will. Würde er bei dieser Gelegenheit Netanjahu von der Bildung einer neuen Regierung ausschließen, dann würde die Likud-Abstimmung anders ablaufen. Denn dann würden sich nach Saar auch all die anderen aus der Deckung trauen, die sich bisher mit einer öffentlichen Unterstützung Netanjahus auffällig zurückgehalten haben: Etwa Knesset-Sprecher Juli Edelstein, die Minister Gilad Erdan und Tzachi Hanegbi und der ehemalige Geheimdienstchef und Abgeordnete Avi Dichter. Auch der ehemalige Jerusalemer Bürgermeister Nir Barkat stünde für eine Nachfolge bereit.

Ohne Netanjahu, so vermittelten bisher die Verhandlungsführer von Blau-Weiß, würde es rasch zu einer Verständigung über eine große Koalition kommen. Noch verfügt jedoch Netanjahu unter den Likud-Anhängern über eine solide Basis. Aber auch die bröckelt - so wie die Zustimmung für ihn in der Bevölkerung seit der Anklageerhebung deutlich zurückgeht. Inzwischen liegt Gantz in der Frage, wer Regierungschef werden soll, in Umfragen gleich auf oder sogar voran. Die Mehrheit der Israelis machen Netanjahu und an zweiter Stelle den ehemaligen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman für die dritte Wahl verantwortlich, erst mit großem Abstand wird Benny Gantz die Schuld daran geben.

In Umfragen in dieser Woche kann das von Gantz geführte Parteienbündnis Blau-Weiß den Abstand zum Likud vergrößern. Blau-Weiß hat im September die Wahl mit nur einem Mandat Vorsprung vor dem Likud gewonnen, nun liegt das Bündnis vier Sitze voran. Es würde dem Mitte-links-Lager nur ein Mandat zur Mehrheit von 120 Sitzen in der Knesset fehlen. Blau-Weiß hat seit der ersten Wahl kontinuierlich zugelegt, der Likud hat zwischen den Urnengängen im April und September 300 000 Stimmen verloren.

Aber bis zur Wahl in etwas mehr als 80 Tagen kann noch viel passieren - etwa im Sicherheitsbereich in dieser unruhigen Region. Bleibt Netanjahu, der insgesamt 13 Jahre als Ministerpräsident regiert, weiter im Rennen, wird der Wahlkampf von einer Frage bestimmt werden: für oder gegen Netanjahu.

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